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Alt 10.11.2010, 19:50
mac2010 mac2010 ist offline
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Standard AW: Junge Hinterbliebene

Meine Geschichte

Man mag es drehen und wenden wie man will: ich bin 31, als "junger Hinterbliebener" gelte ich wohl so oder so nicht mehr.

Trotzdem weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn einer gehen muß, der eigentlich noch gar nicht will - ich habe meinen Vater am 11.2.1999 an Lymphdrüsenkrebs verloren. Da war ich 20, er 50.

Deshalb denke ich, kenne ich die Gefühle und die Zustände, durch die man so geht - und ja, auch ich habe mir nachher an den Kopf gelangt und gedacht: "Herrschaftszeiten, dieses und jenes hättest du aber wirklich besser anstellen können." Und auch die Gefühle, nicht alles gesagt zu haben was wichtig gewesen wäre, das ist mir wohlbekannt.

Ich schreibe das hier jetzt zum ersten Mal überhaupt auf, weil mir dieses Forum immens imponiert - an Menschlichkeit, an Herzlichkeit, an Wärme und an Anteilnahme habe ich sowas vorher noch nicht gesehen.

Vielleicht hilft es ja dem einen oder anderen, mit der schweren Situation besser zurechtzukommen. Könnte allerdings eine etwas längere Sache werden ;-).

Endlich! - das war mein erstes Wort, als meine Ma an diesem Donnerstag morgens (den Wochentag kenn ich noch auswendig, 11 Jahre danach!) in unser Zimmer kam und meinem Bruder und mir sagte: "Der Hendrik (mein Vater) ist gerade gestorben." Ich gebe zu: meine Reaktion war nicht sehr pietätvoll, aber ich war einfach nur unendlich erleichtert, daß der Leidensweg vorbei war - für ihn wie für uns. Er hatte 9 Monate Lymphdrüsenkrebs, Bestrahlungen hoch 3 und sich nur noch gequält. Als wir schon über die Reha sprachen, kam der Krebs zurück und war nicht mehr aufzuhalten.

Realisiert was da eigentlich gerade passiert ist, habe ich zu diesem Moment nicht. Wir haben gefrühstückt, sind ins Krankenhaus gefahren und da gabs dann die Frage: "Wollen Sie ihn nochmal sehen?" Ich wollte und da hats mich dann zusammengefaltet: wie er da im Bett lag, eine Binde um den Kopf (damit der Kiefer nicht runterklappt), das war so brutal unwirklich. Ins Krankenhaus geht man doch, um Kranke zu besuchen - und was mich wirklich erschreckt hatte, war, daß ich allen Ernstes davon ausgegangen bin, gleich mit meinem Vater ganz normal sprechen zu können. Und dann das. Er zwar irgendwie da - aber auch eben nicht mehr. Alles vertraut, aber doch so un-vertraut. Da lag ein Körper, aber der Mensch, die Seele, war schon weg. Aufgestanden und gegangen.

Die Bilder seines Körpers, wie er so dalag, haben sich mir unauslöschlich ins Hirn eingebrannt. Sie sind jetzt, 11 Jahre danach, immer noch präsent (sie verfolgen mich aber nicht). Ins Hirn eingraviert.

Und, meine Güte, was hab ich an diesem Tag geheult! Im Totenzimmer - geheult. Danach wieder gefangen, nach den letzten Minuten das Personal der Station gefragt - und wieder geheult. Wütend geworden. Auf die Ärzte. Gedacht, sie hätten irgendwo gepfuscht, irgendwas falsch gemacht. Oder nicht genug gemacht. Wieder geheult, die Faust geballt. Dann wieder gefangen, Begräbnis mit-organisiert. Die Bestatterin war da, über den Sarg geredet und? - genau - wieder geheult. Die ersten Stunden sind in meiner Erinnerung nur noch Gedanken- und Gefühlsfetzen. Bruchstücke. Als die Bestatterin weg war, waren wir noch bei Oma und Opa (seinen Eltern) und sie haben uns, glaube ich, was zu essen gemacht. Auf einmal hab ich eine wahnsinnige Präsenz gespürt - als wie wenn er wirklich dagewesen wäre. Als wäre er mit den Öffentlichen schnell ausm Krankenhaus zu uns in den Süden Münchens gekommen. Und nochmal nachgeguckt hätte, wie es uns so geht.

Am gleichen Abend war ich nochmal im Kino und hab mir "Das große Krabbeln" angesehen und mir die Seele ausm Leib gelacht. Kontrastprogramm - und um zu sehen, ob es noch funktioniert. Hat geklappt. Actiongames konnte ich trotzdem ewig nicht spielen.

Die Woche bis zur Beerdigung war ich, glaube ich, jeden Tag draußen in der Aussegnungshalle, wo sie seinen Sarg aufgebahrt haben. Habe Zwiesprache gehalten, dies und jenes gesagt, aber was genau weiß ich nicht mehr. Im Nachhinein hat mir das geholfen, einen Cut zu machen: da vorne liegt in einem Kasten ein Körper, der begraben wird, mein Dad ist schon längst ganz woanders.

