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Alt 24.11.2012, 14:20
Liloe Liloe ist offline
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Standard AW: Woher Hilfe? An wen wenden?

Hallo Petra_S,

zunächst einmal VIELEN DANK für deine Beiträge!

Sie sind sehr ausgewogen und beleuchten „beide Seiten“, die des Trauernden UND die des Angehörigen, der dem nur allzu oft hilflos gegenübersteht.

Du sprichst ein großes Tabu in unserer schnelllebigen Spaß- und Wegwerfgesellschaft offen aus: Die Frage nach dem Sinn des Lebens, die Frage, OB das Leben überhaupt immer als lebenswert empfunden werden muss und ob und inwieweit man ehrlich mit diesen Gefühlen umgehen kann, anstatt mittels Psychopharmaka, „Beschäftigungstherapien“ etc. eine Rückkehr in eben jene Spaßgesellschaft „erzwingen“ zu wollen.

Genauso wie du stehe ich der „professionellen Hilfe“ ebenfalls skeptisch gegenüber. Das heißt ebenfalls nicht, dass ich sie komplett ablehne. Aber ich würde – würde ich selbst mich in solche Hände begeben – keinesfalls meinen Verstand an der Türklinke zum Psychologen abgeben. Da halte ich´s wie mit allen anderen Ärzten und KH´s auch, wo ich ebenfalls versuche, ein mündiger Patient bzw. Angehöriger zu bleiben. Immer hinterfrage, mich informiere und ggf. auch Maßnahmen ablehne.

Kurz zu meiner Situation:

Ich bin Angehörige. Meine Mutter ist verwitwet, mein Vater verstarb Ende 2009.
Meine Mutter nun verhält sich gänzlich anders als der Vater der TE. Ihr Haushalt ist perfekt, sie geht ihrer Arbeit nach. Sie hat ein sehr gepflegtes Erscheinungsbild und von außen betrachtet würde sicher jeder denken: Super, sie ist drüber weg! Sie ist ins Leben zurückgekehrt.

Dass es nicht so ist, versucht sie vor aller Welt zu verbergen. Schaut man unter diese „perfekte Fassade“, sieht man Einsamkeit, Trauer und… leider auch eine gewisse Sinnentleertheit. Damit meine ich, dass sie ihrem Leben keinen rechten Sinn zu entnehmen scheint. Sie kapselt sich von ihrer Umwelt ab, pflegt neben ihrer Arbeit keinerlei Freundschaften, geht keinen Hobbys nach, verweigert gemeinsame Unternehmungen etc.

Besonders in der Anfangszeit ihrer Trauer äußerte sie – offen und verschlüsselt – Suizidgedanken („Was soll ich hier eigentlich noch?“ „Wäre ich doch auch gestorben!“ etc.). Momentan sind sie wohl weniger konkret, mehr abstrakt („Sollte ich mal schwer krank und/oder pflegebedürftig werden, werde ich mich beseitigen. Auf keinen Fall will ich ein Pflegefall werden“ usw.). Ich muss sagen, ich bin solchen Gedanken bisher recht hilflos gegenübergestanden und habe nicht gewusst, wie ich damit umgehen soll. Psychologische Hilfe lehnt sie konsequent ab. Sie hält nicht viel von den „Seelenklemptnern“, für sie ist das alles nur „Geldschneiderei“.

