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Alt 10.05.2005, 20:29
Gast
 
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Standard Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Alina,

danke für diesen schönen Brief den ich mehrmals gelesen habe. Wenn Du schon etwas über die Untersuchungen Deines Papas weißt, dann schreib mir das bitte. Werner meinte gestern ich mache ein bißchen viel Trara um den 12. Mai und er hat wirklich recht! Wir wissen ja schon alles und es geht nur darum wann, was, wie,
beginnt.

Liebe Alina, ich muß Dir sagen, daß ich nicht so "Kummerkastentantenmäßig" ein offenes Ohr habe, ich höre (bzw. lese) Dir wirklich gerne zu wenn Du über Deine Mama sprichst, über Euch beide und vor allen Dingen hoffe ich ehrlich noch viel mehr zu hören! Und ich hoffe, daß auch Du weiterhin über uns "Geschichten" hören willst.

Der Krebs den Deine Mama hatte, der hat all das Schreckliche was so eine Krankheit mit sich bringt wirklich noch überhöht. Umso mehr ist sie zu bewundern und auch Dich bewundere ich Dich, daß es Dich nicht verhärtet hat.
Meine Mama hatte Eierstockkrebs. Von der Diagnose an lebte sie noch drei Jahre. Die Operation steckte sie locker weg, es war unglaublich, immerhin war sie 78.

Ja, es ist schlimm, wirklich schlimm, es ist unglaublich, nicht zu begreifen, man ist fassungslos, daß es bald einmal so ist, als wäre der Mensch nie da gewesen. Ich habe ein paar Freundinnen die meine Mama sehr lieb gehabt haben, mit denen kann ich nicht nur über meine Mama reden, die vermitteln mir glaubhaft, daß auch sie meine Mama vermissen. Der Mensch, mit dem ich am liebsten über sie reden würde, verweigert sich mir wie auch Dir: der eigene Bruder. Als wir nach ihrem Begräbnis heimkamen sagte er, so für mich ist das jetzt abgeschlossen. Dabei war er ein lieber Sohn,er hat die Mama gern gehabt, aber wenn ich nur einen Satz sage wie ... ach, wenn doch die Mama ....dann reagiert er immer gleich. Er sei froh, daß die arme Mama sterben konnte, er würde ihr nicht wünschen, so weiterzuleben. Wir können kaum über sie sprechen und weil das so ist,kann ich leider auch nicht mehr viel mit ihm sprechen.

Als ich vor ein paar Monaten ein paar von Mamas Tischdecken bügelte war eine dabei von ihrer Tante, schöne Weißstickerei, mit Monogramm der Tante. Ich hab dann zurück gerechnet, also die Tischdecke ist gut und gerne 80 Jahre alt und wenn man aufpaßt ist sie noch ein paar Jahrzehnte zu verwenden. Es ist bizarr, daß jede blöde Tischdecke, jedes noch so sinnlose Ding einen nicht nur überlebt, sondern eine Geschichte erzählen könnte.

Mama hatte zu jedem Geburtstag und Sterbetag ihrer Toten eine Kerze angezündet. Das habe ich immer eine schöne Idee gefunden und ihr gesagt, das will ich fortsetzen. Ich bin froh, daß wir diese Idee nicht aufgeschoben haben. Ich hab ein hübsches Kalenderbücklein gekauft und sie hat mit ihrer schönen runden Schrift all die Daten hineingeschrieben. Leider mußte ich selbst schon einige neue dazuschreiben. Unlängst hatte ihr Bruder Erwin Geburtstag. Erwin, der als 21jähriger zu Kriegsende gefallen ist. Ein Foto habe ich von ihm, hinten steht in seiner Schrift... "als Erinnerung an deinen Bruder". Ich weiß nicht viel von ihm, ich weiß er war ein paar Monate vor Kriegsende auf Urlaub daheim. Soll am Fenster gesessen sein, hat zu seinen geliebten Bergen hingesehen, viel geweint und gesagt er wisse, daß er nicht wiederkomme.Ja und wenn ich dann an Erwins Geburtstag sein Foto zu meinem "Gedenkaltar" hinlege, die Kerze anzünde dann weiß ich, daß kein Mensch, wirklich kein Mensch an ihn denken wird wenn ich es nicht mehr tu.

In diesem Zusammenhang muß ich nun "Das Echolot" von Walter Kempowski erwähnen, in dem ich immer wieder lese. Wenn ich Kempowski sehe und höre, wenn er mit seiner leisen, etwas monotonen Stimme über seine Beweggründe schreibt dieses Wahnsinnswerk über 20 Jahre lang bearbeitet zu haben, dann weiß ich und verstehe ich was ihn dazu getrieben hat.

Nun liebe Alina werde ich zu einem Ende kommen. Ich muß ja nicht ALLESheute schreiben. Über die Hexen das nächste Mal. Heute möchte ich dazu nur sagen, Mama dachte das über mich, ich über sie, und keine von uns von sich selbst.

Alles Liebe und ich sitze gerne in Deiner Küche.
Briele