Wir werden uns wiedersehen...

[Mirilena]

Hallo Paps,

lange habe ich dir nicht geschrieben, aber heute ist irgendwie so ein seltsamer Tag. Ich weiß gar nichts mit mir anzufangen. Helli ist bei Tim und obwohl ich sonst ganz gut mir mir allein sein kann, scheint heute einer dieser Tage zu sein, an denen ich es nicht kann... Es ist grau draußen und es nieselt. Ich wollte schon spazieren gehen, doch von meinem Sport habe ich so fiesen Muskelkater in den Waden, dass ich kaum laufen kann. Ich sehe dich gerade ziemlich breit grinsen Ja, ich habe mich endlich, endlich aufgerafft und muss sagen, dass ich offensichtlich über null Kondition verfüge, denn sonst hätte ich jetzt wohl nicht solche Schmerzen. Ich mag gerade nicht allein sein und alle, mit denen ich jetzt gern sprechen würde, sind telefonisch nicht erreichbar. So schreibe ich dir jetzt einen Brief.

Ob du wohl auch diese Tage kanntest, an denen du nichts mit dir anfangen konntest? Haben wir jemals darüber gesprochen? Ich glaube nicht! Na ja, du warst ja auch nicht gerade derjenige, der das Herz auf der Zunge trug. Ich würde dich das jetzt gern fragen... Weißt du, momentan fühle ich mich etwas unzulänglich. Ich bekomme eigentlich nur Absagen und muss am Dienstag diesen Antrag auf Arbeitslosengeld einreichen. Ich hatte so gehofft, dass mir das erspart bliebe... Zudem suche ich händeringend nach passenden Stellenangeboten und kann nichts finden. Ich kenne das ja bereits, aber so langsam mache ich mir dann doch Sorgen. Und außerdem nervt es mich, so untätig zu sein!!! Ich würde dann wenigstens gern in eurem Garten arbeiten. Die ganze Erde aus dem Gewächshaus holen und neue Erde aufschütten. Ich würde so gern die ganzen Zwiebeln und Stauden mit Mama einpflanzen und alles Alte und Verblühte abschneiden. So ganz langsam wird es ja wärmer, aber ich habe auch so gar keine Geduld mehr. Ob du wohl dieses Gefühl kennst? Wie ein Tiger, der in seinem Käfig gefangen ist und traurig immer wieder die Gitterstäbe abschreitet? Na ja, ich muss halt versuchen, nach vorn zu schauen und weiter zu machen. Aber manchmal fällt weitermachen schwer. Wenn man nicht weiß, was passiert, wie es weiter geht und wie lange man noch durchhalten muss. Das wirst du nicht kennen gelernt haben, zumindest nicht, was deinen Job betraf. Aber vielleicht war dir dein Job auch bisweilen zuwider und du wärst gerne ausgebrochen? Ich weiß es nicht, denn auch darüber haben wir nie so richtig gesprochen. Auf einmal fallen mir lauter Dinge ein, über die wir nie gesprochen haben... Dabei sollte ich mich lieber an all das erinnern, was wir gemeinsam hatten, oder?

Habe ich dir eigentlich erzählt, dass ich jetzt in einer Trauergruppe bin? Obwohl es gut tut und ich besonders die Kunsttherapeutin schätze, fühle ich mich dort ein wenig deplatziert. Ich bin die einzige, die um ihren Vater trauert. Alle anderen Frauen trauern um ihren Partner. Da gehöre ich nicht so wirklich dazu... Ich denke, du kannst das verstehen! Letztes Mal haben wir über Träume gesprochen. Wir sollen jetzt immer erzählen, was wir von unseren Lieben geträumt haben. Aber ich träume ja fast nie von dir! Mama übrigens auch nicht. Nur sehr selten! Leonore meinte, dass nur wir selbst unsere Träume deuten könnten. Wir seien der Regisseur, der Produzent, der Schauspieler, der Visagist, der Cutter, alles in einem halt und in allen Personen, von denen wir träumen, steckten wir eben auch selbst drin. Meist vergesse ich morgens ohnehin, dass und was ich geträumt habe...

Immerhin freut Mama sich dieses Jahr auf den Frühling und auf den Sommer. Sie hat auch wieder Pläne geschmiedet. Sie will sich ihre Kübel mit Rosen bepflanzen, damit es schön aussieht auf der Terrasse. Ich war ganz gerührt, als sie mir das erzählte. Und ich möchte dir endlich eine Abraham Darby pflanzen mit blau blühendem Ziersalbei drumherum. Erinnerst du dich an das Rosarium? Du warst so begeistert von der ganzen Blütenpracht! Ich denke, ich werde diesen Sommer mal wieder mit Mama dorthin fahren. Mama möchte auch ein neues Rosenspalier. Die Rose scheint ja mit dir gestorben zu sein, sie blüht einfach nicht mehr und sieht so hinfällig aus... Hätte ich dir bloß früher mal ein wenig mehr im Garten geholfen, Paps! Dann wäre ich jetzt sehr viel schlauer!!! Nun muss ich eben aus meinen eigenen Fehlern lernen.

Ich freue mich schon auf die Spargelzeit... Spargel erinnert mich immer an dich! Was haben wir da gemeinsam für Kilos verspeist?!

Schon mehr als ein Jahr ist vergangen. Manchmal eine ganze Ewigkeit, in der ungeheuer viel passiert ist und manchmal nur ein Wimpernschlag von dir entfernt. Tat gut, dir zu schreiben!

Ich vermisse dich
Miri