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Alt 09.01.2012, 20:49
Mereja Mereja ist offline
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Standard AW: Wie weiterleben ohne mein Kind?

Hallo Eli333,
Dein erster Bericht ist mir unter die Haut gefahren, ich kann Dich so gut verstehen, auch wenn Dir das sicherlich nicht viel hilft. Ich kann ja kurz berichten, denn das, was Du schreibst, kenn ich gut. Ich habe meinen Sohn verloren, er hatte Lymphkrebs, seltene unerforschte Form; er war 6 Jahre alt, ein strahlendes, pfiffiges lebensfrohes Kerlchen. Er hat 1,5 Jahre gekämpft. Je weiter ich in die Materie einsteige, desto fataler erscheinen mir kleinere und größere ärztliche Fehlentscheidungen, für die niemand verantwortlich zeichnet - man sichert sich ja ab. Ich habe in den ersten 2 MOnaten nach dem Tod meines geliebten Kindes geraucht was ging, um ihm nachzufolgen (Lungenkrebs), weil hier alles unendlich sinnentleert war -bis ich den Qualm nicht mehr ertragen konnte - dumme Idee. Die Menschen rundum waren so hilflos, daß sie sich separierten, sie wollten, wie Du es auch schreibst, nichts mehr "dazu" hören. Ich hatte den Eindruck, als käme mit mir das Bewußtsein für Tod in ihre Familien. Man sagte gern, ich könne mich ja melden, aber dazu fehlte mir die Kraft. Ich habe versucht, über den Verein verwaister Eltern Hilfe zu bekommen, traf bei den 2 angerufenen Kontakten aber für mein Gefühl eher auf eine Vermarktung von Kursen: "...beeilen Sie sich, ich und mein Mann nehmen nur 12 Teilnehmer, der letzte Kurs ist fast voll...". Das war Pech, es gibt tolle Leute dort, aber ich wollte nicht mehr. Eine Bekannte nannte mir schließlich eine Trauerberaterin an einer ökomenischen Kirche hier, die mir unglaublich gut tut - sie fängt da an, wo Psychologen auch nicht weiter wissen, Profi eben. Ich versuche, mir eine Art Leben aufzubauen, d.h., wieder allein kochen zu lernen, zu arbeiten, wenn auch weniger als vorher, ein altes Hobby auszugraben und Kontakte zu halten (1/2h Kaffeetrinken für den Anfang) mit Menschen, die offen sind und die ich mag. Ich sage immer "es geht irgendwie, mal gucken,. Jeder hat sein Päckchen, Ihres ist anders, aber eben Ihres. Lenken Sie mich etwas ab, das tut gut, erzählen sie ein bißchen, was es rundum so gibt." Ich versuche, den anderen die drückende Last zu nehmen, vor der sie Angst haben. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht. An den üblichen einsamen Wochenenden kommen dann die Löcher, ich weine viel und das ist gut. Ich gucke mir Photos an, schreibe meinem Sohn Briefe und versuche die Erinnerung wach zu halten, weil ich Angst habe, sie zu verlieren. Es gibt sehr gute Trauerbücher, die mir meine Trauerberaterin immer noch ausleiht; sie sind zum Heulen gut, in ihren Photos von Skulpturen, Gedichten, Erfahrungsberichten. Allein die Erkenntnis, daß ich nicht allein bin mit meinem Schickal, tut unendlich gut. Tabletten habe ich auch verordnet bekommen, aber nur 2 genommen - ich muß dadurch, dann besser ganz, habe ich gedacht, die Sorgen schwimmen sowieso, auf Alkohol wie auch auf Tabletten. Es legt sich nach und nach ein kleines neues Leben über das schönste, das ich mir vorstellen kann, das verlorere. Es ist anders als früher allein, nämlich nicht voller Pläne und Hoffnungen. Vielleicht kommt das noch, ich weiß nicht. Bei Bekannten ist ein junger Familienvater am plötzlichen Herztod gestorben; das ist auch furchtbar, nur anders. Ich habe auch Hilfe in der spirituellen Ecke gefunden, um diese Denkansätze mal so zu nennen. Es tut mir gut, die kirchliche Lehre darum zu erweitern. Ich spreche immer noch mit meinem Sohn und freue mich, wenn ich von ihm träume. Beim Aufwachen kommt der Weltenwechsel, den ich mit unserer frisch gepreßten O-Saft-Tradition langsam vollziehe. Den Menschen, die mir helfen, von meinem Kind erzählen zu dürfen, wie Kindergarten oder Schule oder Tagesmutter, bin ich unendlich dankbar. Das Wutrasen wird weniger, der Zorn wird milder, die Hoffnung wird zumindest nicht kleiner. Ich gehe nur etwa 1x/ Woche zum Friedhof und richte immer etwas kleines am Grab, natürlich unter vielen Tränen, warum auch nicht? Es gehört dazu, zu meinem Leben. Ich habe noch ein Kind, auch wenn es nicht mehr lebt. Es lebt in meiner Liebe zu ihm weiter und ich fange an, neben der Verzweiflung, die immer wieder kommt, ganz langsam dankbar zu werden dafür, daß es ihn gab, daß er mein Sohn geworden ist. Andere dürfen so etwas nie erleben. Gut, sie erleben auch nicht das Sterben ihres Kindes in ihren Armen die furchtbare Zeit der Verzweiflung, wenn einem gesagt wird, daß es sterben wird. Warum muß ich das erleben? Warum soll ich mich das noch fragen, ich habs so oft getan ... Ich versuche einfach, in die Formen des Lebens zu fließen und diese ein bißchen mitzugestalten. Vielleicht schaffe ich es.......ein Leben. Ich wünsche Dir viel Kraft und liebe Menschen (oft daher, wo man sie eher nicht vermutete, während die, von denen mans am ehesten erwartete, fast ausfallen), die Dir ihre Wärme und Aufmerksamkeit zuteil werden lassen und Dir damit ein Stückelchen ihrer Kraft überlassen, wenigstens für eine kleine Zeit lang. Ich wünsche Dir, daß Du die ganzen 5-Minutenstückchen eines Tages nach und nach überlebst und die Nächte durchstehst. Es wird besser, zwischendurch immer mal wieder und man ertappt sich sogar dabei, daß man noch lachen kann, voller echter Freude.

Geändert von Mereja (11.01.2012 um 19:59 Uhr)