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Alt 12.01.2009, 10:40
Stefans Stefans ist offline
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Beiträge: 426
Standard AW: An alle Hinterbliebene...

Hallo Cindy,

Zitat:
Zitat von Cindy 69 Beitrag anzeigen
ich bin erschrocken darüber, welche Lawine dieses Thema ausgelöst hat.
Dann war es wohl an der Zeit dafür ;-) Keine Sorge, mir liegt nichts an langfristigem Streit (auch wenn ich mich "im Affekt" öfter mal im Ton vergreife).

Was den Sterbeprozess betrifft, so ist mir in diesem langen thread aufgefallen, dass scheinbar sehr viele v.a. über die "rasselnde" / Schnapp-Atmung erstaunt / verunsichert waren. Ich habe darüber gestern mal mit meiner Schwester (Krankenschwester Intensivmedizin) gesprochen. Und die meint, dass das nach ihrer Erfahrung ein gar nicht so seltener Grund sei, dass Menschen, die das eigentlich niemals wollen, letztendlich doch im Krankenhaus sterben. Weil sie eben mit diesem Symptom von den unwissenden Angehörigen noch "5 vor 12" eingeliefert werden. Und dann halt später an den Apparaten sterben, die Leute wie meine Schwester irgendwann abschalten. Und das finde ich so traurig.

Zitat:
Schlimmer war die Zeit bis sie gehen durfte, weil sie bis auf die Knochen abgemagert war und sie lange nur noch im Bett auf auf den Tod gewartet hat...
Davor hatten meine Frau und ich die größte Angst. Sie, weil sie nicht so enden wollte. Ich, weil ich als pflegender Angehöriger Schiss hatte, das irgendwann nicht mehr auszuhalten. Anfangs, als meine Frau noch in der Klinik war, war ich völlig naiv. Klar, meine Frau will Zuhause sterben, und selbstverständlich pflege ich sie Zuhause. Ist doch Ehrensache!

Schon damals haben mich einige Leute gewarnt, dass das vielleicht nicht so einfach ist, wie man sich das als Laie vorstellt. Und deshalb haben wir meine Frau schon, als sie die Klinik verlassen hat, vorsorglich im Hospiz angemeldet (Warteliste). Für alle Fälle. Das war richtig so. Meine Frau war nur 15 Tage Zuhause, und davon war ich nur 6 Tage allein mit ihr (+ einmal täglich der Pflegedienst zur Körperpflege). Schon da habe ich gemerkt, dass ich das allein nicht schaffen kann. Schon rein physisch nicht. 2-3 mal pro Nacht aufstehen, niemals für länger als 30 Minuten aus dem Haus gehen können, nebenbei noch die Tiere versorgen und den Haushalt machen... das geht auf Dauer nicht.

Vor der seelischen Überforderung hatte ich noch viel größere Angst. Ich weiss, was oft passiert, wenn Angehörige auf sich gestellt Pflegepatienten Zuhause versorgen: aus Überforderung entsteht Missmut oder gar Hass auf den zu Pflegenden, dann Vernachlässigung, Misshandlung, und mitunter gibt es sogar aktive Tötungsdelikte. Sagen zumindest Pathologen, dass da die Dunkelziffer enorm hoch sei. Davor, meine Frau irgendwann als Belastung zu empfinden und darauf zu warten, dass sie endlich stirbt - davor hatte ich eine Mordsangst. Auch, wenn meine Wortwahl mal wieder drastisch ist: mir ist schlichtweg der Arsch auf Grundeis gegangen bei der Vorstellung, dass ich irgendwann mal, wenn meine Frau mich zum dritten mal die Nacht auf dem Handy anklingelt, weil man ihre Windeln wechseln muss, das einfach ignorieren, im Bett liegenbleiben und mir denken würde: ach, lass die doch in ihrem Kot liegen. Das reicht morgen früh auch noch, sie kriegt ja sowieso nichts mehr mit.

Ich kenne meine Grenzen und weiss, dass es früher oder später gut dazu hätte kommen können. Deswegen war, als meine Frau Samstag starb, schon Hilfe organisiert. Ab Dienstag hätte wöchentlich der Pflegedienst den Hausputz und Großeinkauf erledigt. Und gut 12 Stunden, bevor meine Frau starb, habe ich noch mit dem Arbeitsamt telefoniert, damit die die drei Leute kontakten, die ich mir aus der Jobbörse als in Frage kommende (selbst bezahlte) Teilzeit-Pflegehilfen rausgesucht hatte. Und am Montag drauf meldete sich der ambulante Hospizdienst - jemand von dort wollte einen Ersttermin ausmachen...

Nur mit all dieser Unterstützung hätte ich mir eine dauerhafte Hauspflege vorstellen können. Und wir sind gut dran, weil wir sowas selbst bezahlen können. Und ich rund um die Uhr hier bin und nicht 12 Stunden täglich bei der Arbeit ausser Haus. Hätten wir nicht diese Privilegien gehabt, hätte ich meine Frau trotz allem Widerstreben ziemlich schnell in Hospiz oder Klinik bringen müssen. Da hätte sie es dann nämlich besser gehabt. Und ich mit der Lösung auch.

Früher habe ich Bewunderung empfunden für Angehörige, die ihre geliebten Menschen Zuhause aufopfernd über längere Zeit pflegen. Mittlerweile denke ich, dass man sich sehr genau überlegen sollte, ob man das als Angehöriger aushält. Und dass das Eingeständnis der eigenen Überforderung und die Fähigkeit, Hilfe zu suchen, wichtiger sind als Aufopferung und Entbehrung. Niemandem ist gedient, wenn Menschen an sowas langsam zerbrechen. Dann doch lieber stationäre Pflege.

Zum Glück kam es bei uns nicht dazu. Meine Frau hat sich entschlossen, nachdem sie Weihnachten Zuhause erleben durfte und von allen wichtigen Menschen Abschied nehmen konnte, zu gehen, bevor sie zum schweren Pflegefall wurde. Offenbar haben ihr ein paar Tage vollständige Bettlägerigkeit mit Blasenkatheter und Windeln gereicht. Für sie war das würdelos. Sie wollte nie groß betüddelt, bevormundet und von anderen abhängig sein. Wer will das schon. Also hat sie ihren Zeitpunkt des Abschieds gut bestimmt. Ich möchte genau so gehen, falls ich das selbst entscheiden darf - weiss man ja vorher nicht.

Im Vergleich zu dem, was uns erspart geblieben ist, war die kurze Phase des Sterbeprozesses noch eine leichte Prüfung.

Viele Grüße,
Stefan
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