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Alt 08.11.2009, 22:29
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FranziskaH FranziskaH ist offline
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Registriert seit: 08.11.2009
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Standard Und immer sind da Spuren deines Lebens..

..Gedanken, Bilder, Augenblicke und Gefühle. Sie werden uns immer an dich erinnern und dich nie vergessen lassen.

Diesen Spruch haben meine Schwester und ich für die Beerdigung unserer Mama ausgesucht.

Unsere Mama ist am 17. Mai 2009 gestorben. Mehr als vier Jahre hatte sie gegen eine sehr seltene und kaum erforschte Form von Krebs gekämpft.

Im März 2005 hatte sie einen Autounfall, hat auf dem Weg zur Arbeit ein Reh angefahren. Danach hatte sie höllische Rückenschmerzen. Der Besuch beim Hausarzt ergab: Wirbel ausgerenkt. Wurde wieder eingerenkt, danach entstand eine ca 20 cm große Schwellung rechts neben der Wirbelsäule. Ein innerer Bluterguss, sagten die Ärzte. Da der Bluterguss nicht verschwand oder auch nur zurückging, entschloss man sich, den Bluterguss aufzuschneiden und zu entfernen. Dies wurde im städtischen Krankenhaus erledigt. Als ich danach ins Krankenhaus kam sagte mir meine Mutter, dass eine Probe des entnommenen "Blutergusses" zur Untersuchung eingesandt worden war. Die Diagnose kam prompt: Krebs. Ein Tumor von ca 20 cm. Nur entdeckt durch den Autounfall. Um sicherzugehen, dass alles entfernt wurde, kam meine Mutter in die Uniklinik Ulm, wo in einer siebenstündigen und einer vierstündigen OP jedes noch so kleinste Teil entfernt wurde. Zu dieser Zeit hätte ich eigentlich Abi schreiben sollen, hatte jedoch das "Glück", durchgefallen zu sein und die 12. Klasse zu dieser Zeit zu wiederholen. Danach folgten Bestrahlungen usw. Ich weiß nicht, wie oft ich in der darauffolgenden Zeit mit meiner Mutter in die Uniklinik zu Untersuchungen gefahren bin, eigentlich ging meine komplette Freizeit dafür drauf. Die darauffolgende Krankheitsgeschichte der kommenden 4 Jahre hab ich nicht mehr ablaufgetreu im Kopf, aber irgendwann folgten zwei Lungenteilresektionen, unzählige Chemos (insgesamt glaube ich um die 50), ein Tumor von ca 30cm im rechten Oberschenkel (nach außen gewachsen), ein Tumor von 15cm auf der rechten Seite, ebenfalls nach außen gewachsen, ein Tumor im Nackenbereich, der vorübergehend schlimme Übelkeit etc bewirkte, eine verbrannte Achsel aufgrund der vielen Bestrahlungen und schließlich im Januar 2009 ein neuer Tumor im Rücken, wo alles begonnen hatte. Der drückte auf Wirbelsäule und Nerven und lähmte die Beine meiner Mutter.


Am 25. Januar waren wir noch griechisch Essen, um meinen Geburtstag nachzufeiern, knapp eine Woche später konnte sie nicht mehr laufen. Ich hatte zu dieser Zeit Semesterferien (ich habe in Österreich studiert) und habe die Pflege meiner Mutter übernommen. Wir haben einen Rollstuhl von einer Pflegestation geliehen, einen Aufsatz für die Toilette gekauft (der Toilettenstuhl war keine Alternative) und ich schlief bei meiner Mutter im Bett, wo sie mich jede Stunde weckte, weil sie auf die Toilette musste oder den Eindruck hatte (sie konnte es nicht mehr wirklich spüren). Ich hob sie aus dem Bett (sie wog um die 80kg, konnte nicht mehr selbst ihr Gewicht tragen und hatte vor allem höllische Schmerzen, sobald man sich berührt hat), setzte sie in den Rollstuhl, fuhr sie ins Bad, hob sie auf die Toilette usw. Nebenher führte ich noch den Haushalt, kochte für meine Familie (oma, Schwester) und erledigte die Einkäufe. Nach zwei Wochen war ich am Ende meiner Kräfte und konnte kaum noch stehen. Zu dieser Zeit haben wir uns entschieden, meine Mutter ins Krankenhaus zu verlegen, bis es ihr wieder besser ginge. Die bisher ambulant durchgeführte Chemo wurde nur stationär durchgeführt. Insgesamt war meine Mutter vom 16. Februar bis 1. April 2009 im Krankenhaus.


