Thema: Stammtisch
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Alt 16.03.2007, 05:54
Blue Blue ist offline
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Standard AW: Stammtisch

Andrea M spricht mir aus der Seele. Eigentlich gibt es dazu nichts weiter zu sagen. Auch mir ist der Stammtisch noch immer wichtig.

Es sind über 21 Monate seit dem Tag X vergangen, dem Todestag meines Mannes. Am Anfang meines Weges ohne Jürgen, sagte ich allen und jedem: ihr müsst mich jetzt eben aushalten. Es ist sicher nicht immer einfach mit mir. Hier habe ich ein paar wenige Menschen gefunden, die mir wichtig wurden. Natürlich entstehen über eine gewisse Zeit Kontakte, natürlich fängt man irgendwann an, einen Hinweis zu geben, der nur für jemand ganz speziell bestimmt ist. Hat aber dennoch nichts mit verschworener Gemeinschaft zu tun. Ich weiß von bestimmten Tagen, weiß wie ich mich dann meist fühle und auf einmal gehen die Gedanken in Richtung eine kleine Freude machen. Zeigen, du – ich denk an dich. Es gibt nicht nur den Todestag und Geburtstag, es gibt bei jedem Einzelnen sehr viele Tage die schwierig auszuhalten sind und meist schreibt man sich das nicht auf die Stirn. Und immer wieder wird vergessen, hier stehen nur Buchstaben. Keine Mimik, keine Gestik.

Es wird immer wieder Situationen geben, die mich sprachlos machen. Und ich bin mir sicher, daß ich immer wieder aufstehe, die Talfahrt beendet ist. Ja, so langsam schließt sich das 2. Jahr bei mir. Die Gedanken gehen zurück in das andere Leben, meine Seele wird die Päckchen betrachten und neu verschnüren, vermutlich mein Leben lang. Was ich damit sagen will, es werden viele Erinnerungen wieder kommen, Gespräche und Gedanken, Trauriges und Glückliches. Alles wird neu sortiert und verwahrt und ich werde dort anfangen, wo ich zuletzt aufgehört habe, immer und immer wieder.

An mutigen Tagen werde ich nachlesen in der Zeit von 2 Jahren, (habe mir in der Pflegezeit alles von der Seele geschrieben und das ist jetzt ein wertvoller Schatz für mich) in verzagten Momenten werde ich im Stammtisch blättern, mir Mut machen, weil ich weiß, ich bin nicht alleine.


Das Auto

Erinnerungen, kostbar - nicht zu löschen, für immer auf meiner Festplatte. Ein ganz normaler Tag. Ich sitze auf dem Balkon, trinke meinen Kaffee, die Sonne scheint und Jürgen kommt um die Ecke geflitzt.

Honda CRX-VTI del Sol, knallerot. Klar, daß Dach ist im Kofferraum verschwunden. Das Dach war immer im Kofferraum verschwunden sobald die Sonne ein bißchen blitzte, selbst wenn er nur 5 Minuten damit fuhr. Jürgen hat sein Käppi auf (und noch immer der Verdacht, hat er das Mützchen eben erst aufgezogen, damit ich nicht motze???), die "Blues-Brothers-Sonnenbrille" auf der Nase, tolle Musik im Auto - dröhnt bis zu mir. Und ein unglaubliches Grinsen....

Ja, Jürgen hat dieses Auto "gelebt" und ich durfte es nun noch 18 Monate fahren. Nicht so "gelebt" wie Jürgen, aber dieses Auto ist noch immer sehr wertvoll für mich. Und trotzdem habe ich es gestern abgegeben. Die Vernunft hat das Rad angeschubst und ich bin mit hüpfendem Bauch hinterher gerannt. 2, 3 Wochen lang meine Nächte damit verbracht, gedreht und gewendet und jetzt, gestern, gemacht. Es ist weg, ich bin leer. Und komisch, ab dem 15.03.2001 hat Jürgen dieses Traumauto gefahren....

Gemault, gemotzt, abgetaucht und trotzdem vor einiger Zeit losmarschiert, zum Honda-Händler und offensichtlich, nach heutiger Sicht, gibt es tatsächlich Menschen, die noch konfuser sind als ich, oder genauso?

