Thema: Neu betroffen
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Alt 05.01.2019, 13:17
Rei87 Rei87 ist offline
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Standard AW: Neu betroffen

Januar 2019. Wir schreiben das Jahr 2 „n.Kr. – nach Krebs“ wie der Stand-Up-Comedian, den ich meinen (an sich sehr von mir geschätzten) Urologen schimpfe, neulich meinte. 2018 ist vorüber und mit Weihnachten und Silvester auch so etwas wie ein weiterer kleiner Etappensieg geschafft, wie ich ihn seit der Diagnose pflege: Wieder 12 Monate durch(ge)halten. Zeit also, um auch mal wieder etwas wegzuschreiben. Auch für mich…

Wie es mir geht? Nicht unverändert, aber recht gut. Meine Blutwerte liegen weiterhin in den Normbereichen und auch die Bildgebung im Rahmen der Nachsorgetermine war in 2018 durchweg unauffällig. Für meinen Doc bin ich nach eigener Aussage ein „fast schon langweiliger Fall“, aber damit kann ich sehr gut leben. Zunehmend seltsam verhält sich mein Haarwuchs seit der Chemo, wobei ich das eher unter der Kategorie „Luxusprobleme“ verbuche: Seit Sommer trage ich „Welle“, d.h. in Stirnnähe hat sich eine große Locke gebildet, die dazu geführt hat, dass ich hier und da schon gefragt wurde, ob ich mir das so frisiere. Generell ist mein Kopfhaar viel spröder und brüchiger geworden; an manchen Stellen stagniert der Wuchs gelegentlich. Darüber hinaus bin ich noch einmal ein paar Kilos rauf; wobei ich hier eher mein zunehmendes Alter als meinen möglicherweise chemobedingt „beschädigten“ Stoffwechsel in Verdacht habe.

Grundsätzlich muss ich eingestehen: Mein ehemals großes Vorhaben, nach der Therapie intensiver Sport zu treiben und mich (noch) gesünder zu ernähren, habe ich nicht in die Realität umgesetzt. Ich sehe weiterhin die Notwendigkeit, aber oft genug siegt am Ende halt doch das Gönnertum, wenn die Frage im Raum steht, ob es z.B. Fast Food, Eis und Alkohol geben soll – wenn nicht jetzt, wann dann?! Das soll aber nicht heißen, dass ich nicht auf mich achte: Ich gehe zum Arzt, wann immer es sein muss. Dabei will ich auch nicht abstreiten, dass ich (wenn es mich denn beschäftigt) gar ziemlich häufig darüber nachdenke, wie sich Tumor, Chemo und Nachsorge künftig noch auf meine Gesundheit auswirken werden, aber Hypochondrie habe ich nicht entwickelt. Ja, ich pflege weiterhin ein skeptisches Verhältnis zu meinem Körper (irgendwie schizophren, wenn ich recht bedenke), aber d.h. nicht, dass ich alle paar Minuten gezwungen bin, an meiner verbliebenen Murmel herumzuspielen.

Überhaupt rutschen Diagnose und Therapie gedanklich immer weiter in die Ferne. Es gibt Tage, an deren Ende ich manchmal selbst darüber staune (und fast schon ein bisschen stolz bin), wie wenig der Krebs in meinem Kopf präsent war und wie sehr dieser verhältnismäßig kleine von Krankheit geprägte Auszug aus meinem Leben aufgrund seiner Unbegreiflichkeit, die so fernab von jeder Form von Alltag liegt, eher fast schon an einen schlechten Traum erinnert. Damals hätte ich nie erwartet, dahingehend wieder „derselbe“ sein zu können, aber ich muss gestehen: Mit Einschränkungen bin ich nah dran – auch wenn jede Dusche, jeder WC-Besuch, überhaupt jedes Entkleiden wohl weiterhin indirekte Reminder daran bleiben werden, dass nicht grundlos „etwas“ fehlt. Und die Nachsorge aus der erwähnten Unbegreiflichkeit heraus zwar eine gewisse Beiläufigkeit entwickelt, aber natürlich immer mit Sorgen (und viel Hoffnung) einhergeht.

Ähnlich muss es meinem weiteren Umfeld gehen – wenn ich das Thema nicht von mir aus anschneide, kommt es erst gar nicht auf oder als Antwort folgt dann oft „Ach so, stimmt ja“. Das mag tagesformabhängig sein, aber manchmal bin ich etwas hin- und hergerissen, wie ich das finde. Ich wünsche ich mir ja, auch bei anderen mit meinem „alten Ich“ wahrgenommen zu werden; andererseits gibt es Situationen – insbesondere auf Arbeit – in denen ich mir durchaus etwas mehr Rücksicht oder Einfühlungsvermögen wünschen würde. Nicht weil meine Leistung unter Krankheit und Therapie gelitten haben und/oder ich dadurch eine Spezialbehandlung verdient hätte, sondern weil meine Leistungsbereitschaft und auch meine „Empfindsamkeit“ schlichtweg einfach anders sind als früher. Andererseits kann mir ja keiner ins Hirn gucken und es zeigt wohl einfach, dass so etwas angesprochen werden muss.

Dennoch: Fast schon etwas wehleidig blicke ich auf 2018 zurück. Es war ein tolles Jahr, geprägt von vielen Orten und Begegnungen, für die ich große Dankbarkeit empfinde und an die ich vorwiegend gerne zurückdenke. Stets (unfreiwillig) bewusster zu leben, ist manchmal arg anstrengend, aber schafft auch große Zufriedenheit und ist für mich oft eine Stütze in den „düsteren“ Momenten, von denen es sicher immer noch genügend gibt. Immer dann, wenn der „Ballast“ schwer wiegt und die Zukunft bloß ein großes „?“ aufzeigt… Aber: Selbst ich Pessimist habe erkannt, dass der Mensch auf Hoffnung ausgelegt ist. Eine Freundin meinte neulich jedenfalls zu mir, dass die „Brötchen, die ich backe“, zwischenzeitlich wieder „deutlich größer“ ausfallen…

Einen guten Start in neue Jahr und weiterhin viel Gesundheit und Erfolg euch allen.

Rei87

Geändert von Rei87 (08.01.2019 um 09:33 Uhr)
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