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Alt 15.12.2005, 08:21
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AndreaS AndreaS ist offline
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Registriert seit: 09.02.2005
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Standard AW: Wie verarbeitet Ihr die Trauer, den Schmerz?

Lieber Gerhard,

ich weiß nicht, ob du dir zwischenzeitlich ein wenig Lektüre besorgt hast. Ich denke wir, die wir zurückbleiben müssen, haben eben nicht unsere Aufgabe erfüllt. Wenn man davon ausgeht, dass es vielleicht darum gehen kann "Liebe" zu lernen (ich weiß, es klingt immer alles dämlich) so muss man trotz all des Schmerzes wohl zugeben, dass - selbst wenn für uns immer klar war, dass wir unsere Partner lieben - ein so inniges und absolutes Liebesgefühl wie während der Begleitung auf dem letzten Weg und jetzt, da wir den Kampf verloren haben, niemals zuvor empfunden wurde. Ich glaube, dass ich leider erst jetzt wirklich begreife, wie sehr ich meinen Mann liebe. Ich fühle es so intensiv, so ausschließlich wie niemals zuvor. Und diese Liebe wird alles überleben, die Körper unserer Lieben ebenso wie die unseren. Denn sie hat etwas mit unserer Seele und nichts mit unserem Kopf zu tun, sie ist Teil des Unterbewusstseins, etwas, das man nur fühlen aber niemals beschreiben kann.

Ich war total erschrocken, als ich deine Zeilen gelesen hatte, dass du befürchtest, deine Frau könnte eventuell noch Schmerzen haben. Niemals hatte ich sowas in auch nur Ansatzweise in Erwägung gezogen. Leicht irritiert habe ich es meiner Tochter erzählt, woraufhin diese ganz spontan antwortete: Aber wie sollen sie denn noch Schmerzen haben? Dafür braucht man ja schließlich den Körper und den haben sie zurückgelassen, weil die Seele keine Hülle mehr braucht. Ja, mein Kind hat es glaube ich formuliert, wie es ist.

Lieber Gerhard, ich würde dich so gerne trösten, würde dich so gerne überzeugen davon, was ich ganz oft (leider nicht immer und eigentlich viel zu selten) als gegeben empfinde. Die Bilder deiner kranken Frau werden verblassen, du musst sie noch eine Weile sehen, weil auch du im vergangenen Jahr keine Zeit hattest zu verarbeiten, was mit euch passiert. Du wirst die Bilder aber irgendwann nicht mehr nur als schmerzlich empfinden, sondern dankbar sein, dass du die Möglichkeit erhalten hast, ihr deine Liebe auf so selbstlose und ausschließliche Art zu zeigen. Du wirst es als Glück empfinden, dass du sie auf ihrem letzten Weg begleitet hast. (Du hast vielleicht gelesen, dass ich selbst auch ganz oft wieder verzweifelt bin und dass ich dann für mich alles, was ich dir jetzt schreibe nicht in den Vordergrund schieben kann, weil der Schmerz und die Trauer einfach überhand nehmen.) Aber vielleicht glaubst du mir gerade auch wegen meiner oftmals verzweifelten Beiträge, dass diese eben beschriebenen Gefühle kommen, dass sie Teil von uns werden.

Und irgendwann wirst du nicht mehr weinen, wenn du an sie denkst. Irgendwann wird nur noch das warme Gefühl eurer innigen Liebe in dir sein, du wirst lächeln darüber, dass sie immer so diskret im Hintergrund bleiben wollte, du wirst lächeln und dich glücklich und dankbar erinnern. Und die Dankbarkeit wird den Schmerz ablösen und dir wird ganz bewusst, dass du ein großes Geschenk erhalten hast, damals, als deine liebe Frau dein Leben gekreuzt hast.

Ich hoffe, meine Worte klingen nicht zu leer und nichtssagend für dich, sondern lassen dich ein wenig nachdenken und hoffen, dass es irgendwann für uns alle erträglicher wird.

LG
Andrea
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και δεν επέστρεψες
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