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Alt 18.09.2002, 22:37
Gast
 
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Standard Angst und Neid

Hallo Ihr Lieben, hallo Frank,
da fällt mir noch schnell was zur "Interresselosigkeit" ein. Ich weiss, was Du meinst, Frank, aber ich denke, diese Interresselosigkeit hat warscheinlich nichts damit zu tun, dass man nicht mehr "interressiert" ist, sondern dass man wohl eher - im Augenblick, oder für eine Weile wieder mal - abschaltet, selber Ruhe braucht, sich nicht damit beschäftigen will/kann. Oder aber die Interresselosigkeit besteht aus reiner Hilflosigkeit von Anfang an, dann wäre es aber auch keine REINE Interresselosigkeit.
Nein, ich denke, das geht viel tiefer. Ein "sich nicht damit beschäftigen wollen" heisst ja nicht, dass man nicht wirklich interessiert wäre, sondern dass da eine Hilflosigkeit besteht, ein enormer Druck und eine gleichzeitige Angst. Es sieht am Ende nur so aus, als wäre es Interresselosigkeit.
Am Anfang habe ich das bei meinen (gewissen) Leuten auch immer gedacht; so unter dem Motto: Kaum zu glauben! Es interressiert echt niemanden!
- Aber das ist es nicht. Wirklich nicht.
Als ich das gemerkt habe, habe ich versucht, diesen Leuten irgendwie verständlich zu machen, was ich fühle mit meinem Krebs, wie ich versuche damit umzugehen, damit zu leben. Wollte ihnen das Thema klar machen, damit sie damit konfrontiert sind und versuchen, zu verstehen (und sich nicht zurückziehen konnten, während sie mir ja zuhören und mir dabei noch in die Augen sehen mussten!). Die Reaktionen dabei waren ganz verschieden. Nur jene wenigen, die gewillt waren, sich auch mit ihren eigenen Ängsten auseinander zu setzen, waren wirklich auf mich eingegangen. Alle anderen nicht. Von all den anderen hörte ich nur: "Hm-hm!" oder dann die üblichen Trostsprüche, ... und am Ende hörte ich gleich gar nichts mehr von ihnen. Schwupp, weg waren sie! Leben nun wohl ihr eigenes Leben weiter. Gewohnheit. Man hat ja seine eigenen Sorgen.
Denkt man so. Redet man sich so ein. Und überhaupt, der Brigitte geht's ja gut. Alles vorbei, vergessen. Krebs ist wie ein Schnupfen. Der war mal DA, jetzt ist er weg.
Ja was WILL sie denn noch, die Brigitte? Ich hab' keine Lust, dauernd über diese Thema Krebs zu reden! Ich mag nicht über solche Probleme sprechen, ... das zieht mich selber runter! Das kann ich nicht gebrauchen, ich muss weiter funktionieren, habe ja schiesslich diese und jene Verantwortung, ... und überhaupt, die Brigitte kann sich ja auch mal wieder bei MIR melden!

- Dass da eine tiefe Angst vor diesem Thema steckt, ist völlig klar. Nur wird es anders bezeichnet, anders formuliert, anders dargestellt gegen Aussen.
Dass aber auch eine gewisse "Ruhepause" eintreten kann, eine Ruhepause vor dem Thema, vor den eigenen Ängsten und der Angst um den geliebten Menschen, ist normal und voll verständlich. Niemand kann andauernden Druck und Kraft auf lange Zeit aushalten. Pausen sind nötig, um frische Kraft zu sammeln. Die brauchen nämlich selbst wir Krebsbetroffenen, auch wenn wir die ganze Zeit den "Mörder" auf unserer Schulter sitzen haben.

