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Alt 01.01.2009, 19:47
Walter Richter Walter Richter ist offline
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Registriert seit: 28.12.2008
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Standard AW: Die Bilder an denen man hängt und sie loswerden will

Ich danke Euch für die Antworten.

Ich habe nun zwei Jahre nach ihrem Tod anstandslos funktioniert, es halt nicht begriffen, das sie tot ist. Es ist die Zeit stehen gebleiben. Nun beginn sie wieder zu laufen, und alles kommt hoch. Nun bin ich eben mit schlaflosen Nächten, mit vollkommenen Erinnerungsrückfällen und einer panischen Angst vor Krebs gesegnet, gegen die alle Einwände nicht greifen, weil mir auf dem Fuße immer gleich ein Gegenbeweis aus meinem realen Erleben einfällt.

Es ist einfach Fakt, daß Krebs heute zu über 90 % früher oder später mit dem Tod einhergeht, ob das den Mediziniern nun paßt oder nicht. Es ist auch Fakt, daß der Mensch aus Milliarden an Zellen besteht, von denen jede potentiell unberechenbar ist, und alles im Grunde nur von der Regenerationsfähigkeit einer einzigen solchen abhängt.

Den Kampf mit der Alltagsangst hierzu, kann ich den Menschen überhaupt nicht verständlich machen, die leben irgendwo mit dem Bild der Schwarzwaldklinik, und der Vorstellung von einem Heilsboten namens Dr. Brinkmann, das aber Mediziner Thoraxdrainagen ziehen, obwohl der ganze Pleuraraum noch voller Luft ist, daß die Schulmedizin gerade mal stolz ist, eine Hand voll Krankheiten genetisch ableiten zu können, und über den Krebs kaum mehr weiß, als ein durchschnittlicher Biologiestudent, das greift im Verstand nicht.

Ich konnte neben der Krankheit meiner Mutter, die übrigens nur 49 Jahre alt geworden ist, mich mit Intriegen und Ränkespielen der Krebsärzte im Verbund mit den Pharmazeutikaherstellern herumplagen, mit Provisionschemos, und Bonusmodellen für Ärzte, die, und sei es auch völlig kontraindiziert nur das eine Zytostatika verwendet haben. Den ersten Krebsarzt meiner Mutter hat man sogar die Praxis ruiniert, weil er nicht mitgezogen hat. In der Uniklinik, in der meiner Mutter lag, wurden die Patienten nach Belegungsgesichtspunkten und in der sog. "Mischkalkulation Kasse-/Privat" auch mal kurzerhand zu Palliativkandikaten deklariert, wenn es "rentabel" erschien.

Ich konnte mir drei Tage im Zimmer meiner Mutter die Quälerei einer alten Frau ansehen, die man aus sog. haftungstechnischen Gründen korsettiert hatte, weil der Chefarzt schlicht zu feige war, für seine OP zu garantieren. Es haben ein Chef- zwei Oberärzte und ein halbes Geschwader Jungtürken in Weis drei Tage lang nicht bemerkt, das der Frau die Haut bis auf den Knochen durchgescheuert war, das sie im Korsett, im einene serösen Ausfluß eingelegt war. Veroperierte Werbegeschenke für Prothetik, daß man die ganze Wirbelsäule der Patientin gerade nochmal operieren durfte, trombotische ZVKs, am Hals, Patienten, mit Wirbelsäulenbruch mußten Leibesvisitationen nach Krankenkassenkarten über sich ergehen lassen, Wirbelbruch und Unfallschäden hin oder her.

Und als ich dann reklamiert habe, daß man ja eine Pneumonie ja im Krankenhaus übersehen habe, bekam ich die Antwort, daß soetwas auch durchaus woanders vorkomme, also nicht weiter Anlaß sei, sich irgendwie angesprochen zu fühlen.
Im Patientengespräch in der Nachsorge hat der Arzt telephonisch Reifen für seinen Sportwagen bestellt und meine Mutter nicht mal abgehorcht, obschon sie damals kaum noch Luft bekam.


Es muß in mir nur eine Zelle entarten und ich stehe vor der Wahl, mich diesem Irrsinn vollkommen hilflos auszuliefern, oder den Weg alles Zeitlichen zu nehmen.

Im Krieg geht es im Wenigsten, so doch wenigstens um Geschichte, um einen Dreckhaufen, den es zu erobern gilt, beim Krebs geht es doch nur noch um ein schmerzgelindertes Ende. Und wir haben nichteinmal das Gewehr in der Hand, sich illusionen über das eigene Vermögen machen zu können.

Vor der Ohnmacht bei Krebs verblasst sogar die Qual der Hölle.

Ich bin kaum dreisig Jahre alt und während alles um mich in der Glückseeligkeit von Familie und Karriere lebt, kann ich zusehen, wie ich mit den Bildern einer Wirklichkeit klarkomme, die keiner sehen will.

Ich komme mir mitunter vor, wie ein Gespenst, in Mitten eines tosenden Ozeans der Oberflächlichkeit. Es ist auch dies auch schlimmer, als jeder Krieg. Vor dem kann man nur schwer die Augen verschließen, weil Trümmer nunmal die Straßen säumen. Den Krebs gibt es ja offiziell nicht.

Was ich mit meinen Jahren gesehen habe, das reicht für zwei Menschenleben.

Christoph
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