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Alt 10.01.2012, 08:51
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sywal sywal ist offline
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Standard AW: Myxoides Liposarkom - Rezidive

2003 - 2005


Schön langsam war ich in die 2. Reihe der Abrufbaren vorgerückt. Obwohl immer wieder berichtet wird dass wir älter werden, hat sich mein Bekanntenkreis sehr verkleinert. Aber die Todesfälle, von der 2. Reihe aus betrachtet zeigten, dass vieles nicht so ist wie man in einer zivilisierten sozialen Welt vermuten würde.

So begann ich mich mit meiner Endlichkeit auseinanderzusetzen, versucht einen Platz in einem Sterbebegleitseminar zu bekommen. Zuerst wollte man mir die Teilnahme verweigern. Der Kursleiter meinte, als Krebskranke wäre ich wohl beim Psychologen besser aufgehoben. Dann durfte ich doch teilnehmen, und mit der Bezahlung der Kursgebühr war der Kursplatz gesichert. Mehrere Abende und ein Wochenende lauschte ich den Vortragenden. Beruhigend war das Gelehrte für mich nicht. Sollte ich nicht einem plötzlichen Tod erliegen, so würden hohe Abhängig- und Hilflosigkeiten auf mich warten. Einige Betreuende meinen dem Sterbenden gutes zu tun, verweigern z.B. das „gesundheitsschädliche“ Lieblingsessen, ein Glaser Wein, eine Zigarette oder wirkende aber lebensverkürzende Schmerzmittel. Andere wieder finden einen Weg den Kranken ins Lieblingsbeisel zu bringen, lassen dort das Lieblingsessen pürieren und achten darauf, dass sich der Abschied nehmende nicht verschluckt. Sie versuchen die bisherigen Gepflogenheiten bis zum Ende zu ermöglichen. Zumindest diese beiden persönlichen Betreuungsgruppen leiden unter schwersten psychischen und physischen Belastungen mit, sie sind bis zur völligen Erschöpfung für den Sterbenden da. Das wollte und will ich meiner Tochter nicht antun, sie braucht ihre Kräfte für mein Enkerl. Für mich stand und steht fest, wenn ich nur irgendeine Wahl habe, gehe ich zum Sterben in ein Hospiz.

Durch dieses Seminar wurde mir aber auch klar, dass ich eine Patientenverfügung schreiben muss. Damals hatte solch eine Verfügung, hinterlegt bei einem Verein, keine bindende Wirkung für den behandelnden Arzt.

Die nächste mir gestellte Aufgabe war, mich von den mit Panikattacken begleitenden Zahnarztbesuchen zu befreien. In der Volksschulzeit mussten wir in die Schulzahnklinik, auch wenn man bei einem niedergelassenen Arzt regelmäßig kontrolliert oder behandelt wurde. In dieser Klinik wurde gebohrt und gebohrt....... So hatte ich schon als Jugendliche keinen einzigen Zahn der nicht mit Füllmaterial versehen war. Sehr früh trug ich eine Teilprothese. Die Standardfüllungen wurden in der Fachwelt immer mehr kritisiert, auch erschienen vereinzelt Publikationen welche nahe legten, dass belastete Zähne zugeordneten Organen schaden können. Als einer meiner letzten 5 Zähne zu schmerzen begann, ließ ich mir unter Teilnarkose diese Zähne reißen. Diesen Schritt habe ich bis heute nicht bereut, auch wenn ich in keinen harten Apfel beißen kann – der wurde eben ab sofort klein geschnitten. Die Sarkombelastung wurde ich aber nicht los.

Anfang 2003 hatte ich das Gefühl, dass sich etwas in der rechten Leiste staut. Mit Gymnastik löste sich dieses Hindernis auf. Sicherheitshalber, ich konnte den Oberschenkel noch immer nicht ansehen, ersuchte ich eine, so glaubte ich befreundete Nachbarin, doch einmal zu tasten ob sie einen Dippel spürt. Sie tastete, spürte angeblich nichts. Im Mai entdeckte ich das Rezidiv selbst, zufällig beim Anziehen. Erschrocken rief ich eine befreundete Ärztin an, versprach ihr unverzüglich zur MRT zu gehen, sie würde sich um einen Kollegen kümmern. Am Wohnort wollte ich nicht in ein öffentl. Krankenhaus gehen, hatte ich es mir doch mit den beiden Spitzenonkologen verscherzt. Und bei denen führte kein Weg vorbei.

