Einzelnen Beitrag anzeigen
  #60  
Alt 07.01.2009, 21:03
Benutzerbild von Susanne85
Susanne85 Susanne85 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 20.09.2008
Ort: Fürstenfeldbruck
Beiträge: 165
Standard AW: Mögen die Engelchen dich begleiten, liebste Mama

Lieber Stefan,

ich bin überwältigt von dem Humor, den du (noch) trotz allem mit dir trägst. Auch die Kraft und dieses tiefe Bewusstsein, für das, was passiert ist oder passieren wird. Liegt es an der "tollen gemeinsamen Planung" zwischen dir und deiner Frau? An der puren Offenheit und Ehrlichkeit euch beiden gegenüber? Daran, dass du einfach älter und somit reifer und lebenserfahrener bist?

Ich denke nicht mehr so ununterbrochen an die vergangenen 1 1/2 Jahre, die letzten 6 Wochen im Leben meiner Mama oder an ihren Todestag, den 16.12.2008. Aber wenn ich abends im Bett liege, dann denke ich daran. Und zwar nur daran. Und ich kann es nicht abstellen. Wenn ich lache und glücklich und zufrieden bin, denke ich daran. Ich weiss, was Mama sagen würde: "Lach und freue dich für mich, dass ich es hinter mir habe! All die Qualen, die Schmerzen, die Hilflosigkeit, die Angst, die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit etc.! Freue dich für mich, trink einen auf mich und lebe!!". Ich weiss auch, dass es richtig ist, sich zu freuen, wenn mir danach ist oder eben zu weinen, wenn ich das brauche oder will. Aber manchmal fühlt es sich komisch an, zu lachen.

Ich habe mir immer das Bild vor Augen führen müssen, als sie tot im Bett lag, um auch zu verstehen, dass sie nie wieder kommt. Zur Zeit will ich sie immer anrufen und ihr sagen "Mama, du glaubst nicht, was ich für einen Bericht im Fernsehen gesehen habe!". Und dann merke ich, ich kann nicht anrufen. Und dann bin ich verzweifelt. Ich frage mich dann immer, wen ich denn jetzt anrufen soll. Mama konnte ich immer anrufen. Egal wegen was. Und wenn ich einfach nur reden will. Und dann muss ich ans Grab gehen und weinen. Manchmal kommt es in Arbeit, dass ich einfach feuchte Augen bekomme. Ich bin sehr durcheinander. Wenn ich weine, will ich nicht in den Arm genommen werden. Deshalb weine ich auch noch kaum zu Hause. Ich will nicht ablehnend meinem so bemühten Freund gegenüber wirken.

Und ich habe Angst vor morgen. Morgen habe ich Geburtstag. Und mir wird beim Schreiben dieser Zeilen und dem Brennen der Kerzen an ihrem Sterbebild so sehr bewusst, dass sie morgen nicht kommt. Sie steht nicht aufgepackt mit Geschenken und Kuchen um 9 Uhr vor meiner Tür und singt Happy Birthday. Deshalb werde ich morgen um 9 Uhr schon nicht mehr zu Hause sein, damit ich nicht auf das Klingel warte.

Meine Mama ist auch so gestorben, wie sie wollte. Sie sagte immer, wenn sie stirbt möchte sie auf der Palliativstation sterben. Und sie möchte einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen. Und sie möchte nicht allein sein. Gegen letzteres hat sie sich wohl doch noch kurzfristig umentschieden. Aber sie hat sich den ganzen Tag gequält. Denn den ganzen Tag war sie nicht allein. Sie wäre sicher früher gegangen, wenn sie früher allein gewesen wäre. So sehr setzte sie mit letzter Kraft noch ihren Willen durch.

Für das Aufbahren hast du allen Respekt von mir. Ich wäre dazu nicht in der Lage gewesen. Ich weiss nicht wieso, aber der tote Körper meiner Mama hat Unbehagen, ja sogar etwas Angst in mir ausgelöst. Und dann die Verwesungserscheinungen, die folgen... Ich will gar nicht daran denken. Dazu gehört viel Kraft. Ich habe mir oft die Bilder vorgestellt, wie die Krankenschwester Mama wohl gekämmt, abgewaschen, umgezogen, umgebettet und geschmückt hat. Und auch das hätte ich nicht gekonnt. Ich konnte nicht mal ihre Dinge zusammenräumen, während sie noch in diesem Bett lag. Und die Bettnachbarin noch dazu genauso aufgebahrt in ihrem Bett im gleichen Zimmer lag. Ich will gar nicht daran denken.

Ich glaube, für den Partner ist das alles noch eine Ecke anders. Mein Papa hat mir gesagt, dass er es so schlimm findet, dass überall in der Wohnung ihre Sachen sind. Egal wo er hinsieht, es erinnert und schmerzt ihn. Und die Einsamkeit. Das alles habe ich ja nicht. Ich habe auch Dinge von Mama hier. Ihre Handtasche, ihren Schlüssel, ihren sorgfältig gepflegten Kalender, der einem Tagebuch gleicht, ihren Geldbeutel, ihr Armketten, das sie mir vermacht hat, ihren Jogginganzug, ihre Jacke etc. Aber ich habe das hier, weil ich das will.

Ich trinke jetzt noch ein Glas Wein. Auf mich, auf meine Mama, auf dich, lieber Stefan, und auf deine Frau Christel (falls sie wirklich Alkoholverbot haben. Das Rauchverbot wäre für Mama auch fatal. Sie hat am 14.12.2008 ihre letzte geraucht )

Viele liebe Grüße

Susanne
__________________


Für meine geliebte Mama
13.06.1964 - 16.12.2008
http://de.youtube.com/watch?v=PP_NQPrbRvM
Mit Zitat antworten