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Alt 20.01.2014, 19:57
a_nna a_nna ist offline
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Standard AW: Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Zitat:
- Wen habt ihr verloren (Vater oder Mutter)? Wie alt wart ihr zu dem Zeitpunkt?
Vater (60), ich 27

Zitat:
- Wie lange dauerte die Krebserkrankung?
offensichtlich schon viereinhalb Monate, bevor er etwas sagte. Ich erfuhr 12 Tage vor seinem Tod durch seinen Anruf davon. Er habe nur noch 10 Tage zu leben, habe bereits alles mögliche geregelt, sei jetzt im Krankenhaus und müsse mit mir sprechen, weil er ABC nicht erreiche.

Zitat:
- Wie habt ihr die Zeit der Trauer durchlebt
beschissen. Es hat Jahre gedauert bis mir klar war, dass uns die intensiven Gespräche in den 12 Tagen zwei Tage mehr geschenkt haben. Aber auch, dass er, nach dem er alles "geregelt" hatte, zufrieden (glücklich und frei) war, es noch geschafft zu haben und dann einfach sterben wollte.

Problematisch war / ist, dass er *nicht* wollte, dass meine Ma von der Krebserkrankung und dem bevorstehenden Ende erfuhr. Er wolle in Ruhe und in Würde sterben, könne jetzt kein Heulen und Zähneklappern gebrauchen. Er könne auch nichts erklären und Aufhalten.

Sie interpretiert es als fehlendes Vertrauen und wird Näheres auch nicht erfahren. Mein Wort gilt und es muss nicht noch mehr Verletzungen über den Schock hinaus geben.

Zitat:
- Welchen Einfluss hat der Verlust des Elternteils auf euren Alltag?
natürlich fehlt er mir und uns. Mit dem Anruf, den Gesprächen und seinem Tod bin ich schlagartig "erwachsen" geworden. Trotz Betroffenheit und Gradwanderung zwischen den Gedanken des Sterbenden und meinen zu lernen, "das Richtige zu tun" und dazu zu stehen.

Zitat:
- Wie ging es für euch weiter im Job / Studium?
anders: wie ging es trotz Job, trauernder Familie / Mutter und den eigenen Gedanken weiter ?

Vater hatte wirklich sorgsam vorgearbeitet. Seine Zeitschriftenabos abbestellt, Versicherungs- und Steuerunterlagen durchgearbeitet, Erbsachen im Vorfeld geregelt und eine Übersicht erstellt, aus der der Status der Dinge hervorging, was erst nach seinem Tod zu regeln sei, was Priorität habe usw.

Ich habe systematisch zwischen Trauer und Absicherung meiner Mutter getrennt. Ihr war die Organisation der Beerdigung wichtig - gut ! Derweil habe ich mich um den Verträge, Erbschein usw. gekümmert; seine Arbeitsutensilien zusammen getragen, Garage aufgelöst usw.

Natürlich hatte es Einfluß auf den Job. Aber die Welt dreht sich weiter und Mutter hat gut dafür gesorgt, dass es nicht zur Pause kam (mehrfach ausgeschlossen, Schlüssel in der Wohnung; Unterlagen verlegt; div. Dinge vergessen; auf der Straße zusammengebrochen - Krankenhaus usw.).

Zitat:
- Umfeld: Findet ihr viel Verständnis und Trost in eurem Freundeskreis? Fühlt ihr euch verstanden?
nein, die waren einfach nur betroffen (1991). 12 Jahre später hatte ich durch Zufall Kontakt mit einem ehem. Kollegen meines Vaters. Er suchte das Gespräch, schickte mir ein Foto aus alter Zeit im Kollegenkreis und wir sprachen intensiv über Trauer etc.

Im Prinzip hat mich die "Erlösung von der Trauer" gefunden, nicht umgekehrt.

Zitat:
- Habt ihr eine große oder kleine Familie (Einzelkind)?
Einzelkind, Widder, geografisch und mental weit zersplitterte Familie

Zitat:
- Hat sich der Verlust bei euch körperlich geäußert (z.B. Schlafstörungen, Schmerzen, Unruhe, Krankheiten, was auch immer)
Jein. Unruhe - logisch. Was sind schon Schlafstörungen ? Ich habe einfach nachts gearbeitet, mich tagsüber um meine Ma gekümmert. Irgendwo dazwischen gedämmert. Ungefähr ein Dreivierteljahr.

Zitat:
- Inwiefern habt ihr euch danach verändert?
konsequenteres Auftreten, präzisere Einschätzungsfähigkeit und eine unendliche Resilienz mit Überlebensprinzipien: Konzentration auf sich selbst, die innere Stimme und Intuition. Auch wenn es nahe geht, kann es mich nicht blockieren. Auch in der ausweglosesten Situation finde ich einen Weg, notfalls konstruiere ich ihn neu. Bevor die Anderen (meine Familie) auf der Strecke bleiben, kümmere ich mich und nehme sie mit.

Zitat:
- Inwiefern hat sich eure Lebenseinstellung / Lebensanschauung verändert?
Vor allen Dingen eine klare Differenzierung von Prioritäten und Abhängigkeiten.

Aus dem Ablauf bei meinem Vater und meiner späteren Lebenserfahrung habe ich gelernt, wesentlich besser meine und andere Interessen zu identifizieren und zu differenzieren. Insbesondere sind die zehn Tage für die Kürze eines Lebens, in der Jemand versucht Vollendung und Frieden (mit sich und anderen) zu erreichen, sind fester Lebensbestandteil geworden. Wenn es so kurz ist, ist es notwendig und angemessen, eigene Interessen (im Job, neben dem Job usw.) zu entwickeln und zu pflegen. Es gibt mehr als morgens aufzustehen und nachts ins Bett zu fallen. Ich möchte nicht dumm sterben, weiter und mehr entdecken und wissen. Klar, auch um es meinem Kind weitergeben zu können. Sagen wir mal: die kontinuierliche Suche nach Erfüllung und Arbeit daran. Da lass ich mich nicht aufhalten. Zeit hat keinen Ablaufwert.

Zitat:
- Was hat euch in den Zeiten der Trauer besonders gut getan und was ging überhaupt nicht?
gut getan: schrittweise Ruhe zu erreichen: Beerdigung, Materielles regeln, zu vielen kleinen Teilantworten zu kommen und "zu verstehen".
Weniger gut getan: die Beerdigung an sich, die "Statusübersicht" und das ewige Erfinden passender diplomatischer Ausreden auf Fragen meiner Mutter.

Zitat:
- Was hat die schwere Zeit vor dem Tod - die Krebserkrankung - in euch verursacht, in euch verändert?
Respekt vor dem Willen des Kranken / Sterbenden, sich komplett zurück zu stellen und ggfs. auch gegen den eigenen Willen zu handeln.

Zitat:
- Glaubt ihr an ein weiterleben nach dem irdischen?
-)
ich werde auf jeden Fall weiter leben. Habe ja noch viel vor. Aber ... da ich dem Einen & Anderen geschworen habe, auf seinem / ihrem Grab zu tanzen, wird das noch nicht so rasch sein.

Andere leben durchaus gefühlt weiter. Mein Vater gibt mir Hinweise und beeinflusst auch mein Gefühl für die Dinge. Meine vor einiger Zeit verstorbene Frau nimmt allerdings wesentlich stärker Einfluß auf meine Intuition und Entscheidungen. Falls ich tatsächlich Zeit und Lust haben sollte zu sterben, hoffe ich einfach, dass wir uns wiedersehen, um uns wieder zusammen zu tun. Egoistisch gehe ich davon aus, sie warten auf mich und erkennen mich noch.
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