Die MRT ergab, trotz Vorlage aller Vorbefunde, „ eine 7x5x5cm große septierte cystische flüssigkeitsgefüllte RF. In erster Linie ist an eine Lymphocele zu denken. Für ein Liposarkomrezidiv ist die RF äußerst untypisch“.
Flüssig, flüssig – das kannte ich von einem histologischen Befund. Ich suchte und fand im Befund von 1995 „Im myxoiden Stroma mehrerenorts sog. Pooling-Phänomen – Ausbildung von Grundsubstanzseen mit am Rand angereicherten Tumorzellen.
Der empfohlene Chirurg, in einem kleineren Krankenhaus am Rande der Stadt arbeitend, meinte, dass die Raumforderung nicht operationswürdig sei. „Bitte“ sagte ich, „dass ist offenbar wieder ein Rezidiv. 1995 wurden lt. histologischem Befund im Tumor Seen gefunden. Und selbst wenn es eine wachsende Zyste ist, ich kämpfe seit Jahren um die Erhaltung meines Beines und soll mir jetzt die Gefäße von einer raumfordernden Zyste abdrücken lassen?“ Nach Abtastung der Läsion war er dann doch bereit, das Ding rauszunehmen.

Ohne viel zu tun hat sich ein Kreis um mich geschlossen, in welchem ich mich geborgen fühlte. Es waren wieder zum überwiegenden Teil fremde Menschen die mir beistanden. Ich erfuhr, dass die sog. befreundete Nachbarin damals, als ich sie bat den Oberschenkel abzutasten, sehr wohl einen Dippel gespürt hatte, das Ergebnis den Nachbarn erzählte. Viele haben es gewusst – nur ich nicht. Eigenartigerweise war ich nicht zornig, ich war bestürzt, wie gemein Menschen sein können.

In dieses KH fuhr ich mit dem Zug. Mir wurde ein 3-Bett-Zimmer zugewiesen und aus dem Fenster sehend, konnte ich meine geliebten Berge, besser gesagt Hügel, sehen. Vor Freude spürte ich, wie mir die Tränen runterkullerten. Dann kam eine sehr nette Schwester und erledigte den Verwaltungskram. Am nächsten Tag war die OP geplant.
Bei der ersten Visite nach der OP erfuhr ich, dass der Tumor in toto entfernt wurde. Der Tumor war so schön, wir haben ihn fotografiert, sagte der Arzt schelmisch. Hier fühlte ich mich wohl, der kleine Garten des KH wurde mein Lieblingsplatz. Das viele Grün, die liebevolle Pflege ließen mich rasch genesen.

Der histologische Befund bestätigte meinen Verdacht, es war ein Rezidiv. Es war aber auch vermerkt, dass die den Tumor umgebende Kapsel an 2 Stellen eingerissen bzw. defekt war. „Sie haben den Tumor in toto entfernt“ fragte ich den Chirurgen? „Ja“ antwortete er, „ganz sicher. Ich habe ihnen ja erzählt, dass wir das Sarkom fotografiert haben. Dabei haben wir ihn auch einmal umgedreht. Der Defekt muss dabei passiert sein“. Insgesamt fuhr ich dann noch 3 mal in dieses KH. Zur Nahtentfernung und 2 weiteren Nachbehandlungen, es war zu einer beträchtlichen Lymphansammlung gekommen. Abschließend stellte ich fest, dass ich mich in diesem KH sehr wohl und geborgen gefühlt habe.

Und nun erlebte ich einen kleinen Exkurs in einen anderen medizinischen Bereich, nämlich der Schilddrüse.
Kurz nach meiner Scheidung, vor vielen Jahren, wurde ich wegen immer wiederkehrenden Depressionen und Gewichtsabnahme in eine Schilddrüsenambulanz geschickt. Dort stellte man eine vergrößerte Schilddrüse fest, ein Medikament wurde verschrieben. Wie es in großen KH so ist, hat man immer wieder einen anderen Arzt – so lange bis mich mal ein Arzt fragte, wozu ich eigentlich dieses Medikament nehme. Er wollte mich auf die Psychosomatik schicken. Ich bestand darauf, dass er den Arbeitsauftrag der Überweisung erfüllte, wartete den Befund ab, gab dem Arzt recht und hörte mit der Einnahme der Pulver auf.

