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Alt 16.08.2003, 22:42
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Standard Mein Opa hat´s geschafft

Nun gehöre auch ich in den Kreis der Hinterbliebenen.

Vor zwei Jahren kam der große Schicksalsschlag. Beiden Eltern meiner Mutter wurde fast zeitgleich Krebs diagnostiziert. Bei meiner Oma hatte er sich vom Darm aus bereits unheilbar verbreitet, meinem Opa konnte man frühzeit und erfolgreich den Magen samt Krebs entfernen.
Er hatte sich so gut aufgerappelt. Hat gut gegessen, wieder zugenommen. Im Mai letztes Jahr ist meine Oma ihrem Krebs erlegen. Sie hatte doch so viel Hoffnung, soviel Lebenswillen und von da an schwächelte auch mein Opa wieder. Er aß nicht mehr regelmäßig, vergaß ständig seine Tabletten, aber anfang diesen Jahres schien es wieder bergauf zu gehen mit ihm. Es ging ihm besser - er kam endlich auch ohne seinen Magen gut klar, zog in eine neue Wohnung und war wieder so aktiv und agil wie ich ihn immer kannte. Als ich im Juni meine alte Heimatstadt, so auch meine Eltern und meinen Opa besuchte bekam ich aber einen riesen Schreck. Wieder war er abgemagert - nur noch Haut und Knochen und irgendwie wirkte er immer öfter abwesend. An meinem letzten Besuchstag rief er noch an und bat uns die verschriebenen Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke für ihn abzuholen. Als wir zu ihm kamen fanden wir ihn in einem üblen Zustand vor. Er lag auf dem Bett, klagte über Schmerzen im Bauch und hatte schon stundenlang heftiges Nasenbluten. Wir brachten ihn ins Krankenhaus, wo man ihn erst nicht aufnehmen wollte, weil er ja "nur" Nasenbluten hatte, aber er drängte darauf. Ich holte noch einige Sachen aus der Wohnung und brachte sie ihm, fast schon ahnend das ich ihn das letzte Mal sehen würde. Am nächsten Tag fuhr ich etwas beunruhigt nach Hause und kaum angekommen bekam ich per Telefon diese schreckliche Nachricht. Leberkrebs im Endstadium. Ich war geschockt, obwohl ich mit so etwas schon rechnete und mich kam eine unendliche Wut! Warum lässt dieser Krebs ihn denn nicht endlich in Ruhe? Warum hat das denn kein Arzt bemerkt? Er hatte doch schon Krebs und ging immer zur Vorsorge, doch die Ärzte nahmen ihn nie richtig ernst.
Man sagte uns gleich, das er nicht mehr lange leben würde und es ging ihm zunehmend schlechter. Trotzdem genehmigte der Arzt ihm seinen letzten Wunsch. Ein Urlaub in Ägypten.
Ich hatte furchtbare Angst, das er nicht mehr wiederkommen würde. Doch er kam wieder - nach nur 2 Tagen, da er es nicht mehr aushielt - nicht mehr konnte. Meine Mutter teilte mir per Telefon mit, das er gleich nach der Ankunft in die Charite in Berlin kam, wo er künstlich ernährt wurde und man ihm Morphium gab. Kurz darauf durfte er nach Hause.
Ich hätte ihn so gern besucht, aber aufgrund dieser riesen Entfernung (720 km) war mir das leider nicht möglich, da ich hier nicht für längere Zeit weg konnte. Meine Mutter unterrichtete mich aber regelmäßig per Telefon über seinen Zustand. Er war sehr abgemagert, nicht mehr ganz bei sich und bettlägerig. Es muss furchtbar für ihn gewesen sein. Er der immer der Mann im Haus war, der die Verantwortung übernommen hatte und nie 5 Minuten auf einem Fleck sitzen konnte, weil er ohne Bewegung Hummeln im Hintern bekam, konnte nun nichts mehr tun. Nur noch daliegen und Schmerzen leiden und so hilflos wie ein kleines Kind sein.
Es nagte an ihm, er wollte so nicht weiterleben - er hat sich den Tod gewünscht - wollte das er endlich Ruhe hat - nicht mehr kämpfen muss.
Noch vorgestern hatte meine Mutter berichtet, das es wohl zu Ende geht, gestern Nacht hat man ihm die Sonde zur künstlichen Ernährung entnommen da sie ihn schmerzte und er bekam noch zwei Morphiumpflaster. Mein Onkel und meine Mutter wechselten sich ab - es war immer jemand bei ihm.
Heute morgen um 7.00 Uhr ist er dann in den Armen meines Onkels eingeschlafen - ohne Schmerzen - sein Herz hat einfach aufgehört zu schlagen.

