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Alt 24.05.2011, 17:40
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Standard AW: Mutmach-Geschichten - Erfahrungsberichte Nierenzellkarzinom

Jan Fischer
geb.: 19.02.1964
Verheiratet, 1 Tochter
Disponent und Anlagenführer
wohnhaft im tiefen Odenwald

Histologie : beidseitiges klarzelliges Nierenzellkarzinom ( links 20x12 cm, rechts 5x4 cm ),
Metastasen in der Lunge ( 3 ) , am Pankreaskopf und Weichteilmetastase an der
Bauchdecke
pT4, pN1(1/1), G3, R0, M1

22.04.2010 : Vorstellung bei der Hausärztin wegen starkem Leistungseinbruch
15.05.2010 : CT – Thorax , NZK rechts und links mit Metastasen
07.06.2010 : Thoraxoabdominelle Tumornephrektomie links
26.06.2010 : Beginn der Sutenttherapie mit Teilnahme an der Switrch-Studie
04.10.2010 : nach MRT Kopf wird eine Metastase am Kleinhirnstamm gefunden ( 2,5x2,5 cm )
26.10.2010 : stereotaktische fraktionierte Bestrahlung am Linearbeschleuniger
20.02.2011 . Reha, 3 Wochen
Oktober 2015: Einbruch einer Pankreasmetastase in den Zwölffingerdarm, starke innere Blutungen, waren nur durch Notoperation zu stillen. Entfernung von Pankreas, Milz und Zwölffingerdarm. Umstellung auf Inlyta.

Im Januar 2010 bekam ich eine Erkältung die sehr lange anhielt. Im April war sie endlich überstanden ,aber ich war nicht mehr Leistungsfähig. Die Arbeitstage quälten sich dahin, ich hatte keine Kraft mehr, der Schubkarren war zu schwer, die Konzentration lies stark nach und der Hochdruckschlauch machte beim Reinigen der Anlage mit mir was er wollte. Da dies so kein Zustand war bin ich nach ca 25 Jahren doch mal zu einem Arzt gegangen. Blutbild : Hohe Blutsenkung, Eisenmangel, d.h. da ist was faul. Überweisung zum Internisten, zum Lungenröntgen und zum Hautarzt. Beim Internist mußte ich trotz Termin 3 Stunden warten, dann wurde kurz ein Ultraschall von meiner bekannt zu großen Schilddrüse ( Erbstück ) gemacht und Überweisung zur Schilddrüsenszintigraphie, so schnell wie der Arzt kam war er dann auch wieder verschwunden-der sieht mich nicht mehr. Beim Hautarzt sind keine verdächtigen Stellen gefunden worden. Das Röntgenbild der Lunge konnte nicht richtig gedeutet werden ,weil ich angeblich nicht richtig eingeatmet habe. Heute weiß ich, da hat der Tumor schon von unten reingedrückt. Es wurde ein CT-Thorax veranlasst , Ergebnis : ein Hypernephrom. Die Hausärztin hat sich erstmal schlau machen müssen was dies so bedeutet und meinte nur : „ Hier müssen die besten Spezialisten rann ,die wir bekommen können“.
Der nächste Termin war in der Urologischen Ambulanz in der Klinik der zu bekommen, auf den Chefarzt hätte ich 3 Wochen länger warten müssen. Dort wurde ich von einer sehr freundlichen Ärztin untersucht, welche die Diagnose bestätigte und mich über die jetzt folgenden Schritte aufklärte. Sie gab mir auch wieder die Zuversicht zurück die ich bis dahin schon verloren hatte ( „Wir haben seit 5 Jahren Medikamente die sehr gut helfen, Chemotherapie im herkömmlichen Sinn funktioniert nicht, der große Tumor wird mit der Niere entfernt werden müssen“).
Bis zum Aufnahmetermin am 25.06.2010 sind wir mit dem Wohnwagen in den Schwarzwald gefahren. Ich war käftemäßig nicht in der Lage die 240 km zu fahren ( bin 20 Jahre lang LKW-Fernverkehr gefahren ), so viel Energie hatte mir der Krebs geraubt. Meine Frau hat sich ein Herz gefaßt und hat das Gespann heile ans Ziel gebracht.
25.06.2010 09:00 Uhr Aufnahme in der Chrurgie in, CT,MRT,EKG,Blutuntersuchung usw., ein Riesenprogramm.Beim Anestesiegespräch meinte der Arzt „Sie sind doch kerngesund,das Überstehen sie mit links,ich mach ihnen eine 1.Klasse Narkose mit Schmerzkatheder,ansonsten haben wir hier die modernsten Einrichtungen vorhanden“ Am Abend „Wir können morgen nicht operieren , der Spezialist für die Embolisation des Tumors hat keinen Termin frei, ohne Embolisation ist die gefahr des Verblutens bei dieser OP zu hoch“
Nächster Termin 07.06.2011- diese Woche warten war das Schlimmste, Habe noch etwas über Prognosen bei NZK gelesen, grausam.
Sonntags um 17:00 Uhr ging ich in die Klinik, wo mich der Arzt empfing , der mich unter seine Fittiche nahm als mein Ansprechpartner. Mir wurde der Ablauf der Operation genau erklärt und er hat meine Frau für 19:00 Uhr am nächsten Tag in die Intensivstation bestellt.

