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Alt 03.03.2015, 06:39
Wind Wind ist offline
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Standard AW: CUP - Neuroendokrines Karzinom

Liebes Bernsteinketterl,
ich weiß genau, was du meinst, wenn du schreibst, dass du Angst vor jeder neuen Nachricht hast. Auch ich breche jedes Mal fast zusammen, wenn bei mir das Telefon klingelt. Selbst mein Bürokollege zuckt schon zusammen und wartet auf mein Zeichen, dass alles noch gut ist. Diese ganzen Auf und Ab`s … es ist kaum zum Aushalten. Die Nerven liegen echt blank. Mein Körper ist von einer unglaublichen Unruhe erfasst. Ich bin abends teilweise so erschöpft, dass ich mit unserem Jungen um acht schon im Bett liege. Ich habe das Gefühl, ich müsste nur noch schlafen. Aber dann liege ich da und ich kann nicht schlafen. Mein Kopf fährt Karussell, mein Herz schlägt wie wild und ich komme überhaupt nicht zur Ruhe. Ich stehe dann auf und laufe wie irre durch das Haus. Im Moment habe ich das Gefühl, nix geht mehr. Aber es muss gehen und ich werde nicht zusammenbrechen … liebes Bernsteinketterl … wir werden gebraucht … nötiger denn je … und deshalb werden wir auch alles, was uns bevorsteht, schaffen. Es ist keine Zeit für Schwäche! Wir sind so viel stärker als wir glauben.

Meinst du, es wäre jetzt vielleicht mal der Zeitpunkt, bei deiner Familie vorsichtig das Hospiz ins Gespräch zu bringen? Ich weiß, dass ist vielleicht ein blöder Vorschlag, aber ihr braucht einen Plan B. Und es wäre ja auch nur Plan B.

Bei uns geht es stetig weiter bergab. Konnte er vorgestern wenigstens noch die 2m ins Bad gehievt werden, ging da gestern gar nichts mehr. Papa mag auch nicht mehr aufstehen. Der Arzt war gestern wieder da, fragte nach den Schmerzen und mein Papa sagt … geht alles! Natürlich weiß der Arzt, dass er Schmerzen hat, aber er sagt auch, jeder Patient muss selbst entscheiden, was er aushalten möchte und kann. Ich glaube, mein Papa hat Angst davor, „weggeschossen“ zu werden. Und seitdem ich weg bin, redet er auch nicht mehr so viel darüber. Wir hatten in der Woche wieder einige Gespräche über das Sterben und „Tot-Sein“. Er hat sich auch nochmal vergewissert, dass alles erledigt ist mit Grabplatz und Bestatter und wir dann nicht so viel „Arbeit“ mit ihm haben. Krass, oder? Aber das ist der Papa … erstmal alle Anderen und dann irgendwann mal er. Was für ein unglaublicher Mann.
Der Arzt sagte auch, dass seine Zeit noch nicht da ist, glaubt er. Man könne das beim Papa ganz schwer einschätzen, weil man ja nicht wisse, wo der Primärtumor sitzt und wo jetzt schon überall was befallen ist. Seit Oktober lässt Papa ja keine Untersuchungen mehr machen. Aber was ihm auch Sorge macht, ist, dass der körperliche Verfall so unglaublich schnell von statten geht. Vor 2,5Wochen war Papa noch selbstständig in seiner Praxis und ist draußen rummarschiert … jetzt kommt er nicht mehr aus dem Bett.
Und ich hatte auch das erste Mal seit der Diagnose im Sommer bei der Verabschiedung das Gefühl, es könnte das letzte Mal gewesen sein.

Aber alles kommt, wie es kommt … wir können nichts beeinflussen … wir können nichts tun … nichts ändern …. liebes Bernsteinketterl … wir reagieren und agieren … auf alles, was uns bevor steht. Und wir werden das schaffen … weil wir unsere Lieben so sehr lieben.

So! Jetzt habe ich mir mal schön selbst Mut zugesprochen … ich fühle mich gerade als Held !
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