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Alt 06.02.2006, 00:29
Liz und Willy Liz und Willy ist offline
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Standard AW: Bye bye Dad, I love you .... Alfred 16.2.1972

EINSIEDELN - FORTSETZUNG 3 ....



Plötzlich blieb Willy stehen, dann Regula und dann auch ich. Das Schlusslicht der Betreuer blieb auch stehen.

Ich ahnte Ungutes….

… und die bewahrheitete sich.

Wir waren noch keine 500m den Hügel hoch gelaufen, als Willy keine Luft mehr bekam.

Er versuchte sich wieder zu fangen, drehte den Sauerstoff aufs Maximum (8lt) und lief nach einer Pause weiter, kaum ein paar Meter weiter musste er sich eingestehen, dass er es nicht schaffen würde die 1,5 Stunden mitzuhalten.

Ich dachte zuerst er wollte sich sein Schal vor den Mund legen, damit er nicht die kalte Luft einatmete.

Leider wurde mir nur allzu deutlich bewusst, dass Willy nun doch massiv abgebaut hatte und er echt nicht mehr in der Lage war den Weg zu gehen. Man musste ja beachten, dass er ja erst knapp eine Woche zuvor nach seiner Lungenentzündung aus der Klinik entlassen wurde. In diesem Moment kam eine Panik in mir hoch. Soll dies doch nun der Anfang vom Ende sein? Nein das wollte ich nicht zulassen und doch wusste ich, es gibt Mächte die sind einfach Mächtiger als unser aller Wille und unsere Liebe.

Ich stand da und wusste nicht was ich machen sollte, sollte ich auf das Erlebnis im Schnee verzichten und mit ihm zurück zum Lager gehen. Sollte ich ihn motivieren, vielleicht mit dem Schal vor dem Gesicht doch weiter zu machen, er braucht ja doch immer wieder mal ein Tritt ins Allerwerteste um weiter zu machen (war schon ein Problem bevor er krank wurde). Oder sollte ich ihn alleine wieder ins Lager gehen lassen im wissen ich weiss nicht wie es ihm wirklich geht, könnte ich da wieder abschalten und den Rest des Weges geniessen so wie er für uns angefangen hatte. Oder sollten wir das Ganze abbrechen und ins Hotel zurückgehen.

Ich wollte ihm keinen Druck ausüben oder gar Schuldgefühle auferlegen, dass er auf Biegen und Brechen die Tour machen muss, ich wollte auch nicht verantwortlich sein, dass er wegen mir es durch gestanden hat und so sich eine Lungenentzündung zu zog. Obwohl ich weiss ja, es gibt nichts, aber gar nichts was diese Lungenentzündungen aufhalten würden.

Meine Gedanken kreisten.

Ich war verwirrt und enttäuscht, ja unheimlich wütend, dass sogar hier, weit weg von der Klinik, die Krankheit unser Leben, mein Traum des speziellen Silvesters, mein Geschenk an Willy durch den Krebs zerstört wurde. Ich hasste ihn, diesen Krebs, dafür, denn er nahm uns alles, wirklich alles was für uns Leben bedeutet. Er war nicht einfach nur im Begriff meine grosse Liebe seit 3,5 Jahren zu zerstören und ihm sein Leben scheibchenweise zu nehmen, nein er war in der Lage das was wir zum Leben brauchten, eben solche Erlebnisse zu nehmen. Ich wollte ihm an sich gar nicht klein preis geben. Sondern ich wollte diesem ständigen Nehmen meines Lebens und das von Willy und den Kids endlich entziehen und einfach das Leben wieder spüren, aber es ging nicht - er war die Macht die uns kontrollierte, die Ohnmacht die Unmacht. Eine Kontrolle die wahrscheinlich nicht nur bis zum Tod, sondern auch danach noch lange andauern wird. Ich bin kein Mensch des Hasses, aber den Krebs hasse ich, ich kann mich nicht damit befreunden, zuviel zerstört er.

Ich musste mir auch eingestehen, dass ich in diesem Moment nicht selber entscheiden konnte, ich musste es Willy überlassen, denn er spürt seine Grenzen und wir müssen uns ihm anpassen. So schlug ich ihm die Vorschläge vor die ich in Gedanken schon durchspielt hatte. Auch wenn ich enttäuscht gewesen wäre hätte ich es verstanden und respektiert wenn er gesagt hätte, er will zurück zum Lager oder gar ins Hotel. Ich wollte ihm keinen Vorwurf machen wenn ich nun auch abbrechen hätte müssen, für mich war wichtig er konnte wenigsten 500m geniessen und hat dieses Erlebnis erleben dürfen, wenn auch nur sehr kurz.

Also entschied ich nichts zu sagen ausser den Vorschlägen und mal abzuwarten was er selber dazu meinte.