07.06.2011 – 8:00 Uhr kam ich zur Embolisation. Nach 2 Stunden, 600gr Klebstoff, einem geschafften Radiologen und einem zu Hilfe kommenden Professor, wurde ich für eine halbe Stunde ins Zimmer gebracht und dann in den OP. Beim Schmerzkatheder setzen muß man noch mitmachen, dann schlief ich ein.
Ich wachte um 19:00 Uhr nach 7,5stündiger Operation total verkabelt und verschlaucht auf und fühlte mich wie neu geboren. Alles war klar und ich glaubte alle Kraft der Welt zu haben. Fazit: jetzt packst du es. Meine Frau und meine Tochter waren auch schon da und hatten mit dem Arzt gesprochen „Besser gelaufen als angenommen“. Dank des Schmerzkatheders , der noch 7 Tage drin blieb, mußte ich kein Schmerzmittel nehmen, so kam es von dieser Seite zu keinen Nebenwirkungen. ( Ein Schmerzkatheder ist eine Pumpe, die das Schmerzmittel direkt in das Rückenmark an die Nervenbahnen abgibt. Die Ärzte können an der Pumpe genau die Menge Dosieren, der Kreislauf und sonstige Organe müssen nicht mit den Schmerzmitteln kämpfen. Die Narkose ist nur ganz leicht, der Kreislauf ist während der Operation stabiler. Soweit meine vereinfachte Erklärung ). Der Zugang zum Tumor erfolgte über die linke Lungenseite, die man dafür luftleer gemacht hat um mehr Platz zu bekommen. Zudem wurde ebenfalls aus Platzgründen der Darm aufgetrennt und später wieder zusammengenäht.
Am nächsten Tag wurde ich auf die Wachstation verlegt und mußte gleich mit Atemübungen wegen dem Aufbau der Lunge beginnen.
Am 2. Tag wurde ich wieder auf die Station gebracht und ich habe wieder anfangen können mit Schonkost.
Am 3. Tag die ersten Gehübungen mit dem Physiotherapeuten, was auch gut klappte und vor allem sich die Lunge beim stehen besser entfalten kann. Schock auf der Waage, ca. 25 kg abgenommen, hatte vorher aber auch fast 100, ist also zu verkraften.
Am 4. Tag haben die Schwestern mich öfters von dem Unterdruckanschluß der Bühlau-Drainage befreit, damit ich mit meinem Besuch auf dem Gang umherlaufen konnte. (Das ist ein Schlauch der zwischen Zwerchfell und Lunge sitzt und dort einen Unterdruck erzeugt damit sich die Lunge leichter ausdehnen kann )
Am 5. Tag hat man mir gezeigt wie man die Bühlau-Drainage ab- und anschließt, so konnte ich mich wieder ohne Hilfe bewegen. Ebenso konnte ich wieder normale Kost zu mir nehmen.
Ab dem 6. Tag durfte ich mich frei im Krankenhaus bewegen und konnte in die Cafeteria und an den Neckar laufen. Sieht zwar etwas seltsam aus mit 2 Wunddrainagen, Bühlaudrainage, Schmerzkatheder und Blasenkatheder am Infusionsständer im Schlepptau, aber egal ich war mobil.
So nach und nach wurden die Schläuche weniger und ich konnte am Tag 11 nach Hause gehen. Der Sozialdienst hat für mich noch den Antrag für den Schwerbehindertenausweis ( wusste gar nicht so richtig was das ist ) gestellt.
Zum Krankenhaus : Alte Burg ( wird ab 2013 neu gebaut ), 4-Bettzimmer, aber sehr sauber und nettes und zuvorkommendes Pflegepersonal. Sehr interessant war auch, dass ich als „Modellpatient“ bei der Ausbildung von Studenten dabei sein konnte. Man lernt einiges über die Arbeitsweise von Ärzten kennen. Das zwischenmenschliche Klima ist sehr gut(Unzulänglichkeiten werden offen zugegeben), die Hierarchie ist sehr flach, ( Ärzte und Pflegepersonal und auch Ärzte zu Patienten ) womit aber nicht jeder Patient zurechtkommt, mir kommts entgegen.
Eine Anschlußheilbehandlung ist flachgefallen, denn ich sollte möglichst bald mit einer Targettherapie im Rahmen der Switch-Studie beginnen. Ich habe mich über Sunitinib und Sorafinib informiert und war froh Sunitinib zugelost zu bekommen ( 2 Wochen Pause pro Zyklus ). Am Anfang und am Ende des ersten Zykluses hatte ich Migräne, worauf mich der Urologe zum Neurologen schickte. Der las den Beipackzettel und meinte ; „das werden schon die Nebenwirkungen sein, aber zur Sicherheit machen wir ein MRT vom Kopf.“