Jahrzehnte später ging ich wegen Herz rasen und starkem zittern zum Hausarzt, er überwies mich zum Internisten. Dieser stellte fest, dass ich zur Schilddrüsenambulanz müsse, um eine chirurgische oder radioaktive Behandlung durchführen zu lassen. Ich folgte dieser Empfehlung, vorerst wurden Tabletten verschrieben. Ziemlich schnell kam aber die mündliche und schriftliche Empfehlung der endgültigen Sanierung, welche ich ablehnte. Die Schilddrüse ist die Hormonzentrale, Hormone sind lebensnotwendig, so kann ich dieses Organ doch nicht einfach so raus nehmen lassen. Bzgl. Nebenwirkungen war es doch günstiger die nun reduzierte Dosis von ¼ F. weiter zu nehmen, mit der Möglichkeit diese abzusetzen, als lebenslang von der Einnahme des Hormonersatzes abhängig zu sein. Auf die Empfehlung der endgültigen Sanierung fragte ich immer „warum“, bekam nie eine Antwort. Nach vielen Monaten bekam ich endlich Antwort: "Für Diskussionen haben wir hier keine Zeit, da müssen sie schon in eine Privatordination gehen". Zu Beginn der Behandlung wurde u.a. ein ausführlicher Ultraschall gemacht, so war eine US-Kontrolle fällig. Der Mann fuhr mit dem Schallkopf an der Schilddrüse herum. War der Schallkopf kaputt? Er las sich die Bewertung des 1. US durch, verzog sein Gesicht und schon wieder hatte ich das kalte Eisen am Hals. "Stimmt was nicht", fragte ich. Nein, nein, sagte er, passt schon und drückte auf den Ausschaltknopf. Als dann diese US-Kontrolle im Arztbrief nicht erwähnt wurde war es für mich an der Zeit eine Privatordination aufzusuchen. Mit allen Befunden ausgestattet irrte ich mich doch prompt (und das war wirklich keine Absicht), legte auf Verlangen der Ärztin die sehr alten US-Aufnahmen, nicht jene des KH vor. Eigenartiger Weise glich ihre Bewertung jener des Altbefundes und nicht der letzten Aufnahmen. Auch sie empfahl die endgültige Sanierung, auf meine Standardfrage bekam ich endlich Antwort: „Damit die lästigen (3 monatlichen) Kontrollen entfallen“.
Zu Hause angekommen suchte ich nun im Internet den Autor einer, schon vor Jahren aufgehobenen Publikation über inadequate Schilddrüsenbehandlung. Es gab ihn noch, er war mittlerweile Professor geworden und arbeitete von meinem Wohnort weiter entfernt. So kontaktierte ich ihn mittels Mail, fragte an ob seine alte Publikation noch Gültigkeit hätte. Ja, sie hat und er war bereit sich meine Befunde anzusehen. Ich schickte ihm sämtliche Befunde in Kopie und dann kam seine Antwort:
„......annähernd normal große bzw. lediglich gering vergrößerte SD, die von Seiten des Szintigrammes und des Ultraschalles keine wirklichen wesentlichen Auffälligkeiten aufweist. Im Ultraschall werden wiederholt kleinere, echoärmere Areale / Läsionen beschrieben, die jedoch – meiner Meinung nach – in Abhängigkeit von den Ultraschallgeräten, etc. als nicht wirklich aufffällig bzw. beunruhigend derzeit einzustufen sind. Die Laborwerte weisen ebenfalls eine nahezu durchgehend euthyreote (normale) Funktionslage auf, lediglich die TG-AK sind erhöht, jedoch in einem Ausmaß, welcher ebenfalls als nahezu „physiologisch = normal“ anzusehen ist. …........Wie anhand der Laborbefunde unter F-Therapie nachzuvollziehen ist, handelt es sich bestenfalls um eine „intermittierende“ latente hyperthyreote bzw. subklinische hyperthyreote Stoffwechsellage, die jedoch auch aufgrund von anderen externen Einflüssen (Jodgaben etc.) zu erklären wäre. Aus meiner Sicht ergeben sich derzeit – immer unter dem Aspekt der mir vorliegenden Befunde betrachtet – keinerlei zwingende Notwendigkeiten für die Durchführung einer SD Operation; ebenso wäre die Gabe von F. zu hinterfragen......“.
Tja, über die (Minderheits)Probleme mit Jod in den Nahrungsmitteln hatte ich schon einiges gelesen, aber auch Kontrastmittel können Jod enthalten. Ich neutralisierte die Stellungnahme, legte sie bei der nächsten KH-Kontrolle vor und teilte mit,dass ich das Medikament bereits abgesetzt hatte. Ich weiß nicht ob es einen Zusammenhang gibt, ärztlicherseits wird dies verneint. Meine persönlichen Beobachtungen ergaben, dass doch einige, ohne Schilddrüse herumlaufenden Menschen eine Diabetes entwickeln. Und diesen Rucksack wollte ich mir nicht auch noch aufbürden.
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