Tief im Herzen hat er sich schwerstem Herzen aber schon längst, auch wenn es sich nur um einige Minuten handelte entschieden…

Willy ging zurück zum Lagerfeuer in Begleitung eines Betreuers……

Er wollte nicht dass wir die Tour abbrechen, er wäre ja in Sicherheit, dort gebe es Leute die ein Auto hätten und mich im Notfall holen könnten und andere würden ihn in die Klinik bringen falls was sein sollte. Und, ja wir waren ja immer im Herzen miteinander verbunden, denn ich spüre immer wenn es ganz schlecht geht, da muss ich nicht bei ihm sein, und wir hatten unser Handys dabei.

Er nahm mich in den Arm, küsste mich und sagte mir ganz leise ins Ohr, dass er es nicht mehr schaffte. Ich sagte nur, er soll sich nicht einen einzigen Vorwurf machen, denn das wichtigste im Leben ist es doch es zumindest versucht zu haben und das hat er. Er sagte aber auch ich solle es für ihn geniessen und alle Details ihm erzählen und mit ihm teilen. Das tat mir unheimlich weh, denn ich wollte mit ihm diesen Weg gehen des Entdeckens, einen Weg auf dem ich zu ihm sagen konnte, du schau mal da rüber ist das nicht schön. Ich wollte Fotos machen zumindest und diese mit ihm teilen.

Er kehrte um ….

Lief langsam wieder runter in Richtung Bauernhaus und Lagerfeuer, unseren gemeinsamen Spuren entlang.

Mir wurde sehr schmerzlich bewusst, dass wir irgendwann einmal genau wie jetzt, vor dem Wechsel des Weges, des Umkehrens und Weitergehens stehen werden, und einer wird neue unsichtbare Spuren machen, denn seine Spuren in diesem Leben werden enden im Irgendwo, Irgendwann und Nirgendwo. Und der andere wird alleine den gemeinsamen Spuren wieder zurückgehen in ein Leben ohne den anderen und in ein Leben wo neue Spuren gelegt werden müssen. Mir kommt das Gedicht von den Spuren im Sand und den fehlenden Spuren als Gott uns trägt in den Sinn. Wie wahr sind diese Worte auch ohne Glauben an Gott. Vier Spuren gehen gemeinsam durch das Leben und plötzlich sind es nur noch zwei.

Regula und ich standen da……

…. Ganz allein, ja allein gelassen, einsam und voller Angst und Schmerz. Unsere Herzen schrieen „Warum, warum nur?“ Und doch einmal mehr bekamen wir keine Antwort.

…. wir beide standen da mit unseren Ängsten und Gedanken, wie verlorene Kinder auf dem Rummelplatz oder auf der Skipiste. Nein es war mehr, wir waren wie 2 kleine Insekten auf einem riesen Planeten ganz alleine und wussten wir müssen weiter, wussten aber nicht wohin. Jeder von uns 3en hing seinen Gedanken nach, Willy nahm seine mit und wir beide standen da und versuchten das Geschehene zu fassen um dann die anderen einzuholen.

Mir wurde richtig bewusst wie schwer es auch für Regula sein muss, eine wunderschöne Freundschaft ist am aufkeimen und im selben Moment musste sie Loslassen und Zusehen wie Willy seinen eigenen Pfad gehen muss und wir ihn verlieren werden. Sie realisierte, dass unsere Freundschaft aus dem Jetzt besteht und morgen vielleicht nur noch eine Freundschaft der Erinnerungen und aus Zweien bestehen würde. Es tat so weh.

Ich selber hing den Gedanken nach, dass es einen Schritt mehr in Richtung Abgrund oder Ende war… unweigerlich und unaufhaltsam. Wie ich dieses scheibchenweise Abschiednehmen verfluchte und immer wieder hoffte, dass mich diese Gedanken nicht weiter verfolgten, ja sogar beherrschten. Das einmal mehr Wahrhaben müssen, dass unsere Welt nicht mehr das war was sie war ist die Hölle und doch haben wir in diesen 3,5 Jahren soviel anderes erleben dürfen was wir vielleicht ohne Krebs nie erlebt hätten. Schon paradox dieser Gedanke und diese Erkenntnisse. Es stimmt einfach nicht und war für Fremde oder Aussenstehende nur schwer zu verstehen. Nur Menschen die in der selben Situation sind wissen um was es geht und was ich damit meine.

Ich dachte an Marc und Pascal, die trotz dem Krebs, vergleichbar zu uns ein unbeschwertes Leben führen dürfen, denn vieles was wir denken, fühlen oder spüren und auch erleben ist weit entfernt von ihrem unbeschwerten Leben des Arbeitens, Lernens, Ausgehens und mit Freunden sein, ja sogar im Rahmen ihres Lebens abgenabelt von uns ist.

Mir liefen nur noch die Tränen runter.

Niemand sah sie, spürte wie mein Herz sich wand unter dem Zugeschnürrtsein und wie es schmerzte.

Niemand sah meine Trauer. Trauer zu einem Zeitpunkt wo wir beide ja noch lebten.

