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Alt 30.04.2014, 00:33
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Seehase1981 Seehase1981 ist offline
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Registriert seit: 30.04.2014
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Standard Das Krebsmonster hat mir meine Mama genommen

Hallo,

ich möchte hier von der noch unrealen und gleichzeiitig so realen schlimmsten Veränderung meines Lebens erzählen. Meine Ma ist nach kurzer schwerer Endphase des Lungenkrebsleidens am 06.04.14 gestorben - bzw. auf die Andere Seite hinüber gegangen. Sie ist der wichtigste Mensch meines Lebens (gewesen).

Ich bin jetzt 33 Jahre alt, vor 3,5 Jahren ist mein Vater bereits gestorben. Er war 40 Jahre mit meiner Ma verheiratet, aber oft nicht sehr nett zu ihr und hat sie wie sein Eigentum behandelt und alles vorgeschrieben. Selbst, wie lange sie mit anderen Leuten spricht, hat er kontrolliert und ggf. unterbunden. Das wurde die letzten 10 Jahre seines Lebens immer schlimmer, sodass meine Mutter sehr isoliert gelebt hat. Im Endeffekt war ich die Einzige, die Papa geduldet hat - aber das oft auch nur mit Gemecker und Genörgel und Vorwürfen ohne Ende. Im Nachhinein weiss ich, dass viel an dem jahrzehntelangen hohen Alkoholkonsum lag: er ist dann im Oktober 2010 an einem komplexen Krankheitsbild gestorben (Demenz, Krebs, Leberzirrhose, Hirnabbau etc.). Zum Arzt war er nie gegangen - so ist er also nach Zusammenbruch mit dem RTW ins KH gekommen. All das hat ihn jahrelang zu dem Tyrann werden lassen - aber durch sein eigenes Verhalten, dem Saufen, selbst verschuldet. Wobei er auch hierfür bestimmt seine Gründe gehabt hat, als Jahrgang 1940 ist er in der Nachkriegszeit aufgewachsen - das war bestimmt nicht leicht. Aber dennoch, mir hat er zum Beispiel nie seine "Liebe" gezeigt, geschweige denn gesagt. Ich wurde recht streng von ihm erzogen; ohne körperliche Gewalt, aber die psychische Seite hat er sehr gut beherrscht.
Von daher hatte ich also keinen echten Draht zu ihm und habe auch nur ein einziges Mal um ihn geweint - und das auch nur, weil ich mir eigentlich selber leid tat, keinen echten Papa gehabt zu haben.

So, aber genug zu meinem Vater. Vor vielen vielen Jahren hat sich meine Ma in diesen Mann halt verliebt, hat ihn geheiratet und ist ihm zuliebe aus ihrer Heimat Oberbayern nach Hamburg gezogen. Nach über 10 Jahren Ehe hat sich mein Vater dann doch "überreden" lassen, mich zu bekommen. Meine Ma wollte eigentlich schon viel viel früher Kinder - und auch mehrere. Es ist bei meiner Existenz geblieben. Als ich allerdings so ca. 6,7,8 Jahre alt war, wurde sie nochmal schwanger; mein Vater hat sie gezwungen, abzutreiben. Wie schön wäre es gewesen, eine Schwester oder Bruder zu haben. Und wie schön wäre es für Ma gewesen, ein weiteres Kind zu haben. Ich heule grad wie ein Schloßhund.
Diese Dinge habe ich noch keinem Menschen erzählt - auch meine Ma hat mir erst nach seinem Tod davon erzählt. Für sie war es sehr schwer damals, aber mich hat sie bedingungslos geliebt und mir nie gezeigt, wie schlecht es ihr psychisch ging. Wobei sich mir jetzt auch erschließt, warum auch sie so viel getrunken hat während meines Aufwachsens... Bis zu meinem 15. Lebensjahr etwa hatten meine Eltern noch viele Freunde, mit denen immer ein (oder oft auch viele viele) Bierchen geschlürft wurden. Dann begann die Veränderung bei meinem Vater und er hat alle vergrault und meine Mutter durfte auch nur noch wenige Kontakte pflegen.

1998 erkrankte meine Ma dann Gebärmutterhals-Krebs: zum Glück im Anfangsstadium, dass nach Total-OP alles wieder gut war. In dieser Zeit war ich auch die Einzige, die für Mama da war. Mein Vater war nicht einmal im KH... Der hat nur zu Hause gehockt und sich die Birne weiter zugesoffen. Ich habe Ma damals immer gesagt, dass sie positiv denken soll und dass alles wieder gut wird - und das hat geklappt.

