Thema: Verlust
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Alt 30.08.2015, 12:53
Servala Servala ist offline
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Standard AW: Verlust

Was für eine Woche.

Ich durfte so viel Neues (und eigentlich gleichzeitig auch Altes) erkennen und für mich wieder finden.

Im Moment bin ich zwischendurch mal richtig beschäftigt, weil ich meiner besten Freundin helfen kann. Leider ist ihr Papa auch an Krebs erkrankt und es gab einige Dinge zu erledigen bei denen ich helfen konnte.

Ihr Vater ist 77 geworden dieses Jahr und bis zu der Diagnose Darmkrebs eigentlich nie richtig krank gewesen. Mal ein Schnupfen hier oder Kopfweh da, aber nie etwas ernstes.

Nach der Operation ging es dann immer mal wieder aufwärts und abwärts. Er wurde von Intensiv auf Normal verlegt, fing sich eine Lungenentzündung ein, wurde wieder zurück gebracht. Dann ein paar Tage später wieder auf Normalstation, da kam es dann zum Herzstillstand und er musste reanimiert werden. Bei der Gelegenheit hat eine der Krankenschwestern sein Gebiss verlegt welches sich bis heute nicht wieder angefunden hat. Insgesamt ist er über 9 Wochen im Krankenhaus gewesen und so gut aufgehoben und begleitet meine Frau und ich uns dort auch gefühlt haben, bei ihm lief das irgendwie ganz anders.

Von den Ärzten gab es immer nur ausweichende Antworten, der Sozialdienst hat irgendwie nicht richtig mitgearbeitet und um überhaupt erstmal die Verlustmeldung der Zähne in Gang zu bringen.... mir fehlen da einfach die Worte und ich kann noch immer nicht richtig glauben, das dass alles in demselben Krankenhaus passiert ist.

Nun wurde ihr Vater entlassen, erstmal in eine Kurzzeitpflege da er noch immer auf den Rollstuhl angewiesen ist und immer nur einige wenige Schritte mit Krücken machen kann.
Ich mache mir ein wenig Sorgen darüber wie es weiter geht. Der Tumor hat über das Lymphsystem gestreut, wobei im Bauchraum etc. noch keine Metastasen zu finden waren, bis auf eine ungeklärte Stelle laut Arztbericht. Es wäre noch eine Chemotherapie nötig die aber im Moment aufgrund seines schwachen Herzens nicht möglich ist. Ich weiß das alles aus dem Arztbericht, den ich mir mit meiner Freundin zusammen durchgelesen habe. Im Moment habe ich das Gefühl, das dieser Umstand noch nicht ganz bei der Familie angekommen ist. Das noch eine Therapie nötig wäre, sein schwacher Zustand das jedoch nicht zulässt.

Nun haben wir sein Schlafzimmer erstmal soweit hergerichtet das mit dem Pflegebett zusammen genügend Bewegungsfreiraum da ist. Hat ziemlich lange gedauert, weil sich dort über eine lange Zeit viel Kram angesammelt hatte und als wir fertig waren, war ich völlig erledigt aber auch froh. Es war so ein gutes Gefühl etwas sinnvolles tun zu können, zu helfen, auch wenn es natürlich an der Situation nichts ändert.

Den Tag haben wir dann abends noch alle zusammen gegessen. Meine Freundin, ihr Mann, ihr Sohn und ein anderer Freund und ich habe erkannt, das ich doch noch eine Familie habe, auch wenn fast alle meiner eigenen Verwandten bereits verstorben sind. Es war genau wie früher, als wir noch alle zusammen in einem Haus gewohnt haben, einen gemeinsamen Garten hatten. Ich sollte vielleicht dazu sagen das der Kontakt einige Zeit fast gar nicht vorhanden war. Es hat sich irgendwie so ergeben. Meine Frau und meine Freundin haben sich nicht wirklich verstanden und so ist der Kontakt einfach eingeschlafen. Damals habe ich das gar nicht so richtig bemerkt.

