Thema: 6 Wochen...
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Alt 17.07.2009, 21:43
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Blume68 Blume68 ist offline
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Standard AW: 6 Wochen...

Liebe Ulli.

Danke, dass du noch einmal alles so beschrieben hast.

"Ich fuhr dann direkt hin - leider war ich erst 1,5 Stunden nach Ihrem Tod dort - Ihre Seele war bereits fort. Was mir blieb , war Ihre Hülle....."

Warum glaubst du, dass ihre Seele bereits fort war? Hattes du das Gefühl? Oder war es nur, weil du nicht bei ihr sein konntest, als sie ging? Die Seele bleibt ja viel länger bei uns, als der Körper...
Ja, was sichtbar bleibt, ist die Hülle. Ein merkwürdiges Gefühl - mir selbst hat es ein Gefühl von Vergänglichkeit hinterlassen - ein Wissen, dass das, was uns ausmacht, nicht allein das ist, was für uns sichtbar ist.

Wenn meine Mutter gegangen wäre, als ich nicht bei ihr sein konnte, dann wäre ich auch sehr traurig gewesen. Ich bin dankbar, dass ich bei ihr sein konnte, in dem Moment, als sie diese Erde verließ. Es war ein sehr friedliches Gehen, mit Hilfe der Medikamente...so hatte sie es erhofft und sich gewünscht - nicht leiden zu müssen. Und das war für mich der wichtigste Aspekt - dass IHR Wunsch erfüllt worden ist. (Sie hatte nur einmal ganz kurz etwas Luftnot, und das wurde gleich gelindert. Meine Mutter hatte auch Lungenkrebs.) Mich selbst habe ich komplett zurückgestellt, all die Zeit ihrer Erkrankung. Wir standen uns aber auch vorher schon sehr nah. Es war Sommer, und wie das so ist...die Aussegnungszeremonie war noch am gleichen Abend...es waren liebe Menschen dort, die ihr nahegestanden hatten. War sie bei uns? Ich habe in dem Moment nicht darüber nachgedacht. es aber auch nicht in Frage gestellt. Ich habe es hingenommen, was passiert. Die Seele kommt erst langsam nach...
Was dalag, war ihre sterbliche Hülle, das habe ich so empfunden, ja. Auch am nächsten Tag, als sie abgeholt wurde...(das klingt so nüchtern, aber so war es nun einmal...)...es war ihre sterbliche Hülle, die dalag. So empfanden es meine Schwester, wie ich auch. Trotzdem war sie für mich noch im Raum, allerdings etwas...unwirklich für mich. Ohne ein "Zeichen" von ihr, es war nur mein Empfinden. Es ist ja alles irgendwie unwirklich in dem Moment.
Meine Mutter ist eingeäschert worden. Als der Bestattungsdienst sie abholte, waren meine Schwester und ich jeweils einen Moment noch allein mit ihr. Ich sagte ihr: "Jetzt zeig es ihm nochmal richtig, dem Scheixx-Krebs!"...denn es war mein Gefühl, dass das, was da mitgenommen wurde, eben der Körper war, der sie auf diese krankhafte Weise im Stich gelassen hatte - ihre Seele blieb unbeschadet.

Sei nicht böse, wenn ich das so offen schildere. Es mag makaber klingen, aber das war es nicht. Es war für mich ein überraschend eindeutiges Gefühl, dass SIE nicht (nur) ihr Körper war, den ich kannte, und gerne umarmte.
Sie war mehr als das, und das, was sie ausgemacht hatte, war jetzt unverletzbar.

All diese tröstlichen Dinge mindern aber die Trauer über den Verlust nicht.
Sie ist im Hospiz nochmal erst richtig "aufgeblüht", was ihren Lebenswillen anging. Am Wochenende vor ihrem Tod war ich ganz früh bei ihr, es war sehr warm, und ich hatte mir vorgenommen, mit ihr zusammen (mit Hilfe eines Rollstuhls, den man sich dort leihen konnte) einen kleinen Spaziergang in den nahen Wald zu machen. Sie klagte darüber, dass sie sich einsam fühlte - ihr fehlte ihr Haus, ihre alte Umgebung. Ich ging den ganzen Tag arbeiten, und hoffte nun auf zwei schöne Wochenendtage. Schon als ich ankam, ging es ihr schlecht, und es tat ihr leid, dass nun aus dem Spaziergang nichts werden würde. Ab dem Tag ging es rapide bergab - das war Samstag. Am Montag ist sie verstorben.

Während der ganzen Krankheitszeit fand ich die Unberechenbarkeit am schlimmsten. Überhaupt gar nichts mehr planen zu können. Als sie im Hospiz war, sagte sie mir, ich ich müsse ihr noch ihre ganzen Winterpullover bringen - sie würde sie ganz gewiss noch brauchen! Sie war das erste Mal seit Beginn der Erkrankung entspannt und hoffnungsvoll. Immerhin sind einige Menschen schon aus dem Hospiz wieder zurückgegangen in ihr früheres Leben...
Als ich den Samstag dort ankam, hat mich gerade das Gefühl der Unberechenbarkeit wieder vollkommen umgehauen. Ich wollte doch nur (noch) diesen Sommer mit ihr, wollte dieses Wochenende endlich mal ein bischen gute Zeit mit ihr genießen...und dann war es schon vorbei...nicht mal der letzte Sommer war uns vergönnt.

Sie fehlt mir auch sehr, Ulli. Es gibt Dinge, die man niemandem erklären kann, der es nicht schon selbst erlebt hat...dieses schwere Gehenlassenmüssen.

Wann immer dir danach ist - erzähl weiter von ihr. Es wird dir gut tun.
Ich lese bei dir mit.

Fühl dich umarmt und verstanden
von der Blume

PS. wenn ich von von mir erzähle, dann verstehe es bitt als Zeichen des Verständnisses für dich - meine Geschichte gehört nicht hierher, das weiß ich.
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In uns allen findet sich die Quelle höchster Weisheit -
die Quelle der Liebe.
(Thich Nhat Hanh)

Geändert von Blume68 (17.07.2009 um 21:55 Uhr)
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