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Alt 24.12.2001, 12:11
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Standard Die Erinnerung holt mich ein...

Liebe Mitbetroffene !
Heute ist nun Heiligabend, das Fest der Familie und des Glücklichseins , der Harmonie und ich bin so voller Verzweiflung, Hass und Wut und auch Selbstmitleid...
Heute vor einem Jahr bekam ich die Nachricht, dass mein Vater ins Krankenhaus muss und eine Geschwulst an der linken Halsseite entfernt werden muss. Ich bin mit meinem Mann am 2. Feiertag durch Schneegestöber ins Krankenhaus gefahren und habe versucht auf die Schnelle meinem Vater etwas ins Krankenhaus mitzunehmen. Und da wurde mir wieder bewusst, wie wenig mich mit meinem Vater verband, ich wusste nicht ob er gerne liest, was er gerne liest, worüber er sich freuen würde. Und ich wusste auch nicht, ob er sich überhaupt über meinen Besuch freuen würde, oder ob er ihn von seiner Tochter, die er nach dem Tod meiner Mutter bzw. seiner Ehefrau (1990/ Brustkrebs) nur 1x im Jahr sah, diesen Besuch einfach nur erwartete...
Als wir dort ankamen, war es wieder sehr verletzend, ich versuchte mit ihm ins Gespräch zu kommen (was wirklich nicht einfach ist, wenn man sich jahrelang nichts zu sagen hat und vor Entäuschung immer mehr zumacht), auf meine Fragen antwortete er auch , aber er sah dabei ausschliesslich meinen Mann an, so als ob ich gar nicht da wäre.
Vor diesem Krankenhausaufenthalt hatte sich die Exfreundin nach 8 Jahren von meinem Vater getrennt und er hatte nach langer Suche eine Wohnung gefunden, in der er ab November wohnen wollte. Ich wunderte mich, warum er sich nicht meldetete, wollte aber die Exfreundin nicht anrufen, weil ich (kindlich) hoffte, durch das Auseinandergehen die Chance zu haben, meinem Vater nach 36 Lebensjahren endlich ein Stück näher zu kommen.
Es kam dann ein Anruf, und mit heiserer Stimme sagte mir dann mein Vater , dass er krank gewesen war und eine Penicillinallergie gehabt hätte und tagelang in der neuen Wohnung gelegen hatte (mein Vater wohnte 120 km entfernt von mir und ich konnte ihn nicht überzeugen wieder in meine Nähe zu ziehen) und dass er nicht lange telefonieren könne, weil er nur ein Handy hätte und darauf nicht mehr viel Guthaben wäre. Ich bat ihn aufzulegen, damit ich in nun zurückrufen könne. Nach dem Gespräch habe ich erst einmal unheimlich weinen müssen, weil mir mein Vater so leid tat, dass er nach einem langen Arbeitsleben und mit 59 Jahren nach dem Auszug so wenig Möglichkeiten hatte sein neues Leben schön zu gestalten und die Vorstellung, dass er tagelang einsam in seiner neuen Wohnung hilflos auf der Couch hatte liegen müssen machte mich fertig. Er musste durch dieses Auseinandergehen so viel Liebgewonnenes zurücklassen, und das tat mit sehr, sehr leid für meinen Vater. Ich spürte nach langer Zeit voller Bitterkeit, wieviel Liebe in mir war und immer darauf gewartet hatte ans Tageslicht zu dürfen, ohne missachtet zu werden.
Und wir verabredeten, dass mein Vater im Januar zu uns kommen würde, darauf freute ich mich wie eine Schneekönigin, denn ich hatte seit 1990 meinen Vater nie für mich alleine gehabt und in den Jahren davor auch nie, dem war er immer ausgewichen und ich hoffte, dass sich das nun ändern würde, ich ihm aus seiner Einsamkeit helfen könnte und wir uns damit auch näher kommen würden.
Der Besuch im Krankenhaus zeigt mir jedoch, dass sich nichs ändern würde und ich fasste den endgültigen Entschluss mit dem ewigen verletzt werden und dem Hoffen auf einen Vater und seine Liebe endgültig Schluss zu machen und wollte die jahrelange Entäuschung, Demütigung etc. in einem Abschiedsbrief festhalten um endlich zur Ruhe zu kommen, denn wenn überhaupt Kontakt kam, dann immer nur von meiner Seite, ich wollte und konnte nicht mehr... und wollte nun auch den Besuch im Januar nicht mehr und sagte ihn mit einer Ausrede ab(sonst absolut nicht meine Art,mit meinem Bedürfnis nach Ehrlichkeit mache ich mir das Leben sehr oft unnötig selbst schwer, aber ich war zu feige den wahren Grund zu sagen)

