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Alt 06.11.2012, 22:15
Claudy2012 Claudy2012 ist offline
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Registriert seit: 06.11.2012
Beiträge: 1
Standard Unsere Geschichte

Nun habe ich mich heute dazu entschlossen, auch von unserem Schicksal zu schreiben.
Ich lese seit ziemlich genau 5 Monaten in diesem Forum mit.
5 Monate war die Einschätzung der Lebensenserwartung durch den Arzt, der das Pleuramesotheliom bei meinem Vater (68 Jahre) festgestellt hat.

Das war im Frühling und mein Vater war mit einer "Bronchitis" und Auffälligkeiten beim Abhören ins Krankenhaus zum Röntgen geschickt worden. Es wurde Wasser in der Lunge festgestellt - Größeres Krankenhaus, sofort stationäre Aufnahme. Untersuchungen, Punktion, CT. Wir gingen in dieser Zeit nichtsahnend von einer Lungenentzündung aus, machten uns zwar Sorgen, aber da mein Vater eine echte Roßnatur war, rechneten wir damit, dass er bald nach der intravenösen Antibiose wieder gesund zu Hause sein würde.

Dann wollte man zur weiteren Diagnosefindung eine Biopsie nebst Pleurodese durchführen. Eingelesen, naiv gewesen, einfach nichts von dieser Erkrankung gehört oder gewusst. Die Ärzte haben uns nur mitgeteilt, dass beim CT eine Auffälligkeit/Verdickung festgestellt wurde, der man nachgehen müsste. Dies könnte auch z.B. eine alte Narbe einer Entzündugn etc. sein oder etwas Schlimmeres. Wir haben uns immer noch nicht vorstellen können, dass es Krebs etc. ist. Mein Vater war bis dato immer gesund und super sportlich, ist letztlich mit Husten und leicht erhöhter Temperatur zum Arzt gegangen. War sonst nie krank oder bei Ärzten. Mein Papa doch nicht.

Man würde die feingewebliche Untersuchung zur Diagnosesicherung benötigen, notfalls gleich eine Pleurodese durchführen.

Angst gehabt vor dem Eingriff (wenn wir gewusst hätten, was noch auf ihn zukommt), dann das Warten auf die Ergebnisse.

An dem Morgen des Ergebnisses habe ich auf dem Weg zur Arbeit noch im Gefühl gehabt, dass es nicht Schlimmes sein könnte.
Dann der Anruf meiner Mutter aus dem Krankenhaus, das Gespräch mit dem Arzt:
Es ist Krebs, es ist bösartig, wir können wenig tun. Die Augen meines Vaters werde ich nie vergessen.

Die Frage meines Vaters, wie lange er noch zu leben hat. Der Arzt wollte sich verständlicherweise erst nicht festlegen. Dann die Angabe in Monaten: 5, der Assistenzarzt relativierte später und sprach von guten Verläufen mit 12 - 18 Monaten bei Chemo.

Der absolute Schock für alle. Was sollen wir nur tun? Zunächst haben wir nach Spezialkliniken gesucht. Mit Heidelberg (sehr nette Mitarbeiter) telefoniert. Es ginge darum, ob OP ja oder nein. Chemo könnte man überall. Wir sollten erst bei unserer hiesigen Uniklinik in der Nähe nachfragen. Dies schien in Anbtracht der weiten Entfernung und des mittlerweile schon recht angeschlagenen Zustandes meines Vaters nachvollziehbar.

Entlassung aus dem feststellenden Krankenhaus, warten auf Termin in Uni. Betteln um frühzeitigen Termin. Endlich war der Termin. Mit Spezialisten gesprochen. Tumorkonferenz, PET-CT, wieder eine Woche vergangen. Dann die Einschätzung: OP kaum möglich. Sehr risikobehaftet, 8 Stunden und schlechte Aussichten. Es gibt neben dem tumor Metastasen im Bauch- und Rippenfell. Empfehlung war Chemo mit Alimta und Cisplatin.

Das erste Mal war schrecklich. Nach dem Kortison war er auf einmal wieder fast der Alte. Wie er da mit Tropf der einzigen Hoffnung im Zimmer rumging. Hoffnungsvoll und "gut drauf". Nach der Chemo fing es am dritten Tage an. Diese Schwäche und das Nichtaufstehen wollen. Auch Übelkeit und Aufgabe. Jedes Mal waren die Abstände des Erholens vor der Chemo kleiner.
Ab und An Blutübertragungen, kurzzeitige Besserung, dann wieder das Ringen, wann dei Chemo durchgeführt werden kann. Die Zyklen verschoben sich.
Zwischendurch meine Hochzeit. Die geplante große Feier für diesen Herbst hatten mein Mann und ich in der Nacht nach der Diagnose im Weinen und Erzählen -damals in weiser Voraussicht - kurzerhand beschlossen abzusagen und dafür im kleineren Kreise möglichst bald stattfinden zu lassen. Die standesamtliche hat mein Vater ganztätgig tapfer durchgestanden und war sichtlich gerührt. Die Kirchliche hat er nach der Vorsuppe abbrechen müssen. Da wir nun Hotelanschluss hatten, war es zumindest meiner Mutter möglich dabei zu sein. Ab und an bin ich im Brautkleid zu ihm aufs zimmer. Er hat ganz friedlich geschlafen und mein Papa war dabei. Er hat so gestaunt, wie schön alles geschmückt war.