Ich finde jedenfalls den Ansatz interessant, dass man evtl. suizidale Äußerungen nicht im Keim erstickt, sondern GEMEINSAM den Gedanken zulässt und weiterspinnt. Ich würde dann als Tochter wohl entgegnen, dass mich ein solcher Schritt – so er tatsächlich vollzogen wird – unheimlich belasten würde. Dass mir meine Mutter als Mensch sehr wichtig ist, dass ich sie brauche (obwohl ich schon erwachsen bin), dass sie mir unheimlich fehlen würde. Und dass ich viell. auch zeitlebens Probleme hätte mit der Art, WIE sie aus dem Leben gegangen ist. Dass ich mir wünschen würde, dass meine zukünftigen Kinder ihre Oma persönlich kennen lernen und nicht „nur“ von Bildern. Dass sie durch diesen Schritt mich auf die Position der Trauernden, Verzweifelten „werfen“ würde. Da bin ich in gewisser Weise auch jetzt schon (denn auch mir fehlt mein Vater), aber so müsste ich dann beide Eltern beweinen. Momentan betrauere ich „nur“ einen Elternteil und bin soooo froh, dass der andere noch hier bei mir ist. Das alles würde ich versuchen, möglichst frei von Vorwürfen zu formulieren. Aber dennoch auszusprechen, was ich darüber denke. Denn das muss dann wiederum von ihr „ausgehalten“ werden, so wie ich ja auch ihre Gedanken und Gefühle „aushalten“ muss.

Das sind meine Gedanken dazu. Etwas wirr, ich weiß. Sorry, ich kann das grad nicht besser formulieren, weil ich beim Schreiben merke, WIE SEHR mich dieses Thema aufwühlt.

Ein großes Problem ist auch ein anderer Punkt, den du ansprichst:
Beziehung bzw. die Tatsache, dass 60 schön gemachte Minuten am Tag den Rest des Tages, der in Einsamkeit verbracht wird, nicht aufwiegen können. Da hast du absolut Recht. Ich stehe diesem Problem aber ganz hilflos gegenüber. Denn ich habe selbst Verpflichtungen (Arbeit, Ehemann, viele Haustiere, großer Garten), so dass ich an manchen Tagen am Rotieren bin. Dazu kommt, dass meine Mutter nicht gerade „um die Ecke“ wohnt. Gerade viele ältere Leute wünschen sich den intensiven Kontakt zu ihren Kindern, das weiß ich wohl. Am liebsten wäre vielen von ihnen das klassische Mehrgenerationenhaus, wie es früher Gang und Gäbe war. Das weiß ich auch von meinen Schwiegereltern (gleicher Wunsch, andere Region). Aber „Halbieren“ und uns zwischen beiden Schwiegerfamilien aufteilen, können wir uns nun mal nicht. Will ich auch gar nicht – um mal ganz ehrlich zu sein… Ich genieße meine/unsere Autonomie und brauche einen gewissen „Sicherheitsabstand“ zur Verwandtschaft.

Die Kehrseite ist natürlich, dass die Eltern und Schwiegereltern nur wenig an unserem Alltagsleben teilhaben können und sich den Großteil des Tages selbst gestalten u. beschäftigen müssen. Was gerade für verwitwete Elternteile sehr schwer zu sein scheint. Ja, und hier schließt sich dann der „Teufelskreis“…

Ach, alles nicht so einfach…

Dennoch vielen Dank für die wertvollen Gedankenanstöße in diesem Thread. Ich werde mal schauen, was ich für meine/unsere Situation davon rausziehen und anwenden kann.



@ Sabbimaus,

die Situation ist echt total vertrackt!

Du siehst, ich habe leider auch keine Lösung. Bin selbst am Überlegen, wie man dem verwaisten Elternteil am besten helfen kann.

Ich hätte nur eine einzige Anregung: Die Sache mit dem Hund (Hund kommt kaum noch raus). Dieses Problem hatten wir bei meiner Oma zu lösen. Bei ihr war der Grund nicht Trauer / Depression, sondern körperl. Einschränkung (86 Jahre alt). Wir haben im Supermarkt Aushänge gemacht, dass wir jemanden suchen, der gegen ein kleines Taschengeld regelmäßig den Hund ausführt. Es hat sich eine ganz liebe Schülerin gemeldet, die das nun übernommen hat. Angenehmer Nebeneffekt: Sie bleibt nach dem Gassigehen ganz gerne mal bei meiner Oma sitzen (die sehr gut backen kann ) und leistet ihr ein wenig Gesellschaft. Wir sind sehr froh über diese Entwicklung, es ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.


Viele Grüße
Liloe
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