Einzelnen Beitrag anzeigen
  #13  
Alt 03.08.2017, 11:21
hierfalsch hierfalsch ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 10.02.2012
Ort: Tief im Westen
Beiträge: 395
Standard AW: Wie erträgt man das bloß?

Ich bin Hinterbliebene (Mutter tot, Darmkrebs), Angehörige (Schwester krank, Brustkrebs) und letztes Jahr selbst erkrankt (auch die Brust).

Und soll ich Euch was verraten? In mancher Hinsicht war es für mich "leichter" selbst krank zu sein, als "nur" Angehörige.
Wenn ICH krank bin, dann entscheide ICH. Ich sage ob wir reden oder schweigen, ob wir positiv denken oder worst-case-Szenarien bereden. Wenn MIR nach Ablenkung ist, lenken wir ab, ist mir nach Informationen googeln wir...
Die "nur" Angehörigen müssen da mit durch. Sie dürfen nicht wählen. Müssen Gefühle verdrängen und auf Kommando gut drauf sein. Sie müssen "raten" was die richtigen Worte sind, müssen akzeptieren, wenn man etwas nicht wissen will, müssen versuchen zu helfen, wenn man nichts tun kann und müssen Verständnis haben, wenn wir Kranken unausstehlich sind.
Und das ist RICHTIG so. Und wichtig. In einer Krebstherapie kann man keine Rücksicht nehmen, muss seine Kräfte bündeln!!! Und die Angehörigen müssen das unterstützen!!!! Unbedingt!!!!
Aber, wenn man MICH fragt, dann ist DAS der Anteil der Angehörigen im Kampf gegen den Krebs. Diese ätzende Hilflosigkeit. Dieses "kann nichts tun und das WAS ich tue ist dann auch noch falsch" Gefühl, während man fix und fertig ist. Es kann einem keiner abnehmen, so wie uns Kranken auch keiner die Chemo abnehmen kann...


Als ich die Diagnose bekam, schrieb man mich krank, ich bekam Hilfsangebote, Schwerbehindertenausweis, alle nahmen Rücksicht.
Als ich die Diagnose bekam, war mein Mann auf Geschäftsreise. Er hing die halbe Nacht mit mir am Telefon. Versicherte mir, wir zwei würden das zusammen hinbekommen, was sonst? Arbeitete am nächsten Tag noch 6 Stunden (Flug ging erst nachmittags, früher gab es nix, das Meeting war angesetzt, also los...), kam stehenden Fußes vom Flughafen zu mir ins Krankenhaus. Erfragte, was ich noch brauchte. Holte es. Saß bis Abends um 10 an meinem Bett, wo ich völlig paralysiert lag und versicherte mir, er wolle nirgendwo anders sein, ja ganz sicher. Fuhr nach Hause, schlief ein paar Stunden um am nächsten Tag wieder Vollzeit zu arbeiten und mich dann im Krankenhaus zu besuchen.

So ging es los.

Mein Mann arbeitete während meiner Chemo Vollzeit.

Nach Feierabend
Schmiss er den gesamten Haushalt.
Spülte den Ko**-Eimer.
Stützte mich auf dem Weg zum Klo.
Sah "hilflos" zu, wie ich mich durchquälte.
Saß am Bett.
Fuhr zum Krankenhaus um Medikamente zu holen.
Ertrug meine Launen und Ängste.
Versuchte mich aufzuheitern.
Erinnerte mich an Medikamente.
Schlich mit mir mit 0,5Km/h um den Block.
Holte Taschentücher, wenn bei mir "Heulkrampf" angesagt war.
Besuchte mich im Krankenhaus.
Ging mit zum Arzt.
Dachte sich kleine Nettigkeiten für mich aus.
Machte den Papierkram.
Dachte sich Lösungen für Nebenwirkungen aus.
...
Die Liste ist endlos.

Er sagte NIE "reiß Dich zusammen." Immer nur "Ich liebe Dich, wir stehen das zusammen durch."

Ja, wenn ich gestorben wäre, hätte er es überlebt. Ich bin allerdings nicht sicher, ob ihm der Gedanke, dass ich ihm wegsterben könnte MEHR oder weniger Angst gemacht hat als MIR - schließlich waren seine Zukunftspläne ebenso in Scherben wie meine...

Ich hatte Krebs, mein Mann war gesund. Und ich habe mir sooo gewünscht, dass mein Mann jemanden zum reden hat. Wo ER mal jammern kann. Wo ER mal "Ich hab die Schnauze SOWAS VON VOLL!!!" sagen darf (Ich sagte das bei ihm...) Wo es mal um IHN geht und nicht immer und immer nur um mich - um mich ging es doch überall...

Ich konnte ihm die Last nicht abnehmen, wie er nicht mal ein paar Stunden die Übelkeit übernehmen konnte, als meine ich-ertrag-das-wirklich-nicht-mehr Grenze erreicht war.

So ist Krebs. So ist Liebe. Manchmal denke ich, dass vielleicht ist einfach das Leben so ist...


Also, liebe WieDasLeben, wenn Dir nach jammern ist, dann bitte. MEINEN Segen hast Du.

Das ist doch alles eine SCHEIßE !!!!!

Sorry. Aber mir scheint, das musste noch mal gesagt werden. Wir haben doch nun wirklich WIRKLICH ALLE reichlich Anlass!!!

Geändert von hierfalsch (03.08.2017 um 11:27 Uhr)
Mit Zitat antworten