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Alt 07.04.2014, 17:04
Birgits Schwester Birgits Schwester ist offline
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Standard AW: Trauern um verstorbene erwachsene Geschwister

Hallo an alle hier,

nun komme ich doch erst heute dazu, hier zu schreiben.

Mir geht es auch nur unwesentlich besser. Mancher Tag ist so, ein anderer wieder so, aber nie ist alles gut.

Wir haben ja vor geraumer Zeit den Schrank meiner Schwester ausgeräumt. Mein Schwager hatte meine kleine Schwester und mich darum gebeten. Er selbst hätte es nicht gekonnt. Und er konnte auch nicht mehr auf ihn schauen aus seinem Bett. Im Schrank war ja noch alles so, als wäre nie etwas passiert.

Seit diesem Tag bin ich meilenweit zurückgeworfen worden. Der Tod und die Beerdigung, damit muss man irgendwie zurechtkommen, irgendwie lernen, es überhaupt erstmal zu akzeptieren, um dann zu trauern und einen Weg, einen versöhnlichen und gangbaren Weg zu finden, wieder ein Alltags-, normales Leben zu führen. Den Schrank ausräumen aber war ganz entgegengesetzt dem Tod plötzlich wieder IHR Leben. So viele Kleidungsstücke konnten wir Situationen zuordnen. Erinnerungen? Ja, nur noch viel zu früh, als dass sie geholfen hätten oder Dankbarkeit hervorgerufen hätten, dass uns zumindest Erinnerungen geblieben sind. Wie wollten doch SIE wiederhaben. Dann die Gerüche...Und dann fielen uns zwei ärztliche Befunde entgegen, als wir einen großen Stapel Pullover aus dem Schrank hoben. Einer geöffnet, einer noch geschlossen. Die Fragen, die sich daraus ergaben, könnt Ihr Euch sicher denken. Warum? Wollte sie vielleicht, dass.? Wollte sie vielleicht selbst nicht wissen, dass..? Es war fast unmöglich Kraft zu finden, weiterzumachen.

Heute weiss ich nicht mehr, wie wir es schafften, unsere "Aufgabe" zu erledigen. Vielleicht wollten wir es nur hinter uns bringen, um nicht nochmal an diesen Schrank zu müssen. Vielleicht war es aber auch unser Schwager und unsere Nichte, die wir davon erlösen wollten, diesen Schrank voller Leben anzusehen.

Wie gesagt, davon habe ich mich noch nicht so recht wieder erholt. Und der Frühling, nun ja, der erste Frühling ohne sie. Ja, Störchin, Du sagst es, es ist eine Tragödie, die uns allen hier widerfahren ist. Die Tragödie zu verarbeiten braucht Zeit, hält Tiefen bereit. Auch Höhen, aber nur um sich zu erholen und Kraft zu tanken für den noch langen Weg. Benötigt Geduld und Verständnis von Freunden. Und vielleicht auch für Freunde. Sie können es nicht wissen, soweit selbst noch nicht erlebt, was so ein Verlust mit einem macht. Und erklären kann man es doch auch niemanden wirklich, der nicht selbst drinsteckt. Die Seele erklären? Dafür reichen doch die uns zur Verfügung stehenden Worte nicht aus.

Deshalb ist es so wichtig, wertvoll, tröstend und heilend, dass man sich in einem Forum mit Gleichbeschmerzten austauschen kann. Hier genügen die uns zur Verfügung stehenden Worte allemal. Deshalb danke, Störchin, dass Du diese Seite ins Leben gerufen hast. Ist doch der Verlust von Geschwistern noch eine ganz eigene, spezielle und in Trauer- und Verlustforen vernachlässigte Tragödie.

Meinen Schwager hat es es jetzt ganz schlimm erwischt. Sein Funktionieren als Vater und im Berufsalltag, im Leben überhaupt, wurde nun, für ihn völlig überrraschend, von einer so tiefen Depression, Verlustängsten, hypochondrischen Ansätzen und einer beunruhigenden Zukunftsangst eingeholt, dass er sich Hilfe suchen muss und wird. Das hat am Wochenende viel Kraft von mir abverlangt, mit ihm zu reden, ihn zu trösten usw., steckt man doch selber noch im Lebensniemandsland und ist dann am Ende so ausgelaugt, dass man sich fragt, wie man dazu eigentlich in der Lage war.
Doch aus diese Gespräche helfen einem ja nachhaltig auch selbst, man verarbeitet dadurch ja auch wieder etwas und ist ein Stück weiter.

Ja, ich lass den Kopf oft noch hängen. Aber nur zur Erholung.Damit er dann Kraft hat, eine Weile oben zu bleiben. Und das tut er auch. Und es gibt sie, die guteren Tage. Auch Freude gibt es. Und Dankbarkeit für all die Dinge, die da sind. Es gibt Alltag, Ärger über Rechnungen und das Finanzamt, ein Juhu über einen sonnigen Tag mit Freunden. Schuhe, die drücken. Missmut, wenn das Auto kaputt ist und Spannung, ob gessäte Kräuter spriessen. All die ganz normalen Dinge.

Und wie im Moment die Bäume grünen, die Blumen blühen, die Natur duftet... auch das erfreut mich und ist sehr schön. Aber eben noch mit dem traurigen Nebengefühl, dass sie, meine liebe Heike, dieses Jahr nicht mehr dabei ist. Und dann läuft sie, die Träne der Traurigkeit.

Und ab und an, ganz kurz, habe ich ein schlechtes Gewissen, mich des Lebens zu freuen. Eben weil sie das nicht mehr kann. Doch dann sage ich mir: Ich liebe mein Leben. Und dann schaue ich auf ihr Foto und sie sagt:
So ists richtig! Zeit wirds auch, liebe große Schwester!

Schritt für Schritt, jeder in seinem eigenen Tempo und jeder mit seinen Möglichkeiten werden wir eines Tages den Verlust in unser Leben so integriert haben, dass die schönen Tage überwiegen. Und der Kopf wird, ganz sicher so lange wir leben, immer wieder mal hängen. Für den Moment, in dem die Träne der Traurigkeit über unsere Wange kullert.

Fühlt Euch gedrückt und verstanden.

Viel Kraft und ganz liebe Grüße an Euch alle.

Birgit
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