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Alt 03.11.2015, 19:10
Lunacat_91 Lunacat_91 ist offline
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Standard AW: Mitte 20 und anders als alle anderen

Zunächst einmal einfach Danke für eure lieben Antworten.

Es tut mir schrecklich leid, dass ihr auch einen geliebten Menschen an Krebs verloren habt und auch so etwas durchmachen musstet bzw. immer noch müsst.

Denn wir wissen wohl alle ganz genau, dass es nicht mit dem, was Außenstehende oft "sacken lassen" und "aufarbeiten" nennen, getan ist und es einem dann schon wieder einigermaßen gut geht. Ich zumindest spüre das jeden Tag. Man macht eben irgendwie weiter. Passt sich an, setzt eine Maske auf. Und Menschen, die von all dem nichts wissen, merken vielleicht gar nichts oder denken allenfalls, man sei einfach strange. Ich hab jetzt monatelang versucht, mich anzupassen und mir nichts anmerken zu lassen. Und jedes Mal wieder, wenn ich z.B. mit Freundinnen in eine Bar gegangen bin, habe ich gemerkt, wie anders alles ist und wie unwohl ich mich dabei fühle. Wieso mache ich das dann? Vielleicht, um meinen Freundinnen eine Freude zu machen oder um wenigstens ein kleines Stückchen Normalität auszuleben? Und doch ist es das nicht wert... Das Ende der Geschichte ist jedes Mal, dass ich mich schrecklich fühle und anfange zu weinen, sobald sich die Wohnungstür hinter mir schließt. Es ist schon erstaunlich, dass man zusammen mit Menschen aufwachsen kann und sie für einen die besten Freunde sind, die man sich vorstellen kann, und man dann aber plötzlich nicht mehr miteinander reden kann. Bzw. nicht über das reden kann, was mich einfach pausenlos beschäftigt. Nicht, dass mir keine Gespräche angeboten werden. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich die Einzige bin, die danach nicht davon loskommt und nicht einfach irgendetwas anderes machen kann, nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Das klingt jetzt alles furchtbar böse. So ist es aber nicht gemeint. Es waren in meinem Freundeskreis ja alle mehr oder weniger von Christophs Tod betroffen. Alle kannten ihn, manche besser, manche weniger gut. Wir waren alle in derselben Klasse bzw. im selben Studiengang. Und dennoch ist es einfach so, dass es mich als Freundin am härtesten getroffen hat. Während der 6 Monate haben ihn die wenigsten besucht. Zu groß war wohl die Angst, die Scheu vor einem Krebskranken. Und Christoph selbst wollte auch niemanden aktiv einladen. Er war die meiste Zeit sehr schwach und wollte sich vor kaum einem Menschen die Blöße geben. Immer beherrscht. Selbst kurz vor seinem Tod... Ich dagegen war fast täglich bei ihm zu Hause, war im Krankenhaus dabei, bei Arztgesprächen. Ich habe mit angesehen, was so ein Monster aus einem jungen Menschen machen kann. Einer, für den Musik und Literatur alles war, will plötzlich nichts mehr hören und nichts mehr lesen. Nichts mehr lernen angesichts der Sinnlosigkeit und des baldigen Todes. Christoph hat wohl von uns allen als Erster verstanden, was kommen wird. Umso bewundernswerter ist es, dass er so gekämpft und alles versucht hat. Jetzt ertappe ich mich dabei, wie ich dieses Wort benutze, was ich in diesem Kontext so sehr hasse - bewundernswert. Von allen Seiten kam es auf mich zu, auch als Christoph noch am Leben war: "Oh, du machst das wirklich so toll. Es ist echt bewundernswert wie du das durchstehst". Bewundernswert? Klingt ja fast so als sei ich zu beneiden. Bin ich etwa eine gute Betroffene, eine gute Hinterbliebene? Danke, auf solche "Komplimente" kann ich verzichten. Als könnte man das Verhalten von Menschen in solchen Situationen bewerten. Selbst wenn ich nicht gleich wieder mit der Uni weitergemacht hätte, hätte man es mir nicht ankreiden können. Ich verstehe nicht, wie man an meinem Verhalten irgendwas bewundernswertes finden kann. Es ist die Hölle. Und das jeden Tag.

Ihr merkt vielleicht schon, dass das hier so ein bisschen Blog-artig wird und es alles sehr auf mich und meine eigene Erfahrung bezogen ist, was ich hier schreibe. Hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel. Es soll nicht egoistisch rüberkommen...
Schreibt gerne auch von euren eigenen Eindrücken, Ängsten, Erfahrungen... vielleicht hilft es ja.

Liebe Grüße an alle,
Lunacat

Geändert von Lunacat_91 (03.11.2015 um 19:20 Uhr)
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