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Alt 29.01.2005, 18:32
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Standard Nierenzellkarzinom: Station (m)eines Weges

Hallo zusammen,

seit 2002 haben Ulrike (meine Frau) und ich hier in verschiedenen threads über meinen "Weg" berichtet. Ich habe das Gefühl, dass es dadurch für jemanden, der neu hinzukommt, sehr schwer ist, sich das "zusammen zu lesen". Andererseits möchte ich -auch und gerade wegen des Verlaufes meines Weges- versuchen, Hoffnungen zu wecken und trotzdem zu ungeheuerer Vorsicht aufzurufen.

Kurz zu mir:

60 Jahre; Zufallsbefund anlässlich Herz-OP April 2002:
Metastasierendes Nierenzellkarzinom beidseitig; Lungenmetastasen;

OP: Entfernung linke Niere, Nebenniere, umliegende Lymphknoten (einer positiv)

Tumorstadium: T3a, N1, G2

Embolisation + Thermoablation rechter Nierentumor mit Erhalt der Rest-Niere

Mein Therapieweg: IMT (Immun-Chemo-Therapie) nach Prof. Atzpodien (mit Interferon-Interleukin-5FU). Drei 8-Wochen-Kurse (in längeren Abständen) + vier Erhaltungstherapien (je 1 Woche).

Therapieunterbrechung ab 16.6.04 nach mehreren „Krankheits-Stillstand“-Befunden.

Bis dahin Kontrolluntersuchungen CT-Thorax + MRT-Abdomen alle 3 Monate,ab Juli 2004 erstmalig im halbjährlichen Abstand

Termin der 1. Kontrolluntersuchung danach: 18.1.2005


Nun hat es hat ein paar Tage gedauert, bis ich diesmal meine Ergebnisse vom 18. zusammen hatte:

- „dezentes“ Wachstum der Metastasen
in der Lunge
- Kleines Rezidiv in der linken Nierenloge
(da,wo Tumor und Niere 2002 entfernt
worden sind)
- ein bekanntes „Areal von ca. 1,6 x 1,8
cm“ in der rechten Rest-Niere, das bisher
nicht als Tumormaterial zugeordnet werden
konnte, sich bisher unauffällig verhalten
hatte, ist zwar in der Größe gleich
geblieben, zeichnet sich aber jetzt als
Tumormaterial ab

Was heißt das für mich?

„Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch“. In dem Moment, wo ich meine Therapie wegen des im Juli 2004 diagnostizierten „Krankheits-Stillstandes“ unterbreche, beginnt mein „Untermieter“ wieder damit, sich auszubreiten.

Facit:

Ich werde da weitermachen, wo ich im Sommer 2004 unterbrochen habe: IMT (beginnend mit 8-Wochen-Kurs, wahrscheinlich 3 x, dann weiter mit den gehabten „Erhaltungs-Therapien IMT).

Da für mich die Erhaltung meiner rechten Rest-Niere absolute Priorität hat, werde ich das o.g. „Areal“ dort wieder per Embolisation und anschließender Thermoablation entfernen lassen. Ebenso das Rezidiv in der linken Nierenloge. Im Moment wird noch geprüft, ob das zeitgleich zusammen gemacht werden kann. Die Thermoablation werde ich schnellstmöglich durchführen lassen, um anschließend baldmöglichst mit der IMT wieder weitermachen zu können.

Zwischenzeitlich haben wir lange über das vorliegende Angebot nachgedacht, zuerst in die „Bay-Studie“ einzusteigen. Ich habe beschlossen, diesen Weg nicht zu gehen.

Wie gesagt, liegt meine höchste Priorität im Erhalt der rechten Niere. In der mir angebotenen Studie bekommen 50 % der Patienten ein Placebo. Auch wenn die Anfangserfolge, wie mir gesagt wurde, eine Ansprechrate von etwa 50 % bei den Patienten, die das Medikament bekommen, andeuten, bedeutet das für mich, dass meine „Chancen“ nach kaufmännischer Rechnungsart bei etwa 25 % vom Ausgangswert sind. In einer Studie, wo meine Chancen 25 : 75 stehen könnten. Mit einem „Zeitverlust“ im negativen Falle, der m.W. für mich mindestens 12 Wochen beträgt. In der (wenn vielleicht auch nur „dezentes“) Wachstum erfolgen kann/wird.

Ich habe mich daher entschlossen, den Weg zu gehen, der für mich nachgewiesene Erfolge aufweist: Die IMT.

Ich gebe zu, es war eine große Versuchung: Einen Weg zu gehen, wo ich nur alle paar Tage Tabletten schlucken muß, wo die Nebenwirkungen bis auf „Hautrötungen u.ä.“ nahezu nicht vorhanden sein sollen, wo ich zwar alle 6 Wochen zur Nachuntersuchung gehen muß – aber sonst so tun kann, als könnte ich mit minimalstem Aufwand größtmögliche Erfolg haben. Sofern ich zu denen gehöre, die in der „richtigen“ Kategorie sind.

Wie gesagt, in meiner Situation habe ich mich für den anderen, bekannten und für mich bewährten Weg der IMT entschieden. Die begleitenden Maßnahmen (das, was mir seinerzeit in der Hufelandklinik empfohlen wurde) werde ich nach Möglichkeiten parallel laufen lassen.