Und als Romy gestorben war, da stand meine Freundin einfach vor der Tür nahm mich in die Arme als wäre nie etwas gewesen. Da konnte ich zum ersten Mal richtig weinen, die Tränen kamen mir einfach und ich konnte lange nicht aufhören. Ich frage mich wirklich womit ich solche Freunde verdient habe, die immer für mich da sind egal um was es geht und ich hatte nicht einmal die Kraft, mich um die Freundschaft zu bemühen. Es macht mich traurig das ich damals nicht erkannt habe wie wertvoll diese Menschen für mich sind. Um so besser fühle ich mich deswegen, wenn ich auch wirklich mal etwas zurück geben kann.

Mein Therapeut, bei dem ich derzeit noch in Behandlung bin sagte zu mir, das es nicht ungewöhnlich ist für Freundschaften die während der Jugendzeit geschlossen werden, einen festen Bestand im Leben einzunehmen, auch wenn es mal Zeiten gibt in denen man sich nicht sieht. Vielleicht ist es das. Wir kennen uns nun schon fast 22 Jahre. Ich weiß noch das ich damals 12 oder 13 gewesen sein muss, als sie nebenan mit ihren 4 Kindern eingezogen sind. Und wenn ich so zurück denke... was wir alles zusammen erlebt und auch durchgemacht haben, wie ich auf die Kinder aufgepasst habe in den Ferien weil (haha, damals hätte ich gesagt "die Erwachsenen") alle arbeiten mussten. Als meine Mama krank wurde und gestorben ist und dann meine Oma. Wie ich völlig verzweifelt damals Rat gesucht habe weil ich nicht weiter zur Schule gehen wollte aber nicht wusste wie ich meiner Mutter beibringen soll, das ich viel lieber eine Ausbildung machen würde um eigenes Geld zu verdienen und meine Freundin mich damals unterstützt und die richtigen Worte gefunden hat die mir fehlten.

Und heute? Heute bin ich ein anderer Mensch. Weil ich viel mit mir selbst kämpfen musste und meine Frau mir eine Stärke mitgegeben hat, die ich nicht für möglich gehalten habe.
So traurig die Umstände auch waren die zu dieser Veränderung geführt haben, bin ich unendlich dankbar dafür. Ich weiß jetzt das nicht alles verloren ist wenn man einen geliebten Menschen - den einen Menschen fürs Leben - verloren hat. Sondern das es auch andere Dinge gibt die es Wert sind gepflegt zu werden.
Endlich kann ich mich wieder auf Freundschaften einlassen die ich so lange Zeit während meiner Depression einfach beiseite geschoben habe. Ich bin dankbar dafür, das die wenigen Menschen in meinem Leben die mir geblieben sind auch eine Familie sind auf die man sich jederzeit verlassen kann - egal wie schlimm es auch wird. Das tut so gut, auch wenn es mich komischerweise zum Weinen bringt. Ich wünsche mir Romy könnte das erleben. Könnte wissen, das ich nicht alleine und verloren da stehe. Denn das war eine ihrer größten Sorgen, das ich mich wieder zurück ziehe in mein kleines Schneckenhaus, aus dem sie mich so mühsam herausgeholt hat.

Warum konnte ich nicht schon so sein als sie noch gelebt hat? Das wäre es gewesen was sie verdient hätte. Ich war lange Zeit nur mit mir selbst beschäftigt, habe das jedoch nicht erkannt. Wie sehr muss sie mich geliebt haben um dennoch bei mir zu bleiben. Wir hatten schwere Zeiten und wundervolle Zeiten und es tut so sehr weh, das sie nicht mehr da ist um zu erleben, wie ich meinen Weg gehe. Das wir den Weg nicht mehr zusammen gehen können.

Bitte entschuldigt den langen Text, das Durcheinander. Es musste raus. Ich bin wirklich dankbar für dieses Forum und die tollen Menschen die ich auch hier kennen lernen durfte. Ich möchte euch allen nochmal viel Kraft wünschen. Wir alle haben manchmal etwas bessere Tage und dann kommen wieder viele dunkle, schlimme und schmerzhafte Stunden auf uns zu. Für diese dunklen Zeiten möchte ich euch einfach mal ein kleines Licht anzünden.
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Ich werde dich/euch immer lieben und so in Erinnerung behalten, wie du/ihr war(s)t.

Romy, mein Schatz 27.04.1981 - 26.04.2015
Gedenkseite

Meine Mama 23.10.1952 - 23.05.2005

Mein Papa 14.04.1946 - 20.02.1984

Geändert von Servala (30.08.2015 um 12:55 Uhr)
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