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Alt 04.05.2018, 19:11
barg barg ist offline
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Standard Seminom, 1.8cm, Rete Testis - Carboplatin oder Überwachung?

Hallo miteinander

Vor 6 Wochen noch keine Ahnung dass es solch ein Forum gibt, melde ich mich nun als Leidensgenosse hier an.

Nachdem ich Mitte März Beschwerden im Magen-Darm Bereich hatte (gelegentliches Ziehen und Kribbeln in der ganzen Leiste, gelegentliches Ziehen um den Bauchnabel und gelegentliches Seitenstechen auf wechselnden Seiten) hat meine Freundin Ende März noch eine Grössendifferenz meiner Hoden bemerkt, ertastbar war allerdings nichts. Mir ahnte schon schlimmes.

Im Ultraschall am 1. April war der grössere Hoden völlig gesund, aber im kleineren wurden zwei Bereiche erkannt die zu allem Überfluss diffus durchblutet waren. Verdacht Hodenkrebs, sofort wurde CT und die Kryokonservierung terminiert. Tumormarker waren alle "nicht existent". CT war unaufällig, lediglich in der Leiste waren mehrere Lymphknoten zu erkennen die aber allesamt <1cm waren was wohl "normal" ist.

Knapp eine Woche danach wurde der Hoden samt Samenstrang und Lymphknoten entfernt. Meine grosse Sorge waren die zwei Bereiche, sodass mir das unwahrscheinliche Szenario von Metastasen eines anderen Krebses im Hoden nicht aus dem Kopf gehen wollte. Zudem war noch der kleinere Hoden und nicht der grössere betroffen. Diese Charakteristika hatte ich noch nirgends gelesen.

Am Freitag den 13. dann der pathologische Befund. Seminom mit 1.8cm Durchmesser, nur ein Tumor und nicht zwei wie es noch auf dem Ultraschall aussah, sowie eine herdförmige Infiltration des Rete Testis. Laut Urologen hätte ich ein 20% Risiko eines Rezidivs, mit adjuvanter Carboplatin-Chemotherapie würde ich dieses Risiko auf 4-6% reduzieren können.

Die Diagnose hat mich sogar erleichtert, anderer Primärtumor ausgeschlossen und dann sogar ein Seminom und kein Nicht-Seminom. Auch der Durchmesser klang so als ob es sich um ein frühes Stadium handele. Nur die Rete Testis-Infiltration blieb als Risikofaktor.

Die kommenden Wochen recherchierte ich zahlreiche medizinische Studien und las auch hier im Forum zu den Erfahrungen der Therapie. Nachdem anfangs die Angst vor einem Rezidiv klar die Alternative "Carboplatin Chemotherapie" attraktiver erschienen lies, kamen mir später Zweifel beim Lesen der Forschungspapiere. Das Rete Testis als Risikofaktor ist umstritten, die Tumorgrösse wird oft binär als Risikogrösse statistisch getestet (grösser oder kleiner als 4 cm). Das Vorliegen beider Risikofaktoren spricht für ein klar erhöhtes Rezidivrisiko von ca. 30%. Bei keinem Risikofaktor ist es wohl nur ca. 7-10%. Bei einem Risikofaktor ist es unklar.
Einige Studien, die das Rezidivrisiko in Abhängigkeit der Tumorgrösse getestet haben konnten zeigen dass das Rezidivrisiko mit zunehmender Tumorgrösse steigt, von ca. 9% bei 1 cm bis auf 26% bei 8 cm. Bei den beliebten 4 cm betrug es 15%. Die Rete Testis Infiltration ist sicher auch abhängig von der Tumorgrösse, denn je grösser der Tumor desto wahrscheinlicher ist das Rete Testis infiltriert. Somit sind beide Faktoren nicht unabhängig was bei statistischen Tests unbedingt berücksichtigt werden muss (ich habe Mathe studiert ).

Nachdem ich dann noch gelesen habe, dass die Langzeitwirkungen der Carboplatintherapie nicht wirklich erfasst sind kamen mir erste Zweifel an meiner ersten Therapiewahl. Langzeitwirkungen der Chemotherapie können ein erhöhtes Risiko an Zweittumoren zu erkranken beinhalten (wie z.B. Darmkrebs oder gar Bauchspeicheldrüsenkrebs), zudem erhöht sich das Risiko eines Herzinfarkts.

Am 3. Mai folgte dann das Gespräch mit dem Onkologen. Er unterstrich, dass die Rete Testis Invasion als Risikofaktor umstritten und die Tumorgrösse vermutlich aussagekräftiger ist. Zudem sei bei mir die Invasion herdförmig, was wohl soviel wie noch am Rand liegend bedeutet. Mein Risiko eines Rezidivs schätzte er konservativ auf 12%, eher auf 10%. Das entsprach in etwa den 9% die Prof. Schrader (danke an dieses Forum für die Empfehlung) nannte. Internationaler Standard in meinem Fall wäre mittlerweile eher die aktive Überwachung anstelle der adjuvanten Carboplatin Chemotherapie. Mit dieser soll das Rezidivrisiko auf 3-4% gesenkt werden können. In Kanada würde man mir als Patient die adjuvante Chemotherapie laut meinem Arzt nicht einmal mehr als Alternative anbieten.

Da sowohl bei aktiver Überwachung, als auch bei der Carboplatin-Behandlung die langfristige Heilung bei >99% liegt, steht die Frage der Heilungschance somit gar nicht im Vordergrund. Letzten Endes geht es darum, inwiefern es sich lohnt die unbekannten Nebenwirkungen der Carboplatin-Therapie in Kauf zu nehmen um das Risiko einer stärkeren PEB-Chemotherapie um 6-8% zu senken?

Was ist eure Meinung zu dem Thema? Gibt es vielleicht auch Betroffene, die beide Therapien gemacht haben und diese vergleichen können. Kurzfristige Nebenwirkungen sind interessant, aber teilweise auch gut dokumentiert. Mittel- bis langfristige Nebenwirkungen wären interessanter.

Zudem bleibt das Rezidivrisiko bei adjuvanter Chemo ja bestehen. Aus Kostengründen kann ich verstehen, dass die Nachsorge daher nicht so engmaschig durchgeführt werden muss. Aus Sicht des Patienten kann ich es aber nicht verstehen. Denn wenn jemand schon zu den 3-4% Carbo-Patienten gehört die ein Rezidiv entwickeln, bedeutet das ja dass dieser Patient durch die selteneren Check-Ups ein grösseres Risiko hat dass das Rezidiv erst in einem fortgeschrittenerem Stadium entdeckt wird. Seht ihr das auch so?


Viele Grüsse an alle und schon mal Danke für eure Antworten.

barg
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