Am 1. April konnte sie ihre Zehen wieder ein kleines bisschen bewegen und wieder einmal erschien sie voller neuem Lebensmut. Sie kam ins Allgäu auf Reha, eine wunderschöne Klinik, ein wunderschönes Zimmer, wunderschöne Aussicht. Ich war von Sonntag abend bis Dienstag mittag in Salzburg zum Studium, Mittwochs fuhr ich zu meiner Mutter, donnerstags und freitags erledigte ich den Haushalt, samstags fuhr ich wieder zu meiner mutter, sonntag wieder nach Salzburg. Mittlerweile befand ich mich im letzten Semester und sollte eigentlich meine Abschlussarbeit verfassen. Ein kaum zumutbarer Zustand. Von Salzburg aus telefonierte ich jeden Tag mit meiner Mutter. Plötzlich kam es immer häufiger vor, dass sie sagte "warte kurz", den Hörer weglegte und einfach einschlief. Das machte mich mit der Zeit ziemlich stutzig und ich verlangte, eine Ärztin zu sprechen. Zuerst per Telefon, wo mir eine Krankenschwester sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, das komme nur von der Chemo. Aber als meine Mutter auch bei unseren Besuchen fast nur noch schlief, bestand ich darauf, endlich eine Ärztin zu sehen. Die hatte dann auch endlich mal Zeit für mich. Was sie mir sagte, war niederschmetternd: "Frau H., Ihre Mutter hat Metastasen in Leber, Lunge und Rückenmark. Wir können nichts mehr tun. Sie ist eine starke Frau, aber ich gehe davon aus, dass sie nur noch einige Wochen oder Monate zu leben hat." BUMM. Meine Welt war zusammengebrochen. Ich ging zurück ins Zimmer meiner Mutter und wollte mir nichts anmerken lassen. Ging aber nicht. Also stand ich am Kopfende des Bettes, weil ich wusste, dass sie den Kopf nicht dorthin drehen konnte. Trotzdem hat sie etwas gemerkt (Mütter merken eben alles) und meinte "sag mir bitte genau, was die Ärztin dir gesagt hat". Und da habe ich ihr in die Augen gesehen und gesagt "Die Ärztin hat gesagt, wir haben nicht mehr viel Zeit zusammen". Danach haben wir erstmal alle geweint. Als wir uns beruhigt hatten, hat sie mich ziemlich energisch gebeten, meine Patentante und -onkel anzurufen, weil wir noch einiges zu besprechen hätten. Das habe ich am selben Abend gemacht und die beiden versprachen, schon zwei Tage später, am Freitag, zu uns zu kommen. Ich fuhr alleine mit ihnen ins Allgäu.


Eigentlich wollten wir zuerst essen gehen, dann fiel mir aber ein, dass meine Mutter nachmittags Therapien hatte und wir wohl doch besser zuerst zu ihr fahren sollten. Als wir ankamen, war die Schwester gerade bei ihr und wusch sie und benetzte mit einem Q-Tip ihre Lippen. Meine Mutter schaut mich an, kann kaum sprechen (aufgrund der starken Schmerzmittel wohl, wie ich hinterher erfahren habe) und meint "geht weg. haut ab!" Wir sind aber trotzdem geblieben. Aber besprechen konnten wir mit ihr nichts mehr. Als Mein Onkel dann langsam von "nach Hause fahren" sprach, schaute meiner Mama mich an und sagte "dableiben". Also versprach ich ihr, dazubleiben, während die anderen wieder nach Hause fuhren. Freitag nacht haben wir noch ein bisschen die Wiederholung eines Spiels des FCB gesehen, sie hat sogar noch mit Interesse auf den Bildschirm geschaut. Plötzlich schaut sie mich an und sagt "jetzt sag ich dir mal was". Ich bin aufgestanden und zu ihr gegangen und habe gefragt "was willst du mir sagen?" aber sie schaute mich nur an und sagte NICHTS! Plötzlich, um ca 22:15 sagte sie dann "Jetzt ist Schluss!", ungefähr so, wie man einem kleinen Kind befiehlt, mit etwas aufzuhören, was es nicht tun soll. Ich habe also den TV ausgeschalten und blieb bei ihr am Bett sitzen. Um ein Uhr nachts kam die Schwester ins Zimmer. Meine Mutter meinte zu ihr "jetzt bin ich ja schon wieder woanders"...sie war immer noch im selben Zimmer im selben Bett. Um sechs Uhr Samstag früh war die Schwester wieder da. Meine Mutter sagte "Ich weiß nicht, wo ich bin...". Das war das letzte, was sie sagte. Ab da war sie nicht mehr ansprechbar. Aber sie kämpfte. Auch wenn das Atmen immer schwerer ging. Ab Samstag früh stöhnte sie bei jedem Atemzug, aber wohl nicht aufgrund von Schmerzen. Es war einfach eine automatische Reaktion. Samstag nachmittag hob sie ruckartig die Hand und kratzte sich am Hals. Ich sprang auf und zu ihr hin. Aber sie war geistig nicht mehr anwesend. Die ganze Samstag nacht durch stöhnte sie bei jedem Atemzug wie unter großen Schmerzen. Das machte mich komplett fertig. Eine Schwester kam ins Zimmer, brachte eine CD mit beruhigender Musik (wunderschön). Ich weiß nicht, wie oft wir die CD von vorn bis hinten hörten. Um 5 Uhr morgens konnte ich absolut nicht mehr. Ich hatte meiner Mutter alles gesagt, was ich sagen wollte, ich hatte sie gestreichelt, ihr vorgesungen, aus Büchern vorgelesen, ich habe ihr gesagt, sie hätte genug für uns getan und sie darf gehen..Irgendwann hab ich das Kreuz an der Wand gesehen - und habe es angeschrieen, warum meine Mutter nicht gehen darf und habe das Kreuz dann auf den Boden geworfen.


