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Alt 29.10.2008, 07:28
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Registriert seit: 06.02.2008
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Standard AW: Es Ist Vorbei Aber Nicht Das Ende

Liebe Tina,
es tut mir sehr leid, dass auch du deinen Papa verlieren musstest.
Das zu begreifen, ist nur sehr schwer und unbeschreiblich...

Mein Papa starb Silvester 2007.
Ich möchte dir zeigen, wie ich einen Weg gefunden habe, mit diesem Verlust zu leben.

2 Tage nach Papas Tod bin ich direkt in den Alltag eingetaucht, hab gearbeitet, mich gekümmert und organisiert, bin zu dieser Zeit auch noch umgezogen und muss sagen, dass mich diese ganzen Aktivitäten komplett abgelenkt haben.

Meine Mama (78) brauchte mich ganz stark und wir haben jeden Tag über den Papa gesprochen, um ihn geweint, auch gemeinsam gelacht – aber immer flossen zuerst die Tränen. Wir waren auch „froh“, dass er seine Reise endlich angetreten ist und an einem anderen Ort auf uns herabschaut und uns beschützt.

Ich weiß, dass mein Papa immer bei mir ist – egal, wo ich stehe und was ich tue.
Er ist in jeder bunten Blume, die bei mir auf dem Balkon wächst, er ist in jedem Sonnenstrahl, den ich so unendlich genieße, in jeder geglückten Aufgabe, die mir gestellt wurde.
Und meine Mama sieht das auch so.
Sie war anfangs sehr, sehr ängstlich, unsicher, nervös, Dinge alleine regeln zu sollen. Aber ich sagte ihr, dass sie niemals alleine irgendwohin gehen muss, denn der Papa steuert sie schon dahin, wo sie an der richtigen Stelle ist. Er wird ihr helfend zur Seite stehen, damit sie Menschen begegnet, die ihr die Hand reichen und ihr helfen.
Und nach ein paar kleinen Hürden hat sie gemerkt, dass alle Gänge, die sie gehen musste, nicht so schlimm waren, wie sie dachte – denn der Papa war bei ihr.

Vor ca. 8 Wochen kam bei mir die Traurigkeit raus.
Ich dachte noch mehr an Papas letzte Woche, in der es ihm zusehends schlechter ging. Ich dachte an alle Gespräche, die wir in der Familie und mit ihm geführt haben, um Entscheidungen für sein Wohl zu treffen. Ich dachte an schmerzvolle Abschiede, als er von Zuhause ins Hospiz transportiert wurde. Ich dachte an die Stunde, als er seine Reise antrat und so friedlich und mit einem kleinen Lächeln auf dem Weg zu einem anderen Ort war.

Ich dachte wieder daran, dass er nun keine Schmerzen mehr haben muss und trotzdem bei uns ist, auch wenn wir ihn nicht mehr sehen.

Liebe Tina, diese Gedanken schmerzen so sehr, dass ich mich oft wie „taub“ fühle, manchmal bin ich zu keiner Regung, keinem Gefühl fähig. Ich denke dann, ich stehe neben mir und beobachte mich und mein Leben – allerdings ohne den Blick in mein Inneres... Als würde ich unter einer Glocke stehen, die alles um mich herum verschwommen wiedergibt und Lärm abschwächt.
Nichts kommt wirklich an mich ran. Nichts lasse ich wirklich an mich ran.
Vielleicht will ichs immer noch nicht wahrhaben...

Ich habe vor 4 Wochen eine für mich unglaublich schöne Erfahrung machen dürfen:
In meinem Urlaub an der Ostsee habe ich mir vorgenommen, am kilometerweiten Sandstrand zu laufen und allen meinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf zu lassen... wenn Tränen raus wollen, soll’n sie kommen...
Der Wind wehte stark, das Meer schlug kleine Wellen, der Himmel war bewölkt und ich stapfte mit nackten Füßen im Wasser herum.
Ihr könnt jetzt raus, ihr Gedanken...
Und was ist passiert? Nichts. Ich habe mich bemüht, die Geschehnisse nochmal Revue passieren zu lassen, um sie verarbeiten zu können. Um sie an diesem Ort mal anders denken zu können. Doch nichts ist passiert.
Ich habe mich wieder auf Einzelheiten konzentriert, um noch einen Versuch zu starten, den Kopf frei zu kriegen...
Das Ende vom Lied war ein schöner Strandspaziergang, von dem ich wirklich zufrieden, entspannt und irgendwie frei zurück ins Haus bin.
Ich war glücklich an diesem Ort, der nicht zuließ, dass ich versinke... und der mir mit seiner Natur auf seine Art meine dunklen Gedanken erhellte.

Jeder Mensch erlebt und lebt die Trauer um einen geliebten Menschen auf seine Weise.
Wenn ich mir „einrede“, dass mein Papa überall um mich und bei mir ist, dann erleichtert mir das mein Leben und meine Aufgaben.

Ich wünsche dir, dass du auch einen Weg für dich findest, deinen Papa immer und überall bei dir zu sehen und zu spüren. Lass deinen Schmerz und deine Trauer raus, wenn du es kannst. Wenn du nicht weißt wo, dann schreib deine Gedanken hier auf.
Mir hat es sehr geholfen, mich hier zu beteiligen. Ich durfte aus dieser Erfahrung hier zu schreiben viele liebenswerte Menschen kennenlernen, die mein Sichtfeld erweitert und meine Gefühlswelt bestätigt haben.

Wenn du Entscheidungen triffst, frage dich, ob sie dein Papa genauso getroffen hätte... wenn du Wege gehst, frage dich, wie sie dein Papa gegangen wäre... und wenn du bittre Tränen weinst und dich vergraben willst, frage dich, ob dein Papa dich so sehen wollte...

Ich schicke dir ganz viel Kraft und Stärke, dein neues Leben anzunehmen und es auch leben zu wollen, weil dein Papa ganz sicher auf dich herabschaut und dir einen kleinen Schupps in die richtige Richtung gibt. Du brauchst nur etwas Mut, den neuen Weg zu gehen, aber das wirst du schaffen, wenn du es nur zulässt.
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Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007

Geändert von Annika0211 (29.10.2008 um 16:23 Uhr)
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