Thema: Und nun?
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Alt 11.10.2005, 09:33
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AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Und nun?

Meine liebe Petra,

es hat mir richtig gut getan, deine Zeilen zu lesen, habe hinter meinem PC gesessen und ständig mit dem Kopf genickt. Deine Wut, sie ist auch meine Wut. Und ich finde es ok, wenn du dich vorerst vielleicht mit deinen Büchern in deine Ecke verkrümelst und einfach, wie du so nett schreibst, bockig bist.

Ich bin auch nicht von allem so wirklich überzeugt, was ich schreibe. Mein Verstand weiß, dass es so besser wäre, mein Herz sagt oft noch das Gegenteil.

Was mich bewegt und motiviert das neue Lied einigermaßen schön klingen zu lassen, sind meine Kinder und meine eigene Erfahrung als Kind nach einem tragischen Todesfall.

Mein Bruder ist im Alter von 10 Jahren bei einem Schulausflug ums Leben gekommen. Ich war 5 und er meine "erste große Liebe". Mit seinem Tod ist mein Leben erstmals zerbrochen. Nicht nur, dass ich ohne meinen Bruder anfangs kaum zurecht kam, hatte ich niemanden mehr, der mir so vertraut war und mit dem ich spielen konnte, ich habe auch meine Eltern verloren. Meine Familie ist von heute auf morgen auseinander gebrochen. Nicht, dass meine Eltern sich getrennt hätten, das zum Glück nicht, aber es gab kein Lachen mehr in unserer Familie, keine Freude mehr. Es war nur noch Trauer zu spüren, auch wenn sich meine Eltern wirklich sehr bemüht hatten, sich liebevoll um mich zu kümmern, gab es keine Unbeschwertheit mehr. Und diese Unbeschwertheit ist doch so wichtig, um glücklich zu werden. Ich hörte nur noch: Deine armen Eltern, mach ihnen nur keinen Kummer mehr. Und mein ganzes Leben - bis ich mit 40 endlich total rebellierte - richtete sich sehr nach meinen Eltern, war geprägt von dem Versuch, meinen Eltern den schweren Verlust irgendwie zu "ersetzen". Ich hatte irgendwie kein eigenes Leben. Und keiner hat jemals auch nur einen Augenblick daran gedacht, dass auch ich etwas verloren hatte. "Sie hat ja nix mitbekommen, sie war ja noch so klein...."

Dann hat mir das Schicksal mit 16 Jahren Claus geschickt. Ich kam in seine Familie und staunte, dass Eltern in fröhlicher Runde zusammensitzen und LACHEN konnten, kannte ich das von zu Hause nicht mehr. Ich liebte "meine neue Familie" und fühlte mich glücklich.

Mit Claus Tod ist die Trauer in unser Haus eingezogen. In vielen Momenten versinke ich in meinem (Selbstmit)Leid und denke eben wie du, soll es so nun weitergehen? Und dann sind da meine Kinder, die um ihren Papa trauern, die Angst um ihre Mama haben. Und es sind die Erinnerungen an die 28 Jahre Glück mit meinem Mann. Die Erinnerungen an die Fröhlichkeit und das Lachen, das Glücklichsein in unserem Haus. Die Erinnerung an unser bisheriges Leben. Bewusst wurde es mir, als ich wieder einmal weinend das Bild von Claus in der Hand hatte und plötzlich in mir eine Stimme meinte: Das hat er nicht verdient, dass du ihn ansiehst und weinst. Er hat dich glücklich gemacht, nur daran solltest du (versuchen) zu denken. Und deshalb versuche ich, dass das Lachen in unserem Haus nicht verstummt, dass wir uns glücklich an Claus erinnern, dass sich unsere Kinder trotz des schweren Schicksalschlages, den sie schließlich auch erleiden müssen, nicht nur ich, irgendwie glücklich und geborgen fühlen können. Dass sie sich nicht an ihre Mama erinnern, in deren Gegenward nur noch Tränen und Trauer und ein stiller Vorwurf an das Leben zu spüren ist.

Ich werde niemals aufhören meinen Mann zu lieben. Ich werde niemals aufhören, mein Leben mit ihm zu vermissen. Und ich weiß, dass kein Mensch, egal wie lieb und nett er auch sein mag, jemals wieder so einen Platz in meinem Herzen einnehmen wird. Denn - Selbstschutz nennt man es vielleicht - ich möchte es nicht mehr, etwa so wie Glashaus singt (ich weiß, ich habs mit Liedern...)

"nie wieder so verletzbar sein, nie wieder so wie jetzt allein...."

Die Sonne kämpft sich durch die Wolken. Hoffentlich ein guter Tag für uns

LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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