Mit diesem Gefühl hab ich dann auch die Beerdigung erlebt: es war unwirklich, weil das, was wir da zu Grabe trugen, irgendwie nur der körperliche Rest gewesen ist. Teilweise habe ich in den Tagen vorher sogar noch Freunde getröstet, die mit dem Tod meines Vaters gar nicht zurecht kamen... . Verkehrte Welt.

Die Trauer kam danach in Schüben - anfangs habe ich täglich geheult (teilweise mitm Auto rechts ran und sich erstmal richtig ausgeweint), mit der Zeit wurden die Abstände größer.

Ein paar Dinge haben mir geholfen:

- die Zeit. Auch wenn es blöd klingt, aber dadurch, daß ich Dinge erlebt habe, die mein Vater eben nicht mehr erlebt hat, habe ich eine Distanz zu den Geschehnissen bekommen. Seien es politische Ereignisse (damals ist Lafontaine als Finanzminister zurückgetreten) oder Arbeitsstellen bzw. der Zivildienst, den ich antrat: mein Vater kannte dieses, mein neues Leben nicht mehr. Wir konnten uns gegenseitig voneinander abnabeln.

- Menschen. Genauer gesagt, der Rest der "Kern"-familie: meine Ma und mein Bruder wußten als einzige, wie ich mich da gefühlt hab. Wir wußten voneinander, wer da gegangen ist. Und wir konnten uns gegenseitig stützen. Die Anteilnahme von Freunden und Bekannten war zwar groß, hat aber für die "schwachen" Momente nicht viel gebracht. Meine Freunde haben mich mit rustikalem Charme aus Trübsinnstälern geholt, indem sie mich einfach ganz normal behandelt haben. Das hat enorm was gebracht.

- Ereignisse. Fast jeder kennt das, daß man auf einmal eine Präsenz spürt, einen Geruch wahrnimmt oder sogar soetwas wie eine Berührung. Bei mir war es letzteres, was mich viel von dem Schmerz hat vergessen lassen und mich mit der Situation besser hat zurechtkommen lassen. Ich glaube, das muß im Frühjahr 99 gewesen sein, da bin ich selber zum Friedhof gegangen, um meinen Vater zu besuchen. Stand an seinem Grab, hab mit ihm geredet, ihm diverse Sachen erzählt und meine Pläne für die Zukunft erläutert. Als ich mich umgedreht hab und zum Ausgang zurückging, hatte ich das Gefühl, da geht rechts neben mir einer. Genauer: er. Und er hat dann seinen Arm um mich gelegt. Und mich bis zum Ausgang begleitet. Man mag das jetzt für wahnsinnig halten, aber ich hatte exakt das Gefühl auf den Schultern, als wie wenn dort ein Arm liegt. Eine Schwere, eine Wärme. Was väterliches, was irrsinnig vertrautes. Vielleicht hab ich mir das auch nur eingebildet und die untergehende Sonne hat meinen Rücken gewärmt - ich weiß es nicht. Es war zumindestens ein turning point in der Trauerzeit. Ich wußte, ihm gehts gut und er schaut auf mich.

Was nach 11 Jahren geblieben ist? Ich wohne 1000 km weit weg von meiner Heimat (und seinem Grab), ich habe bis heute kein Bild von ihm irgendwo aufgestellt (ehrlicherweise muß ich sagen, daß ich Angst habe, mir Tote anzusehen auf Bildern - denn die besseren Erinnerungen trage ich im Herzen, das sind die bewegten Bilder ;-), ich habe das Lachen nicht verlernt, ich träume in großen Abständen von meinem Vater (dann aber meist recht intensiv - so daß der darauffolgende Tag immer ein sehr nachdenklicher wird) und ich muß grinsen, weil ich eine exakte Kopie meines Vaters im Umgang mit Kindern bin (und zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich bei Kindererziehung wohl eher zu den "harten Knochen" gehöre...). Ich glaube noch immer, daß der Tod meines Vaters ungerecht gewesen ist, er war 100% geistig fit, der Körper hat bloß schlappgemacht. Ich bin nicht stolz auf die letzten Worte, die ich ihm 2 Tage vor seinem Tod sagte ("Ich geh dann mal jetzt zur Schule.") und ich vermisse das Vater-Sohn-Gespräch, das ich rasend gerne mit ihm geführt hätte, wenn ich selbst eine eigene Familie hab (was sich erst jetzt abzeichnet).

Ich bin ernsthafter geworden, über den Tod lachen kann ich bis heute nicht, wenn ich Geschichten lese hier im Forum drehts mir den Magen um - aber ich hab jetzt einen direkten Draht zu "dem da oben" durch meinen Vater. Und, auch nicht zu verachten: mein Vater ist immer bei mir. Kein Handy, keine horrenden Mobilfunkkosten, da wo ich bin, ist er, und anrufen braucht man ihn auch nicht. Man hält einfach so Zwiesprache.

Ich bin froh über die Zeit, die ich mit ihm hatte, auch wenn sie viel zu kurz war. Und das verdammte Gespräch, das hole ich noch nach... . Der entkommt mir nicht noch einmal! Und während ich das schreibe, weiß ich, daß er irgendwo in meiner Nähe ist und über genau den Satz schmunzelt.

Lebt mit Vergangenem - aber paßt auf, nicht in der Vergangenheit zu leben. ;-).


Es wird schon alles wieder. Ganz sicher. Versprochen.
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