Thema: Mami
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Alt 01.11.2017, 11:37
desireh desireh ist offline
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Standard Mami

Allerheiligen und der Himmel ist mittlerweile strahlend blau. Sehe keine einzige Wolke. Mir fällt gerade ein, wie wir uns über diesen Feiertag "lustig" gemacht haben. Da er hier in Zürich kein Feiertag ist aber alle katholischen Kantone frei haben und dann die Bahnhofstrasse verstopfen. Wie du dich darüber aufregen konntest...

Ach Mami.

Gestern waren es drei Wochen, seit dem sie für immer eingeschlafen ist. Ich war den ganzen Tag irgendwie wütend und von der Rolle. Musste wieder auf einem Amt anrufen um Informationen zu bekommen und wiedermal war die Frau am anderen Ende richtig unfreundlich. Bei der Arbeit habe ich wieder den riesen Vorweihnachtsstress, die ganze Weihnachts-Kampagne läuft auf Hochtouren und ich sehe vor lauter Mäppchen meine Tischplatte gar nicht mehr. Bei der Arbeit haben alle schon vergessen, was passiert ist. Oder es scheint einfach so. Drei Wochen und es kommt mir vor wie gestern.

Am Samstag waren wir bei ihr und sie hat noch rumgeblödelt. Sie war aber auch sehr müde und wir sollen wieder gehen. Sie hatte schon etwas Schmerzen in der Leiste. Auch wenn wir eigentlich bleiben wollten, haben wir natürlich ihren Wunsch akzeptiert, wir kommen ja morgen wieder. Sonntag hat die Pflege angerufen, sie wisse das wir kommen aber ob es evtl. etwas früher ginge? Ihre Schmerzen werden immer mehr und die Morphiumtropfen nützen nichts mehr, sie werden dir jetzt das Morphium spritzen. Den ganzen Nachmittag war ich bei ihr, sie hat einfach geschlafen und ist immer wieder aufgeschreckt, aber ich war da. Montagmittag bei der Arbeit klingelt wieder das Telefon... Wenn ich möchte soll ich doch vorbeikommen, sie glauben es geht nicht mehr lange... Von 14.30 Uhr bis nach Mitternacht war ich bei ihr. Sie hat nur geschlafen aber ist immer wieder aufgeschreckt und hat geschrien. Sie hat mich aber nicht mehr taxiert, ich weiss gar nicht ob sie gemerkt hat, ob ich da war? Immer wieder hab ich Mama von unserer neuen Wohnung erzählt oder sonst was, sie ist dann gleich wieder weggedöst.

Nach Mitternacht konnte ich dann nicht mehr. Mein Kopf hat richtig gehämmert. Die Rasselatmung wurde immer stärker. Habe mich verabschiedet und ihr versichert, dass alles gut ist. Dass ich ihr schon lange verziehen habe und sie kein schlechtes Gewissen mehr haben muss. "Ich komme um 8.00 Uhr wieder, Mami!"

Die letzten 3.5 Monate habe ich sie an jeden Termin gefahren, habe Bücher gewälzt und habe für sie bei den Ärzten gesprochen. Irgendwie brauchten wir diese Monate, diese plötzlich enge Bindung. Sie hat mir immer wieder gedankt: "Wieso machst du das nur alles. Was du alles machst, es ist einfach der Wahnsinn!" Wieso ich das mache? Weil du doch meine Mama bist. Egal was alles schief lief, egal wenn wir uns nie so nahe waren und auch egal, dass ich mit 14 in eine Pflegefamilie musste, weil du Probleme hattest. Du bleibst halt einfach meine Mama.

Natürlich habe ich zu Hause auch kaum geschlafen. Am Morgen habe ich noch Mails für die Firma geschrieben, dass der Lehrling sicher auch Arbeit hat und man auf ihn schaut. Mama's Schwägerin hat dann auch noch angerufen, sie kämen am Nachmittag. Das Telefonat hat gefühlte Stunden gedauert. Auf dem Weg war noch ein Traktor vor mir und statt 60 konnte ich nur 30 fahren. Bin wieder viel zu spät! Um 8.24 Uhr bin ich auf den Parkplatz gefahren und als ich beim Wohnheim klingelte, hatte ich ein ganz komisches Gefühl. Irgendwas stimmte nicht... Ich lief durch die Pflegewohnung, es lächelten mich alle an. Also ist noch alles in Ordnung? Nein, irgendwie ist gar nichts in Ordnung. Meine Schritte wurden schneller und als ich um die Ecke zu ihrem Zimmer abbog, kam die Stationsleitung mit Tränen in den Augen aus dem Zimmer und ich wusste: "ich bin zu spät!"

8.25 Uhr hat Mama im Beisein der Putzfrau aufgehört zu atmen (welche sie über alles mochte!). Sie hat ausgesehen als würde sie einfach schlafen aber das Zimmer war so ruhig. Keine Rasselatmung, nichts. "Wir haben sie auf den Parkplatz fahren sehen und ich habe ihrer Mutter gesagt, dass sie gleich da sind!" Von allen Seiten habe ich schon gehört, dass die Sterbenden selber auswählen wie sie gehen. Aber dennoch habe ich noch immer Mühe damit. Hätte ich nicht die ganze Nacht bei ihr bleiben sollen?

Die Beerdigung war sehr schön. Blauer Himmel wie heute. Der Hund durfte auch dabei sein. Ihr Hund, den ich aber seit 2009 bei mir habe, da Mama ja den Schlaganfall hatte und alles neu lernen musste. Der Hund hat bei der Beerdigung noch gejammert, hat sie gemerkt was los war? Oder war es einfach die Stimmung von mir?

Vor der Beerdigung hatte ich noch Knatsch mit Papa. Seine blöde Schwester (und meine blöde Tante) die Mama sowieso nie gemocht hat, war sauer, weil sie kein Todeskärtchen erhalten hat. Aber warum sollte ich ihr auch eins schicken? Sie hat immer blöd über Mama gelästert, meine Eltern sind seit 17 Jahren geschieden und sie hat auch nie nach Mama gefragt. Aber dann an die Beerdigung kommen wollen und eingeschnappt sein? Verstehe ich nicht.

Ich habe das Gefühl ich konnte noch gar nicht richtig trauern. Die ganze Zeit rufe ich auf irgendwelchen Ämtern an oder habe die Beiständin von meiner Mama am Telefon. Es sind noch Schulden offen, obwohl Mama noch etwas Geld hatte. Habe 3 Monate Zeit um die Erbschaft anzunehmen oder abzulehnen und keiner möchte einem helfen. "Das weiss ich leider auch nicht! Frau XY ist 2 Wochen in den Ferien, rufen sie dann nochmals an!" Alles Geld der Welt ist mir eigentlich egal, am Besten schlage ich das Erbe einfach aus und muss mich nicht mit Behörden rumschlagen die noch Geld möchten... Wieso wurden denn Schulden nicht einfach beglichen? Nächste Woche geht es zum Anwalt.

Kann mich auf nichts konzentrieren und es fällt mir alles so schwer.
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Mami, nicht-kleinzelliger Lungenkrebs
28.8.1950-10.10.2017

Papi, Prostatakrebs

Geändert von desireh (02.11.2017 um 12:52 Uhr)
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