Ich weiß nicht wie ich mich fühlen soll. Ich freue mich so sehr für ihn das er es endlich geschafft hat, das ich gar nicht richtig zum trauern komme. Im ersten Moment habe ich geweint und ich weiß ich werde ihn vermissen, aber auch weiß ich das er es so wollte und das er nun erlöst ist von diesem harten Leben.
Einerseits hätte ich ihn gern nochmal gesehen, andererseits aber habe ich so in Gedanken noch immer meinen großen, starken und lustigen Opa vor mir - so wie ich ihn immer kannte. Der, der mit mir durch die Geschäfte zog und mir tolle Sachen kaufte als ich klein war, der, der mir meine ersten Ohrringe schenkte und der, der immer Zauberstricks vorführte und uns zum Lachen brachte und der um dessen Nebenplatz wir Kinder uns bei Festen immer gestritten hatten, weil alle neben Opa sitzen wollten.
Es ist so ganz anders als damals bei meiner Oma. Damals weinte ich den ganzen Tag, konnte es nicht fassen und brach fast zusammen. Ich sah ständig meine schwache, kranke Oma vor mir, konnte mich kaum daran erinnern wie es war als alles gut war, doch bei meinem Opa ist es das ganze Gegenteil.
Liegt es daran das ich in all der Zeit gelernt habe zu verstehen, damit umzugehen, den Tod zu akzeptieren oder liegt es daran, das ich kaum die "schwachen" Momente der Krankheitszeit erlebt habe? Ich weiß es nicht und ich weiß auch nicht wie lange dieser Zustand anhält.
In der nächsten Woche wird die Beerdigung sein und nichts und niemand kann mich aufhalten, denn wenn ich schon in den letzten Wochen nicht bei ihm sein konnte, so will ich mich wenigstens gebührend verabschieden können. Vielleicht wird mir auch dann erst richtig bewusst, das er tatsächlich nicht mehr ist.

Für meinen Opa.

Stolz und Disziplin
hast du immer gesagt,
sind wichtig im Leben.
Bleib du selbst und bring andere zum Lachen,
versuche Freude zu geben andere glücklich zu machen.
Sei aktiv, tu was dir möglich
lass dich nicht hängen und gib nie auf.
Das alles hast du mir vermittelt und
darauf bin ich wahnsinnig stolz.
Du selbst hast dich immer an all das gehalten,
hast nie aufgehört für uns da zu sein.
Hast uns auch noch im hohen Alter gelehrt
das Sein ist immer mehr als Schein.

Trotz dessen hast du aber immer gewusst,
das man nicht immer gewinnen kann und du auch
mal nachgeben musst.

Ich danke dir von Herzen dafür das du warst,
das du mich geformt und beeinflusst hast.
Vor allem aber will ich dir danken, das du mir
den Abschied leichter machst, indem du gesagt hast
"das Leben macht mir so keinen Spaß".

Das du jetzt endlich Ruhe hast, das hoffe ich für dich
denn wenn es dir gut geht, so ist es auch okay für mich.

In meinem Herzen bist du ganz fest drin,
Ich hab dich lieb, denn nur das macht Sinn.



Ich danke euch für´s Lesen...
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