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Alt 29.09.2015, 00:28
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HeikesFreundin HeikesFreundin ist offline
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Standard AW: Palliative Sedierung und eingeschlafen - Selbstvorwürfe

Hallo Nico,

zuerst einmal möchte ich Dir mein Mitgefühl zum Tod Deines Vaters aussprechen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Du Dich in der Situation unwohl fühlst
und Dir Vorwürfe machst - aber das musst Du nicht.

Vermutlich wird es so gewesen sein, dass die Ärzte mit Deinem Vater eingehend gesprochen
haben, als niemand von euch dabei war.
Bei uns (in unserer Situation und auch in dem Hospiz in dem ich arbeitete)
wurde IMMER zeitnah nach der Aufnahme ein solches Gespräch mit den Patienten selbst
geführt - wenn es denn noch möglich war.

Darin wurde immer abgeklärt, was der Patient sich für den Fall, dass er Schmerzen oder
eben auch die Gedanken und Ängste nicht mehr aushält (oder aushalten will) wünscht.
Und - wie Du Dir sicherlich vorstellen kannst - wünscht sich kein Patient, starke Schmerzen
aushalten zu müssen oder eben unter Ängsten zu leiden.
Du selbst würdest Dir das auch sicherlich nicht für Dich wünschen, hm?
Vor allem nicht, wenn keine Aussicht mehr besteht, gesund zu werden.

Also entscheiden die Patienten meistens mit den Ärzten gemeinsam, dass
sie ein Zeichen geben, wenn sie ihren Zustand nicht mehr aushalten - darin eingeschlossen
sind nicht nur die Schmerzen, sondern auch das ständige angstvolle Denken ans Sterben.
Und die meisten Patienten entscheiden sich für die Gabe von Morphium - auch in dem Wissen,
dass das Morphium ihre Lebenszeit noch verkürzen kann.

Meine Freundin hatte auch ein solches Gespräch - und irgendwann bekam sie
Palladon gegen die Schmerzen und auch, weil sie psychisch das Ganze nicht mehr verkraftete.
Mit dem Palladon war sie in einer Art Dämmerschlaf mit ganz kurzen Wachphasen und irgendwann
wachte auch sie nicht mehr auf. Vielleicht hätte sie ohne Morphium noch 2 Tage länger "gelebt", aber hätte
sie das wirklich? Um welchen Preis?

Für uns war es ein Segen, dass sie keine Schmerzen mehr leiden musste
und auch keine Angst - und wir haben respektiert, dass sie es für sich so entschieden hat.,
obwohl sie erst 48 war.

Du schreibst, dass Dein Vater 2 Jahre gekämpft hat - mit guten und schlechten Tagen und dass es ihm
am Ende nicht mehr gut ging, dass er Angst und Schmerzen hatte. Für mein Gefühl habt ihr alles richtig gemacht -
außer dass ihr nicht mehr mit ihm sprechen konntet.
Das ist sehr sehr schade, aber jetzt nicht mehr zu ändern.

Was ihr hättet tun können, wäre gewesen, dass ihr schon viel eher miteinander gesprochen hättet.
ABER: das wollte er nicht (vielleicht weil er es nicht konnte) und das solltet ihr nun zu respektieren versuchen.

Vielleicht könnt ihr mit etwas Abstand dahin gelangen, für ihn froh
zu sein, dass er nicht mehr leiden musste und muss und vielleicht könnt ihr dann auch Verständnis dafür aufbringen,
dass er nach 2 Jahren Kampf, als er merkte, er kann nicht mehr, aufgegeben hat.

Möglicherweise wollte er euch einfach nicht so schwere Gespräche und eine so schwerwiegende Entscheidung auflasten.

Er ist "seinen" Weg auf "seine" Weise gegangen - bis zuletzt.

Behaltet euren sturen Papa in liebevoller Erinnerung - und vielleicht könnt ihr aus der Situation lernen,
dass man mehr miteinander reden sollte

Von Herzen ganz viel Kraft
wünscht

Angie

darüber nachdenken,

Geändert von HeikesFreundin (29.09.2015 um 00:32 Uhr)
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