Nach 3 Zyklen wieder CT. Nach regelmäßigem Forenlesen und Mitleiden habe ich mir jeden Tag vorgenommen, Euch zu schreiben und irgendiwe konnte ich es nicht. Es war furchtbar, wie es jede Woche schlechter wurde. Anfangs kam mein Vater noch zu uns. Mein Mann und ich lagen zusammen mit ihm auf der Couch, haben gekocht, was er wollte. Die Zeit der EM begann. Besser konnte das Ablenkungsprogramm nicht laufen. Entlastung für meine Mutter und immer wieder Hoffnung, dass es bei ihm vielleicht noch eine gewisse Zeit besser sein würde.
Olympia haben wir noch bei uns mit ihm geschaut. die letzten Besuche im Garten bei uns waren gezählt.
Dann seine Einschätzung: Er wird nicht mehr zu uns kommen. Selbst der Transport mit dem Auto meiner Mutter ein paar Kilometer zu uns war ihm zu anstrengend. Er sollte Recht behalten.

Jemand hat mal geschrieben, dass man kaum die Diagnose hat und es dann schon mit der Organisation und der Chemo losgeht. Das kann ich nur bestätigen. Am Anfang haben wir um jeden Tag/Woche, die sich aus unserer Sicht verzögert hat mit Arztterminen, Telefonaten, Besprechungen und Ergebnissen gekämpft. Im Nachhinein war irgendwie alles egal. Wahrscheinlich hätten wir meinem Vater eher den Stress mit unserer Organisation ersparen sollen.
Dann die Nachricht nach dem CT: Der Tumor ist nicht kleiner geworden; in der Abwägung der Nebenwirkungen der Chemo werde man die Chemo umstellen auf eine 1-Phasentherapie. Dieses Mal ambulant. Die Chemo werde besser vetragen. Man bräuchte auch nicht das Wasser zusätzlich geben, dass er bei der 2-Phasentherapie immer per Infusion bekommen hat und das wieder ausgeschieden werden musste.

Vor der Chemo bin ich mit ins Krankenhaus. Er saß bereits im Rollstuhl und war mittlerweile sehr pessimistisch geworden. Dann der Schock am nächsten tag. Kreislaufkollaps, Notaufnahme. Später sagte man uns, man habe ihn gerade noch zurückgeholt. Stationäre Aufnahme. Entzündungswerte so hoch.

Bangen, ob noch eine Chemo verantwortet werdne kann. Dann wieder deutliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes. Das Essen wurde zur Qual. Das Übergeben nach den Mahlzeiten fing an.

Anfangs haben wir ihn und die Ärzte immer gefragt, ob er Schmerzen hat. Nein, das habe er nicht, nur ein Ziehen im Nacken (vom Liegen). Letzlich entpuppte sich dies über die Wochen als unerträglicher Tumorschmerz. Palliativstation. Ein Hoffnungsschimmer war ein Sonnabend im Oktober. Der Physiotherapeut hatte meinem Papa Hoffnung gemacht, dass er mit viel Training vielleicht wieder Treppen laufen könnte. An diesem Tag war er so stolz. Ist mit dem Rolllator den Flur auf und ab. Wir waren so glücklich. Nächster tag wieder der Einbruch. Abschlussgespräch auf der Station. Die Schmerzen wurden trotz Morphin nicht deutlich besser. Wir sollten uns überlegen, ob ein Hospiz eine Möglichkeit wäre.

Die Chemo wurde nun auch offiziell aus ärztlicher Sicht ausgeschlossen.
Schwere Last. Ringen. Schmerzen immer schlimmer. Letzte Woche sollte es dann so weit sein. Es ging nicht anders. Am Abend zuvor musste aber der Notarzt kommen. Wieder Krankenhaus. Stabilisierung so gut es ging. Neuer Hospiztermin. Dazu ist es nicht mehr gekommen.
Mein Papa ist am Wochenende eingeschlafen.

So, nun habe ich geschrieben. ich möchte hier niemanden entmutigen. Dennoch fühle ich mich ein stückweit verpflichtet, auch von unserer Geschichte zu schreiben, wo ich monatelang bei Euch mitgelesen und mitgeweint habe. Ihr habt mir sehr viel geholfen, überhaupt in diese Erkrankung und die diffizilen Gefühlslagen zu finden. Ich fühlte mich nicht ganz so allein und möchte Euch sehr herzlich dafür danken. Oft, wenn wir nicht weiterwussten, konnte ich mit Krebskompass-wissen mitreden und ein Stückchen weiterhelfen.

Wie Ihr alle, habe ich Dinge erlebt, die ich nie vergessen werde. Wir haben gekämpft wie Löwen, uns auch bei den Ärzten und Sprechstundenhilfen nicht immer beliebt gemacht. Nachgefragt, kontrolliert und überprüft.
Im Ergebnis konnte ich meinem Papa nicht helfen. Das schmerzt. Er wird mir so fehlen.

Nun steht die Organisation wieder im Vordergrund.
Die Berufsgenossenschaft steht auch noch aus. Mein Vater hat in den 60ern mit Asbest gearbeitet. Die Bearbeitung dauert noch an. auch hier könnte ich Romane schreiben. Ich bin jetzt aber müde. Die Verarbeitung wird wohl noch lange andauern.
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