Thema: Wahrheit
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Alt 26.12.2014, 23:19
Maxi3 Maxi3 ist offline
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Standard AW: Wahrheit

Hallo meine Lieben,

eigentlich hätte ich Grund zur Freude. Ich habe am 22.12. spontan meinen TM privat messen lassen. Ich wollte noch vor Weihnachten wissen, ob der TM weiter steigt. Er ist jetzt 9.
Ich habe schon einige Male meinen TM im Abstand von ca. 2 Wochen zu meinem Onkologen dort messen lassen. Obwohl das Labor vom Onkodoc mit Roche misst und das privat aufgesuchte Labor mit Abbott, die Werte waren immer gleich. Also kann ich davon ausgehen, dass mein TM vom 3.12. beim Onkodoc von 11 auf 9 gesunken ist.

Ich habe hin und her überlegt, ob ich darüber schreiben soll, was mir zurzeit so zu schaffen macht... Es geht um eine Frau, die zur gleichen Zeit wie ich im gleichen Krankenhaus 2010 operiert und wie ich auch anschließend in ein weiteres Krankenhaus in Oberbayern verlegt wurde. Wir haben uns angefreundet, sie wohnte in der gleichen Stadt wie ich. Sie hatte von Anfang an nur Angst, Angst und wieder Angst. Sie wohnte wie ich alleine.

Nach der Erst-Op ein Stoma, das man aber wieder hätte zurück verlegen können. Sie wollte das nicht, weil sie mit dem Stoma besser zurecht kam als mit ihrem problematischen Darm.
Nach ca. 2 Jahren ein Rezidiv, Milz raus etc. Es wurde ihr gesagt, mit Chemo 3 Monate Lebenszeit mehr. Sie lehnte die Chemo ab. Dann aufgrund der schweren Angstattacken Aufenthalt in der Psychiatrie.

Ich habe alles versucht, sie zu motivieren. Ich habe ihr gesagt, dass diese Prognosen überhaupt nicht bindend sind. Ich habe ihr erzählt, dass ich hier im Forum von so vielen Frauen gelesen habe, die solche Prognosen widerlegt haben. Sie selbst hatte kein Internet und wollte auch keines.
Ich habe sie zu meiner Allgemeinmedizinerin geschickt, die mir die Mistel bis heute verschreibt. Gut, die Mistel wollte sie nicht, aber ich hoffte auf irgendeine Motivation durch die sehr einfühlsame Ärztin. Aber da ging sie auch nur einmal hin. Es ging ihr psychisch sehr, sehr schlecht. Sie sagte immer nur, sie kann nicht mehr, sie kann nicht mehr!

Ich beschwor sie, sich nicht aufzugeben. So verging wertvolle Zeit. Dann kam die Phase, wo ich merkte, dass sie mir quasi übel nimmt, dass ich nicht so krank wie sie bin bzw. noch kein Rezidiv hatte. Das habe ich wegen diverser Bemerkungen spüren können. Ich habe daher zu ihr gesagt, ich bin immer für sie da und wenn sie mich braucht, soll sie sich melden, aber ich ziehe mich zurück. Das war bereits Anfang des Jahres.

Am 22.12. habe ich sie angerufen, um ihr frohe Weihnachten zu wünschen. „Kein Anschluss unter dieser Nummer“. Da habe ich ihren Sohn angerufen und mit der Schwiegertochter gesprochen. Sie sagte mir, die Anna (Name geändert) wollte nicht mehr und sie ist bereits im Juli verstorben. 4 Jahre nach der Diagnose. Dann erzählte sie mir ausführlich, wie es dazu kam.

Sie musste aufgrund einer schweren Angstpsychose in die Psychiatrie eingeliefert werden.
Wieder Zuhause erlitt sie einen Schlaganfall, sie konnte dann aber wieder selbstständig essen, sprechen und gehen. Sie wollte aber sterben und hat die Lippen fest aufeinander gepresst, wenn man sie im Krankenhaus zum Essen ermuntern wollte. Zu einer Chemo kam es auch nicht mehr.

Es tut mir so weh, dass ich ihr nicht helfen konnte. Ich bin sicher, Sie hätte nicht bzw. nicht so früh sterben müssen, wenn nicht diese Riesenangst ihr die Kraft genommen hätte. Ich habe alles versucht mit Beispielen, dass ein Rezidiv nicht das Ende bedeuten muss etc. Ich hätte noch mehr versuchen müssen, um sie zu überzeugen. Aber so ist eine wunderbare Frau viel zu früh quasi ihren Ängsten erlegen. Sie hat ein Baumgrab am Waldfriedhof, so wie sie es sich gewünscht hat. Ich werde sie dort besuchen.

Ich bin nachts aufgewacht und musste sofort wieder weinen. Es tut mir so leid für sie. Ich kann mich überhaupt nicht über mein gutes TM-Ergebnis freuen. Es ist im Moment so unwichtig für mich geworden.

Liebe Grüße an Euch alle!
Christine
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