Einzelnen Beitrag anzeigen
  #20  
Alt 12.02.2006, 13:04
manu_k manu_k ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 05.12.2005
Ort: Siegen
Beiträge: 326
Standard AW: Ein gemeinsamer Traum...

Hi Susi,

wie geht’s, wie stehts?
Dein Freund übers We im Kh?

Ich kann Dir gern etwas über mich schreiben, ich versuche mich kurz zufassen, sonst müsste ich wahrscheinlich ein Buch schreiben.

Ich bin 24, mein Freund Jörn ist 32, nach meiner Gesellenprüfung bin ich vor 2 Jahren zu Ihm nach Siegen gezogen.
Wir haben beide tolle Jobs, haben uns wohnungstechnisch erweitert und einen Kater adoptiert ☺ alles bestens eigentlich, ich bin so oft wie möglich zu meinen Eltern nach Berlin gefahren. Wahrscheinlich war unser Leben zu schön?
Vor einem Jahr hat es begonnen, mein Freund (sportlicher Typ, Nichttrinker und militanter Nichtraucher) klagte über Schmerzen im hinteren Zungenbereich.
Hausarzt diagnostiziert fast 3 Monate lang Herpes und verabreichte Ihm Schmerzmittel in immer höheren Dosen. Er hat Gewicht verloren und fühlte sich immer schlapp und müde.
Wir hatten ja kein Ahnung, wer denkt denn an Krebs, so was trifft doch nur „Alte“ (!?) Ostern war ich noch eine Woche in Berlin, mein Freund musste arbeiten und ist dann Zum HNO, sofortige Überweisung in die MKG, Schnellschnitt, Diagnose Zungenkrebs mit schlechter Prognose. GanzkörperCT zeigte keine Auffälligkeiten.
Dann Krankenhaus, 16 Stunden OP mit Kieferspaltung, Zweidrittel der Zunge wurden entfernt durch Teil vom Unterarm ersetzt, so konnte man seine Zungenspitze retten, Neck Dissection, Intensivstation, künstliches Koma PEG, Tracheostoma. Randschnitte, Lymphknoten waren alle sauber, keine weitere Therapie, halleluja! Entfernung des Tracheostoma.
Dann 4 Wochen AHB in Bad Ems. Das hat Ihm gut getan und wir konnten seinen 32 Geburtstag feiern. Glück gehabt dachten wir, schnell wieder ins normale Leben, alles vergessen, klar es war plötzlich einiges anders, wenn man plötzliche fast kein Zunge mehr hat (sprechen, essen, küssen), wir haben wieder Pläne geschmiedet. Dann ging es ziemlich schnell bergauf, im Sommer hat er wieder paar Wochen gearbeitet und konnte weiche Sachen ganz gut Essen. Entfernung der PEG, endlich waren alle Hilfsmittel weg. Die Zeit war sehr stressig für mich, ich hatte Angst, war ganz auf mich allein gestellt, hab mich allein gefühlt und hatte immer wieder mit Mandelentzündungen zu kämpfen, doch ich durfte nicht krank werden. Dann bin ich ins KH und hab mir die Mandeln entfernen lassen.
Dann haben bei Ihm wieder Schmerzen begonnen, zwischenzeitlich wieder Krankenhausaufenthalte, Schnellschnitte mit Tracheostoma und hochdosierte Morphiumtherapie, dann im Oktober, Schock, Rezidiv am Unterkiefer, mandarinengroß, wurde erst spät entdeckt, trotz engmaschiger Untersuchungen, Krebs ist halt sehr tückisch.
Op, linker Kiefer wurde zum Teil abgeschliffen, wieder Tracheostoma, dieses hat er bis jetzt, Wundheilungsstörungen, die Fistel am Unterkiefer muss ich ihm bis Heute jeden Tag verbinden, weil sie nicht heilen will.
Dann ging es für wenige Wochen nach Hause, zwischenzeitlich mussten wir überstürzt ins Krankenhaus, wegen Blutungen, auch Tumorblutungen, trotz aller Schwierigkeiten musste die kombinierte Radiochemotherapie beginnen, es wurde immer betont, dass es die letzte Chance ist. Jetzt kam das wovor wir so große Angst hatten, doch er hatte keine Wahl. Thema Kinder, ich habe meinen völlig fertigen Freund aus dem Krankenhaus geholt und bin mit Ihm nach Giessen gefahren, zur Spermakonservierung, es war sehr wichtig für uns, musste irgendwie durchgezogen werden, wir hatten nur einen Tag Zeit dafür, es hat leider überhaupt nicht geklappt. Jörn war frisch operiert, mit Antibiotika und Morphium vollgepumpt und ist mir immer wieder eingepennt, du kannst dir ja vorstellen dass das nicht geklappt hat, es war für mich einer der schlimmen Tage, es folgte mein erster „öffentlicher“ Nervenzusammenbruch. Die Radiochemo war ambulant geplant, doch daraus wurde nichts, ich habe Ihn 7 Wochen jeden Tag im Krankenhaus besuchen müssen. Weihnachten konnte er 2 Tage nach Hause, es war ein sehr schönes, ruhiges Fest (obwohl es das erste ohne meine Familie war) und er hat Kraft geschöpft für die nächste Chemo. Es war eine schlimme Zeit für uns alle.
