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Alt 04.04.2007, 15:54
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marjana marjana ist offline
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Registriert seit: 10.07.2006
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Standard AW: arztgespräch zieht mich runter...

Da stehen Fragen im Raum wie:
„Was darf der Arzt dem Patienten sagen und wie ?“
Ich stelle die Fragen:
„Was muß der Arzt mir sagen?“ oder „Was will ich von ihm wissen, was nicht ?“

In der Frage der Diplomatie sind wir uns mehr oder minder einig: Einen Preis für Feinfühligkeit hat dieser Arzt sicherlich nicht verdient für die Art, wie er seine durchaus richtige Aussage gemacht hat. ABER ist er nicht sogar dazu verpflichtet, seine Patientin darüber zu unterrichten, daß es ein Rückfallrisiko gibt, und das auch über viele Jahre oder Jahrzehnte. Woher soll er wissen, wieviel Kenntnisse seine Patientin hat ?

Wie würden alle hier aufheulen, wenn eine geschrieben hätte: „Mein Arzt hat mir gesagt, ich sei geheilt, also hab ich bestimmten Symptomen keine Bedeutung beigemessen. Jetzt hab ich Krebs in so fortgeschrittenem Stadium … Woher sollte ich denn wissen, daß meine Müdigkeit etc. Signale für ein Rezidiv waren ?“ Ich denke, er war verpflichtet aufzuklären – ob das die richtige Formulierung zum richtigen Zeitpunkt war, ist eine andere Frage.

Als mein Rezidiv leider sehr spät entdeckt wurde (die Gründe dafür würden ein eigenes Buch füllen und führen jetzt zu einem Schadensersatzprozeß), habe ich JEDER der behandelnden ÄrztInnen und auch allen Ärzten im Familien- und Freundeskreis sofort beim ersten Gespräch darüber deutlich gesagt: „Ich will von niemandem etwas über meine statistische Überlebenschance hören ! Ich will nur wissen, was ich tun kann.“
Ich habe einen kleinen Aufruhr veranstaltet, als mir die Krankenkasse UNAUFGEFORDERT eine Broschüre zugeschickt hat, in der stand, daß bei metastasierendem Brustkrebs KEINE Heilungschance mehr bestünde. Ich fand das eine Unverschämtheit, und obendrein ist es noch falsch. Es sei denn, man betrachtet Krebs wie den Alkoholismus oder wie eine chronische Krankheit (einmal …, immer …).

Der Arzt hat ja nicht gesagt, daß Katrin einen Rückfall haben wird, er hat versucht, zugegebenermaßen ungeschickt, ihr zu sagen, daß sie ein Leben lang wachsam bleiben muß. So wie wir es in anderen Bereichen ja auch lernen müssen – im Straßenverkehr zum Beispiel. Obwohl uns Eltern und Lehrer immer gesagt haben, wie schlimm eine Unvorsichtigkeit im Straßenverkehr enden kann. Trotzdem leben wir nicht in ständiger Todesangst ! Wir wissen um die Gefahr, sind vorsichtig und fühlen uns dadurch geschützt.

Ich hatte die Situation, daß meine Lungenmetastasen „inaktiv“ geworden waren. Der Ausdruck war mir suspekt, also fragte ich meine damalige Onkologin, was das denn bedeute. Sie antwortete – wohl um mich zu beruhigen – „Das heißt, sie sind tot.“ Ihr könnt Euch sicherlich vorstellen, wie tief mein Fall war, als sie zirka 3 Monate später alle wieder aktiv waren ! Ich war nicht darauf vorbereitet ! Sie waren ja angeblich tot und Tote können sich nicht selbst wiederbeleben.

Die Angst wird uns niemand wirklich nehmen können, wir müssen (mit oder ohne professionelle Hilfe) lernen, sie zu beherrschen, damit wir so damit umgehen können, wie mit unserer Angst im Straßenverkehr oder so wie die Bergleute, die jeden Tag einem gefährlichen Beruf nachgehen viele Meter unter der Erde. Die, die diese Todesangst nicht aushalten können, werden diesen Beruf aufgeben. Im Unterschied zu uns haben sie die Wahl ! Wer aber garantiert mir, daß mich nicht ein betrunkener Autofahrer ins Jenseits befördert, während ich harmlos am Straßenrand stehe ? Ist mir vor 2 Jahren fast passiert: 80 cm vor mir gewann er zum Glück die Kontrolle über sein Auto (konnte man an den Spuren später nachprüfen), sonst wären meine Freundin und ich …

Mit dieser gefährlichen Krankheit, die leider auch zurückkommen kann, wenn man oder frau sich schon in Sicherheit wiegt, müssen wir lernen zu leben – und erst Recht, wenn die Gewissheit auf einen Sieg ausgeschlossen scheint, wie in meiner aktuellen Situation. Manchmal, da packt mich die Angst arg in den „Schwitzkasten“, aber dann besiege ich sie immer und immer wieder (bisweilen mit, mitunter ohne Hilfe) und lebe mein Leben, zugegeben etwas eingeschränkt, mache Pläne für die Zukunft, hoffe auf den Fortschritt in der Medizin und baue darauf, daß mein Körper das alles durchhält bis dieser Fortschritt für mich nutzbar wird und habe plötzlich Todesangst, weil der Blitz so nah eingeschlagen ist, daß das Haus bebte. Horche lange und angespannt, wie das Gewitter sich wieder entfernt und bin froh, daß ich es überlebt habe. Ich ärgere mich wie jede(r) über völlig unverständliche Rentenbescheide, die mich zwingen unendlich viel Zeit aufzuwenden, um nur annäherungsweise zu begreifen, daß sie möglicherweise so rechtens sind. Welch verlorene Zeit !

Verlaßt Euch nicht auf die Statistik. Ich habe einen guten Freund, der kann Euch anhand einer Statistik beweisen, daß Störche tatsächlich verantwortlich sind für hohe oder niedrige Geburtsraten … Statistik ist sicherlich wichtig, aber es ist eben NUR Statistik.

Die Wahrscheinlichkeit und die Unwahrscheinlichkeit sind Schwestern, von denen man nie weiß, welche einen als nächstes besucht !

In dem Sinne wünsche ich allen Betroffenen, daß sie ihre Ängste immer wieder besiegen.

Marjana
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