Es war schwer, sehr schwer. Bin im Autohaus angekommen und hab erst mal eine halbe Stunde gebraucht bis ich überhaupt etwas sagen konnte. Saß klein auf meinem Stuhl, den Rücken einem kleinen hübschen Auto zugedreht, knallerot, mit Schiebedach trotz Klimaanlage. Ein kleiner Bär saß vorne an der Windschutzscheibe – mein neues Auto. Ich finde keine Worte, kann nicht sagen wie es mir ging. Die Uhr rückte unaufhaltsam vor. Nein, diese allerletzte Fahrt habe ich nicht genossen, es war einfach schrecklich.

Am 21. März 2005 fuhr Jürgen zum letzten Mal mit seinem Auto. Das Lied das er zuletzt in seinem Auto hörte, war auch mein letztes Lied in seinem Auto – und das erste im neuen Auto. Es war bis zuletzt Jürgens Auto – nicht mein Auto, auch nicht unser Auto – sein heilix Blechle.

Von meiner Schwägerin habe ich mich auffangen lassen, ich konnte nicht sofort hierher. Sie hat mich einfach nur gedrückt. War sie es doch, die mir eine Rede gehalten hat, entweder jetzt oder noch ein Jahr fahren, hat sich angefühlt wie einen Tritt in den Hintern. Nein, nicht unter Druck gesetzt, war meine Entscheidung.

Bei jedem Gespräch der letzten beiden Wochen hat sie mir die Argumente „warum jetzt“ wieder vorgepredigt, so viel auf mich einreden musste sie zuletzt, als Jürgen nichts mehr gegessen hat und ich entscheiden musste, ob künstliche Ernährung oder nicht. Nein, nicht wirklich ich habe es entschieden – Jürgen hatte es vorbestimmt.

Hier eingetroffen, Nachricht auf dem AB. Aha, das Autohaus. Tja, er hat keine Ahnung wie es passiert ist, aber er hat doch tatsächlich meinen Fahrzeugschein, den –brief und die Rechnung in seine Unterlagen gesteckt – und nicht mir mitgegeben. Ob ich nochmal vorbeikommen könnte? Wer ist nun konfus? Ja, alle Beide – ich habe es nicht bemerkt.

Jetzt steht also tatsächlich in der Tiefgarage ein Auto das grienst. Zeit um die Winterpause zu beenden und wieder mutig zu werden. Ich freue mich auf meine Süsse, auf Andrea und Steffen, auf das Autofahren. Das ist wieder so ein Gegensatz. Klar freue ich mich über das neue Auto, aber…

Und noch etwas poltert in mir. Vielleicht irgendwann ein Trost für mich. Jürgen sagte vor langer Zeit einmal zu mir, auch in Bezug auf Autos, man sollte sein Herz nicht an solche Dinge hängen...

Nachher werde ich also mit dem Polo Jürgens Winterreifen zum Autohaus fahren, meine Papiere und die Rechnung abholen. Meinen Polo bei Nehmet abgeben und auch die Sommerreifen nicht vergessen. Das Herz wird nicht so schwer werden, sicher nicht, ist es doch nur mein Auto. Anschließend bei Jürgen vorbei gehen und ihm die Blumen bringen, die ich mit dem neuen Auto bekam.

Tja, Sprüche die die Welt nicht braucht? Hab gestern einen gehört - nein, sprachlos war ich nicht. Hatte nunmal bis jezt 2 Autos und treffe in der Tiefgarage einen Nachbarn. Er sieht mein neues Auto stehen und fragt: "Hast ein neues Auto? Ach, Du brauchst ja noch immer 2".

Ja, und jetzt kommt noch ein Hinweis für Gärtner, nein, das kann ich mir nicht verkneifen! Nun rate mal, wo ich mindestens 1 oder gar 2 Wochen lang zu finden bin?!?! Klar, entweder in der Badewanne oder auf dem Sofa. Und versprochen, ich rühr mich nicht vom Fleck, es sei den ich bekomme Hunger!

Bruni
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