Aber erst 3 Wochen Camping im Allgäu und Schwarzwald. Wandern bis 10 km wenn nicht allzu steil waren kein Problem und die badische Küche bescherte mir 5 kg Gewichtszunahme. Alles in allem hervorragend erholt.
Nach dem Urlaub ,der Schock beim Neurologen : eine Metastase am Kleinhirnstamm. Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt durch dieses Forum und die Patientenorganisation schon recht gut informiert. „In Frankfurt haben die so einen Apparat“ so mein Neurologe, ich weiß „Gammaknife“. Zwei Tage später war Nachsorgetermin in der Urologie mit CT- Thorax Abdomen und meinen Arzt hat die Nachricht fast schlimmer getroffen als mich. Nachmittags war ich in der Neuroonkologischen Abteilung wegen der Hirnmetastase. Allerdings geriet ich dort an eine Neurochirurgin die mir etwas von einer sehr guten Möglichkeit zur Operation erzählte, was aber ich nicht wollte und mein Urologe auch schon vorher von einer Operation abriet. Sie möchte meinen Fall aber auch den Kollegen von der Radiologie vorstellen. Am selben Abend kam ihr Anruf : Befund CT von der Nachsorge : Stabile Erkrankung – herzlichen Glückwunsch. Übermorgen Termin in der Radiologie, die Kollegen würden mich freudig erwarten, es gibt hier gute Therapien mit guten Erfolgen.
Dort empfing mich ein Oberarzt, der sehr gut über mich Bescheid wusste und meinte er habe sehr gute Erfahrung mit NZK-Metastasen im Gehirn und die meinige ließe sich aufgrund der Lage und Größe ( 2,4cm ) sehr gut stereotaktisch Bestrahlen. Nachdem er mir die ganze Prozedur erklärt hat bekam ich einen Termin für die stationäre Aufnahme und die Bestrahlung.
Also, Maske hergestellt zur Fixierung, 4Tage Krankenhaus, 5X Bestrahlung a 10 Minuten, war fast wie Urlaub – Bestrahlung jeweils nach dem Frühstück, danach Freizeit ( Zoo und Botanischer Garten ist gleich um die Ecke, Zweibettzimmer mit Vollpension ). Alles ohne Nebenwirkung Überstanden, Cortison musste ich nicht nehmen. Nach dieser Woche Wohnwagen anhängen und ab in den Schwarzwald. Ich glaube wir waren alleine dort, aber sehr erholsam.
Anfang Januar das erste Mal Fußsyndrom, wird mit Ureasalbe bekämpft.
Nachdem ich von der Krankenkasse aufgefordert wurde ein Reha zu beantragen, machte ich sie auch Ende Januar. Das Ziel war Marburg, 70ger Jahre Bau innen wie außen, aber sehr gepflegt und eine sehr gute Küche. Die ersten Fragen der Ärztin : möchten sie unbedingt wieder Arbeiten, beziehungsweise könnten sie von ihrer Erwerbsminderungsrente leben. Sie würde ihren Abschlussbericht nach mir richten, würde mir aber zur Rente wegen der andauernden Therapie raten. Habe auch gleich am nächsten Tag einen Termin bei der Rentenberatung bekommen. Dank privater Vorsorge habe ich mit der Rente kaum finanzielle Einbußen, also Rente. Dann die Reha mit dem Ziel die Kondition aufzubauen und mal alles ausprobieren was mir so gut tun könnte ( Fango , Medijet, medizinische Bäder, Entspannungsübungen usw. ). Ich habe alles sehr genossen und die 3 Wochen vergingen wie im Flug.
Am 14.02. Nachsorge wegen der Hirnmetastase : Metastase tot, nur noch Abbauprodukte zu sehen.
Der Erfolg der Reha zeigte sich im Urlaub beim Skifahren – 4 Stunden Power-Skiing sind wieder möglich, war in den letzten Jahren vor dem Krebs so nicht mehr machbar. Natürlich war der Urlaub während der Sutentpause.
Staging vor Ostern : Weiterhin stabile Erkrankung, größtenteils regidente Metastasen, weiter mit Sutent. Fazit : (fast)neues Auto gekauft, mit Automatik und Tempomat wegen Fußsyndrom, und Allrad und starkem Diesel, wegen Wohnwagen auf den jetzt viele Kilometer zukommen.
Seit Anfang Mai bin ich jetzt offiziell EM-Rentner.
Für mich ist wichtig : Ein Arzt oder Ärzteteam dem man voll vertraut und frei reden kann, kompetente Information quasi als Rückversicherung für die Richtigkeit meiner Entscheidungen, die Richtung selbst zu bestimmen und Rückhalt im engeren Familienkreis.

