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Alt 17.03.2002, 12:53
Gast
 
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Standard Die Achterbahn der Trauer

Liebe Christiane,

vielen Dank für Deine Antwort. Das mit dem Traum ist ganz normal - Träume sind ja eine Form der Verarbeitung. Dein Traum zeigt, dass Du mit der Trauerarbeit im Prinzip schon angefangen hast. Ich kenne solche "Realträume", hatte sie gerade in den Tagen nach meinem Rückflug besonders intensiv. Es gibt sogar Momente, in denen ich irgendwas erlebe und spontan denke: 'Mensch, das muss ich Gary erzählen.' Einmal hätte ich ihm sogar fast eine E-Mail geschrieben.

Christiane, es tut mir so leid, dass Du ganz allein da durch gehst. Gibt es denn wirklich niemanden in Deiner Nähe, an den Du Dich einfach mal anlehnen kannst. Ich weiss, dass Schreiben hilft. Mir hat Schreiben in der ganzen Zeit von Garys Krankheit enorm geholfen. Egal ob E-Mails, Diskussionsbeiträge in der Newsgroup alt.support.cancer oder sogar ein Buch. Ja, ich habe in der Zeit meinen Roman zu ende geschrieben. Er erscheint Ende August. Trotz allem konnte diese wilde Schreiberei die realen Kontakte nicht ersetzen. Zugegeben: Die Zahl der "Freunde" ist erheblich geschrumpft, und übrig geblieben sind eigentlich nur zwei - aber das Thema hatten wir hier ja schonmal. Viele Menschen können mit Krebs und Tod nicht umgehen - vielleicht weil es sie an ihre eigene Sterblichkeit erinnert. Sie können und wollen sich damit aber nicht auseinandersetzen.

Was hier noch dazu kommt, sind Erbstreitigkeiten. Gary hat ein Testament hinterlassen, in dem ich auch begünstigt bin. Darüber hat sein Sohn sich aufgeregt - sogar schon, als Gary noch in den letzten Atemzügen lag und ich von dem Testament noch gar nichts wusste und auch nicht wissen wollte. Als ich es erfuhr, konnte ich dieses Verhalten nicht begreifen. Ich war einfach noch nicht so weit, mich überhaupt mit diesen Dingen zu beschäftigen.

Schwer genug ist auch, dass hier umgehend die Wohnung aufgelöst werden muss. Der Mietvertrag ist zum 30.4. gekündigt. Es gibt kaum etwas Grausameres, als all diese persönlichen Gegenstände und gemeinsamen Erinnerungen in irgendwelche Kisten zu packen. Die Klamotten hab' ich nicht übers Herz gebracht. Da hat meine Mutter sich drum gekümmert. Meine Eltern waren für ein paar Tage her gekommen, um mir mit der Wohnung zu helfen. Als ich Garys gesamte Kleidungsstücke so fein säuberlich gestapelt auf dem Bett liegen sah, bin ich heulend zusammen gebrochen. In solchen Momenten kann und will ich nicht wahr haben, dass er wirklich tot ist. So viel ich kann von den Möbeln und Gegenständen nehme ich zu mir in meine Wohnung (ich war 1998 nach einer Beziehungskrise aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, und seitdem haben wir getrennt gewohnt, was der Beziehung gut getan hat).

Sein Grab ist Tausende von Kilometern entfernt, aber irgendwie finde ich das nicht so schlimm. Ich habe hier so viele Erinnerungsstücke an Gary, eine ganze Wand voller Fotos, ein Regal voller Souvenirs von unseren gemeinsamen Reisen usw., dass mir ein Grab als Gedenkstätte gar nicht fehlt. Ich finde es aber gut, dass Du hin gehst, wenn es Dir hilft. Ich werde im Sommer in die USA fliegen und Garys Grab besuchen.

Jedes Mal, wenn ich in seiner Wohnung bin, spalte ich die Trauer komplett von mir ab. Das ist dann eine andere Marianne, die neutral und mit Verstand an die Sachen 'ran geht. Es wäre sonst nicht zu ertragen. Trotzdem bricht es manchmal durch.

Was die Trauerarbeit angeht, kann ich Euch allen hier ein hilfreiches Buch empfehlen: "Einen geliebten Menschen verlieren. Vom schmerzlichen Umgang mit der Trauer", Doris Wolf, PAL-Verlag, Mannheim, 2001. Die Autorin begleitet einen darin durch die verschiedenen Phasen der Trauer und erklärt auf sehr einfühlsame Weise, was da in einem vorgeht. Dieser Ratgeber kann in der Zeit nach dem Verlust eine gute Stütze sein.

Auch dieses Forum hier hilft. Mir gibt es das Gefühl, nicht allein zu sein in meinem Schmerz. Und ich finde es wichtig, liebe Christiane, dass auch Du den Weg hierher gefunden hast - gerade weil Du niemanden hast, der Dich im Moment unterstützen kann.

Ich freue mich, hier bald wieder von Dir zu lesen.

Bis dahin sei ganz herzlich umarmt von

Marianne
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