Niemand wusste warum, was geschehen war, die meisten haben es nicht einmal mitbekommen was passiert war, denn sie waren weiters gelaufen und schon wieder runter ins nächste Weiher / Tal gelaufen …..

…..sie liefen einfach unbeschwert weiter.

Wir standen da mit dem „Schlusslicht“ der Gruppenbetreuer. Den Besenwischer, der normalerweise die Letzten so mitschleppten und sicherstellten, dass niemand verloren ging.

Er wusste nicht was los war, und ich vermochte ihm noch nicht erklären was passiert war, er merkte aber, dass ich im Moment einfach mit meinen Gedanken alleine sein musste.

Am liebsten wäre ich zu Willy zurück, und doch wusste ich, dass es Willy nicht recht wäre wenn ich nicht ginge. Ich wollte auch für ihn gehen und ihm das Erlebte zumindest erzählen und so mitteilen, ja mit ihm teilen können.

Ich hatte nicht gedacht, dass er diese kleine Strecke nicht mehr schaffen würde. Ich wusste aber auch, dass er von sich selber enttäuscht sein wird, weil er es nicht mehr packte. Er hat doch das Ziel im Sommer noch mal den Gotthard hoch zugehen, es rückt in schier nicht erreichbare Ferne. Es ist ihm doch so wichtig im Frühjahr/Sommer die Wanderung noch einmal zu machen.

Ich kam oben an, sah noch einmal zurück af die Spuren von Willy und wie Willy ganz weit weg als kleiner dunkler Tupf auf dem Schnee seinen eigenen Weg ging …. Ohne mich.

Das Hadern überkam mich und für die nächsten Minuten konnte ich mich dem so richtig hingegeben, ich war selten so nahe und doch so entfernt von dem was man Gott oder Glaube nannte. Es gab nichts zwischen mir und „ihm“, es gab keine Möglichkeit für „ihn“, dass er sich meinen Gedanken und Fragen nicht stellte, denn ich war unter freiem Himmel und oben auf einem Hügel. Es waren nur „er“ und ich da. Und doch meine Fragen blieben unbeantwortet ja ich würde sogar sagen unerhört, einmal mehr. Nur ich war befreit, denn ich legte los, ich lief ja ganz alleine und so konnte ich reden, nicht laut aber doch vor mich hin reden. Ich konnte weinen und meine Angst über das was noch kommen soll wich wieder der Freude die Natur in diesem Kleid und Stimmung zu sehen.

Unten im nächsten Tal oder Tälchen, warteten die anderen auf mich, Regula gab mir Tipps wo und wie ich den doch relativen steilen Hang runter laufen sollte, damit ich es schaffte. Sie wusste ja was mit mir war und dass ich sonst meinen Rollator hatte. Alle anderen wussten das nicht, weil ich ihn im Hotel stehen liess! Ich kam nur mit den Wanderstöcken. So sah niemand wirklich dass ich behindert war, ausser dass ich mich entweder am Stock fest hielt oder an Gegenständen und Wänden entlang schlich. Ich habe bei der Anmeldung nichts gesagt, dass wir behindert sind oder dass Willy Krebs hat, mit dem Ziel einfach als Teilnehmer dabei zu sein wie jeder andere auch und einmal nicht auffallen zu müssen. Im Dunkeln ist das einfacher möglich als sonst.

Als ich da oben auf dem ersten Hügel stand und das Nachtpanorama des ganzen Horizontes sah mit dem in der Dunkelheit hell erleuchteten Himmel war für mich ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen, ein Traum vom dem ich wusste es war auch meinem Willy sein Traum.

Es gab keine Ecken und Kanten in der Landschaft, der Schnee hatte ja alles so sanft eingehüllt, dass es wie in Watte gepolstert wirkte.........

Ich vermisste meinen Willy an meiner Seite, ich wollte doch so geren diese Schönheit, diese Momente der Einkehrung, der Krafthschöpfung und des Geniessens der Natur mit ihm teilen. und nun stand ich da ganz alleine. ich wie im Sekundenfilm kam mir der Gedanke ob das nun bald auch so weiter gehen will, dass ich alles nur noch im Halben Doppelpeck machen muss und er nichts mehr mit mir teilen kann oder darf. Wird das so sein wenn er nicht mehr bei mir ist.... ich fürchte mich vor diesen Momenten dieser Leere und des Nicht-mehr-mit-ihm-teilen-können. Ein Leben ohne ihn, einfach furchtbar diese Vorstellung.



Fortsetzung 4 folgt .....

Alles Liebe eure Liz und Willy im wieder vereinten Doppelpäggli
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Willy 54 J. LK Pancoast Tumor Adeno. ES 8/02 ED 11/02, Radio-Chemo, Op. 2/03 seither Teilgelähmt, O2-abhängig
Liz MS im Rolli. Gebärm.ca. 8/05
Mami 10.4.1934 - 7.9.2009
inoper. Hirntumor 10/07, Blasenkrebs 1/09
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