Thema: Und nun?
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Alt 04.10.2005, 08:58
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AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Und nun?

Liebe Susanne,

Briele hat - wie so oft - Recht, mit dem, was sie schreibt. Es ist ein erster Schritt in eine neue Richtung, wenn du hier über deinen Kummer schreibst und es werden dir Menschen über den Weg laufen, die wirklich wissen, was du meinst. So wie ich z.B.

Unser Schicksal ähnelt sich. Mein Mann starb 8 Monate nach Diagnose an einem Nierenzellkarzenom. Heute genau vor einem Jahr hat mir unser Hausarzt mitgeteilt, dass es keine Hoffnung mehr gibt, vier Tage später starb mein Mann zum Glück bei uns zu Hause, so wie es unser Wunsch war. Ich bleibe zurück mit vier Kindern, 21, 18, 16 und 12 Jahre (zwei Jungs, zwei Mädchen). Was du beschreibst habe ich auf empfunden. Wenn ich mich an die schreckliche Zeit seiner Krankheit erinnere, wird mir gleichzeitig bewusst, dass wir noch nie zuvor - obwohl wir eine glückliche und ausgefüllte Ehe geführt haben - solch innige bedingungslose Liebe gespürt haben. Dieses Gefühl macht mich glücklich, denn es ist alles, was mir geblieben ist, das Bewusstsein, es war bis zum Schluss perfekt.

Als ich deine Zeilen las, musste ich lachen, nicht von Herzen, eher bitter. Wie kommt mir alles bekannt vor. Am Tag nach seinem Tod, war unser Haus ein Taubenschlag, keine Sekunde kam ich zur Besinnung. Ein Kommen ein Gehen. Man konnte denken, dass wir jede Menge Freunde hatten....

Diese Anteilnahme hielt nicht lange, geblieben ist praktisch niemand. Nach drei Monaten eine kurze pflichtbewusste Anfrage des ein oder anderen, wie es mir denn gehe. Die Antwort passte nicht, denn wieso geht es denn immer noch nicht besser nach sooooo langer Zeit. Nein, es wird nicht besser, es verändert sich. Man lernt, damit zu leben, man sucht Trost dort, wo man sich verstanden fühlt, wie z.B. hier im Forum. Freunde? Nein, die hatten auch wir nicht - bis auf zwei Ausnahmen.

Weißt du, das ganz Widerliche an der Situation ist das Erkennen, dass sich besonders die befreundeten Paare abwenden. Einfach nur lächerlich. Aber es ist so. Wir sind wieder im "Rennen" wir Witwen. Wir stellen eine Gefahr dar. Lächerlich, für dich und mich, aber dein Umfeld hat nichts verstanden, noch nicht, waren sie ja noch nie in unserer Situation.

Und die Kinder? Oh ja, sie sind ein Segen. Sie sind der Grund, weiterzugehen. Aber, und das versteht auch niemand, wir sind trotzdem alleine. Die Kinder müssen ihren Weg weitergehen und wir müssen ihnen dabei helfen. Sie müssen LEBEN, Party machen, erwachsen werden, all das finden, was wir verloren haben. Sie sind nicht da, uns zu trösten UND sie können es vor allem nicht. Wir haben unser Leben verloren, das Leben, das wir leben wollten. Wir sind alleine. Aus dem WIR ist ein ICH geworden und es fühlt sich schrecklich an. Die, die wir waren, sind mit unseren geliebten Männern gestorben. Das versteht keiner, denn wir atmen ja noch. Nun müssen wir rausfinden, wer wir in Zukunft sein wollen. Wir sind bestimmt starke Frauen. Was bedeutet das überhaupt? Nur leider vergisst die Umwelt, dass - so war es zumindest bei mir - der Mensch, der mich stark gemacht hat, nicht mehr lebt. Dass ich um den Menschen trauere, der als einziger in der Lage gewesen wäre, mich zu trösten. Stark? Ja klar, wenn es meinen "Freunden" dann besser geht.....

Liebe Susanne, es ist ein schrecklicher Weg. Bei mir schließt sich am kommenden Samstag der Kreis. Ein Jahr liegt hinter mir. Frag mich nicht, wie ich es geschafft habe, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es noch lange nicht alles ist. Ich weiß, dass ich es ohne die vielen lieben Leidensgenossinnen hier im Forum noch schlechter geschafft hätte. Ich weiß, dass es mir hilft, meinen Frust und meinen Kummer von der Seele zu schreiben. Ich weiß, dass auch das Lesen der anderen Beiträge hin und wieder den Knoten erneut löst und ich durch meine Tränen den Druck abbauen kann.

Und ich weiß, dass ich da sein möchte für dich und für jeden, dem es schlecht geht. Da sein möchte, so wie kein anderer für uns da sein kann. Weil ich gefühlt habe, wie gut es tut, Menschen zu treffen, die ganz einfach nur verstehen, aus tiefstem Herzen verstehen.

In Verbundenheit

LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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