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Alt 27.02.2007, 00:36
Fahrradklingel Fahrradklingel ist offline
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Standard AW: Warum tut Ihr Euch/Euren Angehörigen das an?

Moin, moin,
ja, warum eigentlich? Oder warum eigentlich nicht? Wo fängt Lebensqualität an, wo hört sie auf? Und wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Lebensverlängerung und Lebensqualität? Fest steht nur, dass es ein subjektiv gewähltes Verhältnis ist. Lebensqualität existiert nicht als solche, sie wird Tag für Tag von uns hergestellt. Lebensqualität ist kein Zustand, sondern ein Prozess - und meistens eine schwierige Aufgabe.
Ich versuche mich mal an einer - natürlich sehr persönlich ausfallenden - Begründung, warum Menschen eine Therapie auf sich nehmen, die objektiv viele Qualen mit sich bringt:
- Ziele/Wünsche in der Zukunft - das können sowohl ganz persönliche oder z.B. familiäre Ziele sein. Mein Vater (seit Dezember 06 Glioblastom IV, Operation + Bestrahlung) würde sich irrsinnig freuen, wenn er noch Opa werden kann. Oder wenn er noch mal ins Gebirge fahren kann. Oder wenn er an meiner Doktorfeier teilnehmen kann. Die mittelfristige Aussicht auf Positives gibt einem Kraft, kurzfristiges Leiden ertragen zu können. Man stellt sich dabei ja oft genug vor, man könne Leidensphasen "durchschreiten", und wir alle hier wissen oder ahnen, dass das oft genug eine Illusion ist...trotzdem gibt es den Willen, es hinter sich bringen zu können.
- Dann gibt es den Wunsch, Forschung voranzutreiben, kann auch eine wichtige Triebfeder sein, so auch für meinen Vater, der als Biologe und Chemiker in manchen Situationen auch einfach begeistert ist, was neurochirurgisch möglich ist (Stichwort 5-ALA...)
- Aus einer subjektiven Perspektive stellt sich natürlich die Frage, wann Lebensqualität vorliegt - manchmal wiegen ja kurze Momente des Glücks eine lange Leidensphase auf, und auf der ganz persönlichen Bilanz ist es das wert.
- Menschen haben gerade bei Krebs den Wunsch, das, was da im eigenen Körper wächst, aber das eigene Leben gefährdet, zu bekämpfen. Man will's dem Krebs einfach zeigen, wer der Stärkere ist. Mit allen Mitteln und so lange wie möglich. Was "so lange wie möglich" genau bedeutet, was die Bedingungen dafür sind, das hat wahrscheinlich jede und jeder irgendwann für sich beschlossen (und sicher auch schon zig Mal revidiert). Ich bin mir dabei sehr sicher, dass mein Vater weiß, wann er genug hat, und werde das respektieren (müssen).
- Ein weiterer Grund könnte aber auch darin liegen, dass der Tod in dieser modernen Gesellschaft das "Andere" ist - das "Fremde", das nicht zum Leben gehört, von dem man sich unbedingt fernhalten will, und jede Chance nutzt, den Moment des Abschieds noch ein Stück hinauszuzögern. Es ist aus dieser Perspektive wichtiger, sich am Leben zu erhalten, als dem Tod ins Auge zu sehen.
- Ein weiterer ganz schwieriger Grund besteht darin, dass man seine geliebten Angehörigen noch nicht gehen lassen will. Damit werde ich in der nächsten Zeit wohl noch zu kämpfen haben, so sehr wie ich an meinem Vater hänge, und so sehr, wie ich darunter leide, 800 km von ihm entfernt zu sein. Ich hoffe, dass ich trotzdem immer seine Wünsche respektiere und an dieser Stelle nicht egoistisch bin.

Soweit erstmal.
Alles Gute - Franziska
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