Am 25. Januar `01 kam dann der fürchterliche Anruf, der alles zwischen uns verändern sollte;
Mein Vater war mit akuter Leukämie ins Krankenhaus nach Potsdam eingeliefert worden und kämpfte um sein Leben. Die bis dahin stattgefundene Behandlung ergolgte aufgrund einer völlig falschen Diagnose, sie waren nur Ausläufer der Leukämie.
In der Nacht des Anrufes versuchte ich über Internet Infos über seine Erkrankung zu erhalten, in meiner Famielie sind bisher alle(!!!) an Krebs erkrankt und auch gestorben, aber Leukämie war bisher noch nie vorgekommen. Doch ich habe nicht sehr viele Infos erhalten, um wieviel hilfreicher wäre es gewesen, wenn ich schon damals vom krebs-kompass gewusst hätte...
In seinen letzten Lebenswochen haben wir uns jeden 2.Tag gesehen und sind uns erst- und leider auch letztmalig sehr, sehr nahe gekommen.
Ich bin auch heute noch sehr froh, dass ich den bewussten Brief nicht geschrieben habe,das hätte ich mir wohl nie verziehen,sondern es geschafft habe, alles beiseite zu schieben und für meinen Vater 100 % da zu sein.
Ich bin bis zum letzten Atemzug bei ihm geblieben und ich bin dankbar dafür die Gelegenheit erhalten zu haben ,um ihm meine Liebe zu zeigen und auch seine Liebe für mich spüren zu können, seine Hand halten und streicheln zu können, ohne dass er meine Nähe abgewehrt hat. Für eine normale Vater/Tochter-Beziehung ist das wohl etwas Selbstverständliches , aber das war es bei uns eben nicht.
Es mischen sich immer noch das Gefühl von Dankbarkeit, die letzten 3 Wochen mit ihm erlebt zu haben,aber auch mit der Wut darüber,dass es eben nur 3 Wochen in unser beider Leben waren.
Umrahmt wird das Ganze aber durch ein Gefühl der Verlorenheit und ,weil in meiner Familie nun keiner mehr lebt , der Wurzellosigkeit .
Es graut mir davor,wenn sich der 25.01. bzw. der 16. 02.(Todestag) zum erstem Mal jähren, denn für mich ist schon dieses Weihnachtsfest schwer zu ertragen, das Glück vollständiger Familien, Lachen, Freude....
Ich weiss , das hört sich undankbar und ungerecht an, aber ich kann einfach nicht anders und an dieser Stelle muss ich auch niemandem etwas vormachen.
Mein Mann kommt damit gar nicht klar und seine Familie hält nicht viel von Gefühlen...

Nachdem ich die Nacht zu heute schlaflos verbracht habe und den ganzen Vormittag wieder Weinkrämpfe hatte, spüre ich nun ein Gefühl der Erleichterung, meine Gedanken und Gefühle niedergeschrieben zu haben.
Ich danke euch fürs "Zuhören" und wünsche euch (unbekannter Weise) trotzdem ein schönes Weihnachtsfest und einen gelungenenn Start ins Neue Jahr...
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