Update 2 Jahre nach der OP.
Sutent wirkt immer noch. Die Nebenwirkungen werden scheinbar seit den letzten 3 Zyklen weniger stark. Im Januar haben wir eine Patientengruppe Rhein-Neckar gegründet in der ich mich als Patientenkontakt engagiere. Es ergeben sich mit der Gruppe interessante Kontakte. Leider hat im letzten 1/4 Jahr der Alltag etwas Überhand genommen, so dass wir nicht so oft campen konnten.

Update 25.06.2013: Immer noch stabile Erkrankung unter Sutent auch jetzt 3 Jahre nach der OP. Sutent vertrage ich immer besser bzw. kann ich mich gut drauf einstellen. Die Patientengruppe in Mannheim scheint sich immer besser zu etablieren, bei Patienten und Ärzten. Der Fortschritt in den Therapien, den ich seit Beginn meiner Behandlung verfolgen kann, legt ein erstaunlich hohes Tempo vor. So gibt es mittlerweile neue Medikamente als auch neue Ansätze für Immuntherapien. Die Ärzte haben den Umgang mit den Targeted Therapien optimiert. Dies alles sollte uns optimistisch in die Zukunft blicken lassen.

Nächstes Update: Oktober 2014. Eine Metastase hat sich von der Bauchspeicheldrüse in den Zwölffingerdarm vorgekämpft. Die Folge: Metastase entzündet sich und blutet ein. Mit dem Notarzt in das Klinikum eingeliefert und noch in der Nacht notoperiert. Bauchspeichldrüse, Zwölffingerdarm und Milz raus. Umstellung auf Inlyta, nach heftigsten Problemen nur noch in halber Dosierung. Laut Befund im Mai 2015 wirkt es trotzdem.

Geändert von Jan64 (21.09.2015 um 01:06 Uhr) Grund: Update