Doch für die "Pausen" wär nämlich gerade so eine "Aufgaben-Aufteilung" für Angehörige gut. Ich weiss Frank, das Ganze ist wohl nicht so einfach. Denn wenn Menschen sich nicht mit etwas auseinandersetzen WOLLEN, dann wollen sie auch nicht. Dieses "Nicht-Wollen" kommt natürlich auch von der Angst und der ganzen Hilflosigkeit. (Aber so jemand würde ja niemals zugeben, dass er nicht helfen WILL, das ist dann ja noch das verblüffende an dem Ganzen!)
Okay, ich hätte da einen weiteren Vorschlag. (Vielleicht ist das bei Euch zwar schon so gemacht worden, aber ich werfe die Idee hier jetzt einfach nochmal so auf, ja?)
Du oder Deine Ma könntet einen Termin für eine sogenannte "Familienkonferenz" festsetzen! Oder "Familiensitzung", oder wie immer man das auch nennen will. Das kann z.B. bei einem lockeren Essen geschehen. - Wenn Ihr noch nie eine solche Familiensitzung gemacht habt, ... dann wäre das warscheinlich was GANZ neues, aber Hand auf's Herz, WARUM NICHT MAL?
Dort könntet Ihr miteinander in aller Ruhe besprechen, was Euch allen am Herzen liegt. Dass Hilfe gefordert ist für Rene, und dass Ihr aber auch Grenzen setzt, was ein ZUVIEL für Rene sein könnte. Ideen könnten besprochen werden, ... aber vielleicht kommen da auch gleich noch neue Probleme und Eifersüchteleien ans Tageslicht, die vorher unausgesprochen waren? (Vielleicht, ... das hat es ja auch schon gegeben, ... kann Eure Familie DURCH Renes Krankheit so lernen, sich näher zu stehen und sich gegenseitig zu helfen?)
Man könnte eine "Hilfe-Arbeitsaufteilung" für Rene besprechen, ohne dass jeder einzelne gleich damit überfordert sein muss.
Nun, ich finde, es wäre einen Versuch wert. Denn bei so einer "Familienkonferenz" stellt es sich dann ja heraus, WER kommt und wer nicht, stimmt's? Wenn GAR niemand kommt (denn jeder wird wohl Bescheid wissen, um was es da geht), dann wird auch sonst wohl nicht mehr viel weiterer Aufwand diesbezüglich nützen, das wäre dann wohl klar.
Eine Frage stellt sich dann einfach am Ende für jeden einzelnen der Familie, welcher NICHT an dieser "Konferenz" hat teilnehmen wollen:
Habe ich wirklich richtig gehandelt?

Frank, eines möchte ich Dir - als Krebsbetroffene - gerne noch ans Herz legen: "Hilfe" ist ein grosser Begriff, wenn es um eine Krebskrankheit geht. Hilfe kann nämlich "wenig" sein, und DOCH so viel, ... und Hilfe kann enorm VIEL sein, aber am Ende war es zu wenig.
Ich persönlich empfinde nämlich beispielsweise "Hilfe" von meinen Angehörigen als ein DA-Sein, ein Zuhören, ein Fragestellen, ein "sich-Zeit-nehmen", ... bereits als unglaublich VIEL.
Alles andere, und sei es auch nur eine Schachtel Pralinés, oder gutgemeinte Ratschläge, Befehle was ich zu tun habe, Kritik oder Vorwürfe wie "Du solltest halt schon lange mal ...", oder "Du übertreibst wieder mal völlig!" oder jemand der sich ZUVIEL um mich kümmert, ...
... als keine wirklich grosse Hilfe.
Weisst Du, wie ich es meine? Es ist auch sehr schwer zu beschreiben. (Lisa hat es im letzten Beitrag noch ziemlich gut formuliert, finde ich.)

Ich hoffe, ich konnte Dir ein paar Anregungen geben, Frank, auch wenn es nicht viel ist, denn ich sehe schon, dass es in Deiner Familie nicht so einfach ist. Jedenfalls finde ich es ganz toll, dass Du überhaupt hier Deine Geschichte erzählst, uns von Rene erzählst, und dass Du, Deine kleine Familie und Deine Ma ihm so sehr helfen wollt. Es ist ein riesiges Geschenk für einen Krebspatienten und so ungeheuer viel wert. Es ist nämlich DER Augenblick im Leben, der nur noch nach dem Menschen im Menschen fragt, ... und nicht mehr nach anderen Dingen. (Naja, die kommen dann sicher später wieder!)

Also, bis dann, ja?
Ganz liebe Grüssli
von Brigitte
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