Am Sonntag morgen um halb 9 wurde die Atmung allmählich langsamer. Schließlich holte sie nur noch alle 10 bis 15 sekunden luft. um halb 11 am Vormittag bewegte sie ganz leicht ihre Zunge, ein kleines Rinnsal Spucke lief an der Backe herunter und sie atmete ein letztes Mal. Dann war alles ruhig. Fünf Minuten hielt ich ihre Hand ganz fest, dann rief ich die Schwester, die auch gleich kam. Zuerst nahm sie mich in den Arm, dann rief sie weitere Schwestern. Ich bat sie dann, mich noch einmal mit meiner Mutter alleine zu lassen. Das tat mir sehr gut, so in aller Stille Abschied zu nehmen. Dann kam der Seelsorger, der meiner Mutter eigentlich die Krankenkommunion bringen wollte. Er nahm auch auf sehr persönliche Weise mit einem Rückblick auf die Wochen meiner Mutter in der Klinik Abschied. Eine halbe Stunde später trafen schließlich meine Oma und meine Schwester ein. Sie waren leider zu spät gekommen. Zusammen mit einem befreundeten Pfarrer nahmen wir lange und sehr persönlich Abschied von meiner Mutter. Danach packten wir langsam die Sachen zusammen und machten uns auf den Heimweg.


Ich musste fast hinausgetragen werden aus der Klinik, nach 70 Stunden auf den Beinen, ohne Essen und ohne Schlaf. Doch anstatt zu schlafen begann ich noch am selben Abend die Beerdigung zu planen und zu organisieren, denn ich wollte, dass die Beerdigung besonders wird - so besonders, wie es meine Mutter war. Wir hatten eine Sängerin, und ich ließ die Geschichte von den "Spuren im Sand" vorlesen. Auch der Sarg war ganz speziell, mit einer Spur aus Kieselsteinen, die wie ein Fluss aussieht. Die Anteilnahme an der Beerdigung war überwältigend, es waren ca 500 Menschen anwesend und viele kamen anschließend zu mir und bedankten sich für diese "wunderschöne" und spezielle Beerdigung..so schön ein solches Ereignis eben sein kann.

Ich hatte danach jedenfalls das Gefühl, alles für meine Mutter getan zu haben, was ich tun konnte, ich war in den letzten Stunden bei ihr und ich habe ihr einen besonderen Abschied bereitet.

Trotzdem vermisse ich sie unbeschreiblich. Die ersten Monate hatte ich gar keine Zeit, mich auf das Vermissen zu konzentrieren. Ich habe mein Studium erfolgreich abgeschlossen, sämtliche Behördengänge und Anträge im Alleingang erledigt und so weiter. Erst in den letzten Wochen und Monaten kommen langsam immer mehr Details aus der Erinnerung und oft fange ich ohne erkennbaren Grund zu weinen an. Ich habe bei Michael Jacksons Tod geweint, aber nicht wegen Michael sondern wegen der Kinder. Ich weine bei Filmen oder ich weine, weil ich ein Lied oder ein Gespräch im Radio höre. Und trotzdem versuche ich, stark zu sein. Stark für meine Schwester, stark für meine Oma, die nun beide Kinder verloren hat. Alle können zu mir kommen und sich ausweinen. Nur ich habe leider keine Person, die mir zuhört. Niemanden, der mich in den Arm nimmt. Meine Oma und Schwester haben genug mit ihrem eigenen Schmerz zu tun und leider entfernen wir uns gerade etwas voneinander.. es ist auch alles andere als einfach, mit seiner Oma unter einem Dach zu wohnen, wenn die Generation dazwischen fehlt. Freund habe ich auch keinen und meine beste Freundin wohnt leider mehr als 300km entfernt. Aber ich weiß, dass ich auch diese Situation irgendwie meistern werde, weil ich meiner Mum viel zu verdanken habe und ihr es durch meinen Erfolg im Leben zurückgeben möchte.

Und neulich habe ich einen tollen Spruch gelesen: "People don't lose their battle to cancer. They've fought their fight. We continue the battle for them." Und genau so sehe ich das auch.

Ich wünsche auch euch allen viel Kraft, die schwere Zeit, die ihr habt, durchzustehen.
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