Für mich hat sich bei der Gelegenheit auch gezeigt, dass meine Einstellung der VORSICHT (regelmäßige Kontrolle = CT und MRT, nicht nur Ultraschall und Röntgen) mir die Gelegenheit gibt, im FRÜHEST MÖGLICHEN Stadium tätig werden zu können und zu reagieren. Im Röntgenbild von November 2004 waren meine Lungenmetastasen überhaupt noch nicht zu sehen, ob sie jetzt zu sehen wären (bei „dezentem“ Wachstum) weiß ich nicht. Aber ich kann umso schneller reagieren, je früher man (CT/MRT) etwas erkennen kann.


Meine psychische Situation nach den jetzigen Befunden:

Für mich ist keine Welt zusammengebrochen. Ich weiß, dass ich unheilbar krank bin. Ich habe mich aber –abgesehen von den Nachwirkungen der OP’s und IMT n i e körperlich krank gefühlt. Meine Blutbefunde waren und sind so gut, als hätte ich kein Nierenkarzinom.

Aber: Mit dem Wissen um die Eigenarten dieses Krebses war ich darauf vorbereitet, dass es „Höhen und Tiefen“ gibt und immer geben wird. Heute vielleicht Krankheitsstillstand, vielleicht sogar -Rückgang, vielleicht sogar eine Voll-Remission – und „morgen“ vielleicht wieder: Progression und/oder neue Metastasen und/oder Rezidive, irgendwo …….

Das neue Untersuchungsergebnis hat mich getroffen. Und als ich in den ersten Tagen nach den Ergebnissen nachts wach wurde, war genau der Befund mein erster Gedanke. Aber es war nicht das „tiefe schwarze Loch“ wie nach der Erst-Diagnose da. Die damalige Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit war nicht da. Sondern die Gedanken: Was haben wir richtig gemacht - was nicht – was können wir jetzt machen. Mit wem müssen wir sprechen, wer hat neue Informationen und Möglichkeiten, den weiteren Weg mit uns zu finden.

Es gab jetzt für mich einen gravierenden Unterschied der Situation „heute“ zur Situation 2002:

Heute gab es für mich nicht die Frage, OB ich mit der Erkrankung weiterlebe (ich lebe ja schon fast drei Jahre damit) – sondern WIE , und WAS ist weiter zu tun.

Wir haben „Bestandsaufnahme“ gemacht, wie oben beschrieben. Wir haben unverzüglich versucht, herauszufinden, WELCHE der uns bekannten Methoden vielleicht in meinen neuen Weg einzubeziehen wären etc. Wir haben Prioritäten überprüft – und danach unsere Entscheidungen getroffen.

Da ich mich, wie es meiner Einstellung entspricht, nicht auf das hohe Podest „geheilt“ gestellt habe (bzw. habe stellen lassen, trotz des mehrfach wiederholten vielversprechenden „Krankheits-Stillstandes“), konnte ich „nur“ von unheilbar zu unheilbar „fallen“. Und das war nicht sehr tief.

Und somit ist für mich keine Welt zusammengebrochen.

Und somit konnte ich mich sehr bald auf das Wesentliche konzentrieren: Auf die Zukunft.

An diesem Punkt haben wir auch viel in Frage gestellt. Auch Personen (Ärzte). Wir haben die Möglichkeiten der Teilnahme an Studien überprüft.

In diesem Zusammenhang haben wir beschlossen, baldmöglichst auch unseren bisherigen Weg überprüfen zu lassen. Wer könnte das bei der IMT besser als Prof. Dr. Dr. Atzpodien, dachten wir. Folge: Mein Termin war gestern. Und um es kurz zu machen: Auch der Inhalt des Gespräches hat dazu geführt, dass mein Weg so aussieht wie oben beschrieben. Obwohl auch Prof. Atzpodien Möglichkeiten in Richtung der neuen Medikamente wie Bay/SU/Avastin etc. bietet. (Ich denke, es würde zu weit führen, jetzt in Details zu gehen – wozu ich aber jederzeit auf Nachfrage bereit bin).


Ich habe nicht das Gefühl, einen wirklichen Rückschlag erlebt zu haben. Wir wollten überprüfen (im Wissen um das damit verbundene Risiko), ob es in meinem damaligen Zustand möglich ist, ohne Therapie weiter zu machen. Das Ergebnis hat gezeigt: Nein. Also werde ich meinen bisherigen Weg –mit Modifizierungen aufgrund der zwischenzeitlichen Erfahrungen- weitergehen. Mit dem Wissen, dass es ja bereits geholfen hatte und der auch daraus resultierenden Frage: Warum sollte es dann jetzt anders sein?

Und daraus nehme ich meine Motivation und meine Hoffnung. Ich weiß, dass ich in den vergangenen fast 3 Jahren mit meiner Erkrankung GELEBT habe, und ich weiß, dass ich weiter leben werde. Aber ich weiß auch, dass mich diese Krankheit niemals verlassen wird – dass sie ein Teil meines LEBENS ist.


In diesem Sinne wünsche ich allen (und mir sowieso) viel Erfolg – jedem auf dem von ihm/ihr eingeschlagenen Weg.

Liebe Grüße

Jürgen


N.B.: „Meine“ Krankenschwester hat auf „ihrer privaten Intensivstation“ also demnächst zwar nur einen Patienten. Aber einen, der als Patient nicht ganz einfach ist. Mich.

Sollte sie also demnächst mal nicht sofort oder nicht so ausführlich antworten, bitte im im Voraus für Schwester Ulrike um Nachsicht und Verständnis.
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