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Alt 01.07.2002, 19:56
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Standard Forum für Angehörige UND Betroffene

N'Abend, Ihr Lieben,
war heute beim Zahnarzt, und da ich sowas echt hasse (NICHT den Zahnarzt, DER ist nett, ... aber seine Behandlung!) bin ich jetzt total froh, habe ich wieder für ein halbes Jahr Ruhe.
Schon komisch, ... als ich heute morgen aufwachte und wusste, ich muss zum Zahnarzt, dachte ich mir: Naja, wenn ich dann mal an meinem Krebs sterben werde, kann ich ja FROH sein, nie mehr zum Zahnarzt zu müssen! - Ist das nicht total behämmert?
(Zeigt wohl, wie oft man als Krebspatient allem "Unbequemen" aus dem Weg gehen will! Denn wieso noch mehr leiden, wenn man eh schon leidet?)

Das ist jetzt zwar ein dämliches Beispiel, aber vielleicht ähnelt es demjenigen, wie wenn ein Krebsbetroffener auf eine Chemo verzichten will? Dann will er eben nur noch das GUTE leben. Und geniessen. Tja, warum auch nicht? Ich versteh's!

Ich möchte hier vielleicht noch einmal erwähnen: Ein Krebspatient weiss meistens MEHR, während die Angehörigen vielleicht glauben, sie sind die Alleinwissenden über sein Schicksal. Denn alleine schon Krebs zu HABEN, ist bereits ein halbes ... manchmal auch ein ganzes Todesurteil. Der Betroffene WEISS das ganz genau. - Er weiss dann in diesem Fall aber bloss nicht, was die ÄRZTE da genau dazu sagen!
Der einzige Vorteil dabei ist dann, dass ER noch einen Glauben an Heilung hat, ... während die Ärzte eben das Gegenteil tun. Und so lange diese ihm das in keinster Weise andeuten, so wird er weiter an seine Heilung glauben, auch wenn er WEISS, dass seine Chancen gar nicht so gut stehen. Er ist dann aber nicht unbedingt so "blindgläubig" auf seine mögliche Heilung, wie es vielleicht auf die Angehörigen den Anschein macht.
Doch dies ist bestimmt eine menschliche Eigenart, welche wohl nicht bei allen so anzutreffen ist. Ich denke nämlich, wenn jemand schon sein Leben lang immer Weltmeister im "Verdrängen" oder "Nicht-Wahr-haben-wollen" war, dann wird dieser wohl eher in so einer Situation auch weiterhin verdrängen und nicht-wahr-haben-wollen.
Nun, es sei denn, der Schock der Krebsdiagnose rüttelt ihn so durch, dass er plötzlich "einsieht"!
Oder aber er weiss bereits alles über seine schlechten Chancen, ... möchte aber seine Angehörigen nicht damit belasten, weil er glaubt, dass DIE das gar nicht wissen!
Naja, alles möglich. Jedenfalls finde ich, man sollte das eigene "Wissen" des Patienten nicht unterschätzen. Er weiss in der Regel genug.
Bloss noch kein Zeitlimit!

Liebe Afra, Deine Zeilen waren sehr wichtig, meine ich, denn Du sprichst damit den WILLEN des Patienten an, und das ist ja auch am Ende das einzig richtige. Wenn ein Patient also ALLES von den Ärzten wissen will (oder halt auch etappenweise), dann bekommt er auch seine Antworten. - Wenn er aber seine Ärzte NICHTS fragt, wird er meistens auch keine Antworten kriegen.
Nur, ... ich habe damals mal einen jungen Mann mit Leberkrebs in der Klinik kennen gelernt. Er war in etwa so alt wie ich, also auch so Anfang vierzig. Wir hatten sehr gute Gespräche miteinander. An einem der Tage kam er jedoch zu mir, ganz weiss im Gesicht und sagte mir:
"Ich glaube, ich habe Scheisse gebaut!"
Ich verstand zuerst nicht, was er meinte, doch dann fuhr er fort: "Ich habe meine Ärztin nach einer Prognose gefragt! Ich habe sie gefragt, was sie glaubt, wie lange ich noch LEBEN würde! Und da sagte sie: So etwa ZEHN JAHRE! - Mist, hätt' ich doch NICHT GEFRAGT!"
Das war echt krass! Er hatte also soeben erfahren, dass er wohl nicht älter als 50 werden würde! Das ist HART!
(Auch wenn zehn Jahre so gesehen noch eine schöne Zeit sind, okay! Aber für einen vierzigjährigen ist das noch ECHT ZU FRÜH um zu gehen!) Er wird jetzt also DAUERND an diese Prognose denken müssen, die ganzen zehn Jahre noch. - Wird er damit jetzt BESSER Leben können? Bewusster? Oder vielleicht schlechter?

Kennt Ihr übrigens den Film mit dem Till Schweiger? ("Knocking on the door" oder so hiess der Film.) Ich habe den im TV geguckt, und war damals völlig betroffen und "zerdrückt"! - Da waren diese zwei jungen Männer mit Krebs, denen die Ärzte noch EINE WOCHE zum Leben gaben! Und die beiden wollten wenigstens das MEER noch sehen, weil sie es ihr Leben lang nie gesehen hatten! - Da ihnen das Geld fehlte, klauten sie ein Auto und überfielen eine Bank! Natürlich war im Kofferraum dieses Autos auch noch ein Koffer mit viel Geld, damit die Geschichte spannender war! Aber die beiden wussten das nicht, wurden also gleichzeitig von den Gangstern gejagt, die das Geld wieder haben wollten! Irgendwann wurden sie dann doch noch von den Gangstern geschnappt, und diese wollten sie sofort erschiessen. Doch da sagten die beiden: Erschiesst uns nur, ... wir sterben sowieso bald, wir haben Krebs! Wir wollten ja auch nur noch einmal das MEER sehen! - Da hatten die Gangster echt Mitleid mit ihnen und liessen sie GEHEN!
So konnten die beiden also noch das Meer sehen. Zum ersten und zum letzten mal!

Diese Geschichte war zwar mit viel Aktion aufgepäppelt, aber der Sinn darin ging viel tiefer. Nämlich: Zu was ein Krebspatient noch fähig sein kann, WENN er eine solche ärztliche Zeit-Prognose erhält!
Naja, was hatten sie schon zu verlieren, wenn sie ein Auto klauten?
Was hatten sie noch zu verlieren, wenn sie eine Bank überfielen?
Was hatten sie schon zu verlieren, wenn ihnen jemand die Pistole vor's Gesicht hielt?
NICHTS!

Tja, daher sollte man vielleicht auch auf Wünsche von Krebsbetroffenen Rücksicht nehmen und versuchen, sie ihnen noch zu erfüllen, so gut es geht. Hm-hm.

Bis später, Ihr Lieben! Hatte heute wieder viele Gedanken ... uff!
Grüssli vom
krassen Känguruh
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