33 Bestrahlungen, 2 Wochen Chemo, sind jetzt 4 Wochen her.
Wir haben in unserer Wohnung einen kleinen Raum eingerichtet, unser Behandlungszimmer und Apotheke, mit medizinischen Geräten, Verbandsmaterial und Medikamenten. Jörn ernährt sich über die Magensonde und ist auf die Atmung durch das Stoma angewiesen. Seine Haut ist verbrannt, sein Zunge unbeweglich und sein Unterkiefer und die Zähne völlig verschoben. Seid ein paar Tagen versucht er wieder zu sprechen, er hat Monate nur mit Arme, Beine und eine Schreibtafel kommunizieren können. Er schläft viel, hat körperlich stark abgebaut. Dennoch psychisch ging es Ihm nie schlecht, er ist sehr stark und hart im nehmen, er hat kaum geweint, ich meist nur heimlich. Wir haben uns immer gegenseitig aufgebaut, Wärme und Liebe gegeben, auch wenn es oft zu wenig möglich war, fast alles zusammen gemeistert. Ich habe viel gelernt, wie ich Ihm am Besten helfen kann. Lese und suche viel darüber.
Er ist zu 70 Prozent schwerstbehindert, 2 mal die Woche kommt Diakonie und Arztbesuche sind mittlerweile Routine.
Wir haben beide sehr verständnisvolle Chefs und bekommen von seinen Eltern viel Unterstützung. Der Freundeskreis hat sich ausgedünnt.
Wir haben uns arrangiert mir der neuen Situation aber daran gewöhnen, nie!
Es geht voran aber haben wir es überstanden? Keine Ahnung, wir fahren gemeinsam im März nach bad Lippspringe in eine onkologische Klinik auf Kur, ich selbst verspreche mir dort auch psychologische Hilfe. Danach folgen CT und MRT, dies soll alles ans Licht bringen, *bibber* hoffentlich hat der Alptraum endlich ein Ende, ich weiß nicht, ob ich noch Kraft habe für weiteres. Ich werde immer zu Ihm stehen aber zu welchem Preis für mich? Ich stütze Ihn aber wer stützt mich wenn es Ihm schlecht geht?
Wir hatten insofern Glück, dass die beiden Krankenhäuser mit den Fachbereichen in unserer Stadt sind, somit konnte ich super zwischen zu Hause und Kh pendeln.
Ich arbeite aber in einer anderen Stadt, was jeden Tag fast 2 Stunden Autofahrt mit sich bringt. Die Zeiten in denen ich allein war, waren sehr anstrengend in jeder Hinsicht.
Wie sich ein eng verbundener Angehöriger fühlt brauch ich dir sicher nicht erklären.
Unser Leben ist momentan sehr eingeschränkt. Ich gehe seid einem Monat wieder regelmäßig normal arbeiten, was mir gut tut, sonst beschränkt sich unser Leben aufgrund seiner Situation auf unsere Vier Wände, wir suchen auch wieder Wege als Paar zueinander. Es ist immer noch schwer für mich alles allein zu machen, aber es ist im laufe der Zeit Routine geworden, kein stinknormales Paar zu sein, auch wenn man sich nichts sehnlicher wünscht.
Ich habe für die nächste Zeit wieder Fahrten zu meiner Familie geplant, er hat sich insofern stabilisiert, dass ich ihn „allein“ lassen kann, zumal wir auch wieder telefonieren können. Meine Familie fehlt mir sehr und es tut mir auch sehr leid, dass ich nicht für sie da sein kann, weil es auch dort Probleme gibt. Wir telefonieren viel und meine Eltern kommen auch hin und wieder, wie es die Zeit erlaubt zu mir.
Insgeheim wünsche ich mir irgendwann zurück in meine Heimat zu gehen, aber das sind Träume und Pläne für die jetzt kein Platz ist. Wir haben momentan nur einen Traum, den Krebs endlich bekämpft zu haben für immer und ewig und die Annäherung an ein normales Leben.
Wir haben trotzdem versucht uns es immer so schön, wie möglich zu machen und müssen mit der Behinderung zurecht kommen.

Weißt du, unser Nachbar, hatte auch in jungen Jahren Leukämie, aufgrund einer Blutvergiftung, wurden Ihm beide Beine und ein Arm amputiert. Und heute... er geht arbeiten, jeden tag mit seinen Prothesen bis in den dritten Stock und hat eine hübsche Frau, die auch immer zu Ihm stand und steht. Das gibt doch Mut oder!!!

Das war „kurz“ unsere Gechichte. Uns geht es trotz allem ganz gut, man kann viel ertragen und überstehen, man muss nur positiv und engagiert sein.
Haltet durch!

Liebe Grüße Manuela.

Geändert von manu_k (12.02.2006 um 13:15 Uhr)
Mit Zitat antworten