Als meine Ma dann 66 Jahre alt geworden ist, starb mein Vater. Der Song von Udo Jürgens "mit 66 Jahren fängt das Leben an" ist wir für sie gemacht: sie hat die 30 Jahre nicht renovierte und entsprechend vom starken Rauchen verquarzte Wohnung renovieren lassen, alle Möbel erneuert und hat angefangen, endlich frei zu leben - mit Wiederaufbau des Freundeskreises und vielen neuen Kontakten. Sie hat Städtereisen gemacht, Hamburg erkundet (nachdem sie hier bereits 40 Jahre gelebt hat und nur in ihrem Stadtteil war), hat sich Unmengen an Parfum gekauft (Vater HASSTE sämtliches Nutten-Diesel) und endlich gelebt.

Ich immer an ihrer Seite.

Ich möchte auch noch von Wuschel erzählen (siehe mein Profilbild). Wuschel ist 13 Jahre lang mein geliebter Hund gewesen. Ich wollte schon immer, seit ich denken kann, einen Hund haben. Natürlich durfte ich nicht, mein Vater wollte das nicht. Wobei er nicht gearbeitet hat, Zeit wäre da gewesen. Mama hatte ja nichts zu sagen. Kurz nachdem ich 18 geworden bin, ging ich auf eine Feier; dort hatte jemand grade acht Wochen alte Welpen abzugeben: tja, und was geschah: ich bin dann nachts mit Wuschel nach Hause gefahren - mein damaliger Freund hatte bereits eine eigene Wohnung. Kurz danach sind wir auch zusammen gezogen und ich raus aus der Tyrannei. Ich liebe Wuschel über alles; ich habe mit ihm alle meine Krisen verlebt - und glücklicherweise hatte ich fast immer liebe Menschen, die tagsüber auf ihn aufgepasst haben, wenn ich zur Arbeit war. Wuschel war immer an meiner Seite. Als mein Vater starb, habe ich Wuschel dann wochentags zu meiner Ma gebracht, damit sie nicht alleine ist - vorher durfte er nur ein einziges Mal an Sylvester bei meinen Eltern bleiben. Am 22.12.12, wo die ganze Welt vom Untergang geredet hat, war Wuschels letzter Tag. Er saß voller Krebs und musste erlöst werden. Bis dahin war das das Schlimmste, was mir je passiert ist - auch Ma war sehr sehr traurig.

Ein halbes Jahr später (vor genau einem Jahr jetzt) hat sie sich wieder einen Hund nach Hause geholt; Rocky hätte sonst ins Tierheim gehen müssen, weil seine vorherige Familie keine Zeit mehr für ihn hatte. Dieser kleine Jack-Russell-Terrier hat Ma ganz schön auf Trab gehalten.

Leider fing es dann im Oktober letzten Jahres an, dass Ma nicht mehr gut laufen konnte - irgendwas am Fußgelenk. Nach Ärztemarathon hat mein Orthopäde ihr dann ein paar Spritzen ins Fußgelenk gegeben und es war wieder gut. Allerdings fing es zeitgleich an, im Oberschenkel weh zu tun. Wieder CT, angeblich Schleimbeutelentzündung in der Hüfte. Krankengymnastik fing an. Nun konnte sie auf einmal nicht mehr richtig gucken: Doppelbilder und Schwindelgefühle. Zwei Augenärzte diagnostizierten einen beginnenden grauen Star, vielleicht ein geplatztes Äderchen im Augapfel. Das geht von alleine wieder weg. Also gewartet... Nach vier Wochen noch immer keine Besserung. Sie erzählte dem Orthopäden davon und der veranlasste sofort ein MRT/CT vom Kopf. Hier dann am 11.03.14 das schockierende Ergebnis: Gehirntumor hinterm linken Auge, bereits 4cm groß. Drückt auf den Sehnerv. Einweisung ins KH zum Entfernen und gucken, ob der gut- oder bösartig ist. Zu diesem Zeitpunkt war ich - wie schon 1998 - noch sehr optimistisch und habe meiner Ma gut zugeredet (ist bestimmt gutartig, das UKE ist eine der besten Kliniken Deutschlands etc. pp). Sie hatte trotzdem Angst. Natürlich. Ich auch insgeheim, aber das wollte ich mir nicht eingestehen und ihr schon gar nicht zeigen.
Am 17.03.14 kam sie dann ins KH, nun mussten erst mal die blutverdünnenden Medikamente abgesetzt werden, damit sie nicht verblutet bei der OP. Während dieser Woche wurden weitere Untersuchungen gemacht... Am 25.03.14 sollte dann die OP gemacht werden, aber zu viele Notfälle oder was weiss ich, haben sie nicht drankommen lassen. Am 26.03.14 wurde sie erst mal von der OP-Liste genommen. Am 27.03.14 dann fand ein Arztgespräch statt: die Ergebnisse aller Untersuchungen lagen vor: Lungenkrebs mit starker Metastasierung ins Gehirn, in die Leber (6 Stück) und Nebenniere und vor allem ins Nervenwasser. Keine Aussicht auf Heilung. Chemo und Bestrahlung nur noch zur Verbesserung der Lebensqualität. Wir sollten uns Gedanken machen, ob wir das wollen. Mama wollte auf jeden Fall noch leben und die Chemo machen. Am 01.04.14 sollte dann das genaue Behandlungsschema besprochen werden. An diesem Tag habe ich auch das letzte Mal mit ihr sprechen können, sie wurde von Tag zu Tag schwächer und den Ärzten war dann klar, dass keine Behandlung mehr möglich ist. Sie kam am 02.04.14 auf die Palliativ-Station. An diesem Tag konnte sie nur noch mit Ja und Nein auf ganz einfache Fragen antworten, am 03.04.14 war die Sprache weg, nur noch ein Fingerdruck möglich. Am 04.04.14 auch das nicht mehr. Bis zum 06.04.14 hat sie noch gekämpft und verloren...

Mama, ich vermisse dich sooooooo ! Soooooo unbeschreiblich ! Die Zeit war so kurz für dich hier.
Die Sonne scheint, die Welt wird grün - und du bist nicht mehr hier. Du liebst die Natur, liebst Blumen und alles, was blüht. Ich jetzt auch - für dich.

Ich habe einen Partner - seit 9 Jahren. Aber er hat selber psychische Probleme (aufgrund seiner eigenen vermurksten Kindheit) und ist nicht belastbar. Ich musste mir schon nach drei Tagen von ihm anhören, dass es irgendwann auch gut sein muss und ich den für meine Mama eingerichteten Schrank mit Bildern etc. ja nicht ewig so haben kann. Er ist zwar einerseits für mich da und nimmt mich in den Arm; aber dadurch, dass er so sehr mit sich selber beschäftigt ist - was er nie zugeben würde - kann er mir nicht die Stütze sein, die ich bräuchte. Deswegen bin ich sehr sehr froh, dieses Forum gefunden zu haben.

Ich habe auch einige gute Freunde, die mir sehr zur Seite stehen. Aber sie sind nicht meine Mama, die ich jeden Tag angerufen habe, der ich (fast) alles erzählt habe und die mich IMMER verstanden hat. Die auch fast immer meiner Meinung war. Die einfach meine Stütze war. Und ich ihre.
Es liegt ja auch in der Natur der Sache, dass Freunde nicht so das Interesse an dem eigenen Leben haben/zeigen, wie es eine Mama tut; denn ich bin ihr Leben gewesen und sie meins. Ihr "Ein und Alles", das haben mir ihre Freunde alle schon gesagt *weinganzdoll*
Und aus diesem Grund hat sie mit mir auch in den letzten zwei Wochen ihres Lebens hier nicht offen über das ihr bewusste Ende gesprochen: sie hat mich immer geschont und alles Schlechte/Belastende von mir fern gehalten. Sie wusste, dass sie sterben wird. Hat es mir aber nicht gesagt. Und ich bin, weil ich wirklich so optimistisch gedacht habe, nicht auf die Idee gekommen, dass es so schnell so weit ist.

Ich glaub ganz fest daran, dass wir unsere Lieben alle wieder sehen werden, wenn wir erst mal auf die Andere Seite wechseln. Aber bis dahin muss ich doch das Leben hier nun alleine ohne Ma meistern. Und wenn ich ein bisschen Glück habe, ist das auch noch lange so. Aber trotzdem kann ich es mir nicht vorstellen ohne sie.

In unbeschreiblicher Traurigkeit. Wobei man mir das nicht ansieht - vor den anderen Menschen kann ich recht gefasst agieren. Außer beim Pfarrer, als wir die Trauerfeier besprochen haben. Und bei der Trauerfeier selber heute... Das war so hart.

Sorry, dass es so viel Text geworden ist... Vielleicht liest es ja Jemand uns schreibt seine Gedanken dazu oder sowas...


Seehase
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