Mein kleiner Engel

[Pflegefrau]

Meine Kleine!

"Wir sehen uns wieder in dem Land hinter'm Wind,..."

Dieses Lied hörte ich heute mittag im Radio, als ich die Küche aufräumte. Ich setzte mich hin, hörte zu und meine Tränen liefen mir über die Wangen. Wir sehen uns wieder, daran glaube ich ganz fest! Aber diese Sehnsucht, wie halte ich sie bloß aus?
Dann denke ich, ich habe mein Leben wieder in den Griff, dann höre ich so ein Lied und bin wieder total unten! Hört diese Achterbahnfahrt denn nie auf? Ach Karin, es ist alles so leblos ohne Dich, so freudlos und hoffnungslos! Oder liegt es an mir, dass ich mich so recht an nichts mehr erfreuen kann? Natürlich bin ich sehr stolz auf Deinen Bruder, dem Du bei seiner Magisterarbeit sicherlich beigestanden hast, ich bin so glücklich, dass er auch gleich einen Job gefunden hat, auch sicherlich mit Deiner Unterstützung! Ich bin ja auch dankbar für unsere Familie, für unsere Gesundheit, aber Lebensfreude, Glück, nein, dieses verspüre ich nicht richtig.

Und immer bei Entscheidungen frage ich Dich, was Du machen würdest, so habe ich es früher auch immer gemacht. Ich weiß, ich habe Dir eine große Freude gemacht, als ich mir nun einen Roller gekauft habe, meinen Traum seit 15 Jahre habe ich mir erfüllt! Du würdest sagen, warum nicht schon früher, träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum! Recht hast Du, ich weiß. Ich bin ja auch stolz darauf, dass ich mir diesen Traum erfüllt habe, aber diese übergroße Freude daran fehlt irgendwie! Es ist eben alles so anders.
Meine Kleine, nun bist Du schon bald 2 Jahre nicht mehr bei uns, aber Du bist mir trotzdem so nah. Ich bin mir ganz sicher, dass Du uns immer gut beschützt und bestens informiert bist, was wir hier unten so machen. Aber warum gibst Du mir nicht mal ein Zeichen das es Dir wirklich gut geht? Ich warte schon so lange darauf oder sehe ich sie einfach nicht? Waren es vielleicht die wunderschönen Schmetterlinge, die mich diesen Sommer plötzlich an Dich denken ließen? Mir sind noch nie soviele Schmetterlinge aufgefallen, und wenn ich nun Schmetterlinge sehe, denke ich sofort an Dich!

Diese dunkle, trübe Jahreszeit mag ich überhaupt nicht und ich habe wieder solche Angst vor Weihnachten! Weil Du fehlst in unserer Mitte, es tut so weh! Aber Du wirst wieder einen Teil unseres Weihnachtsbaumes auf Dein Grab bekommen mit einer Krippe drauf, so wie im letzten Jahr auch.

Mein Mädchen, ich werde niemals begreifen, warum Du nicht mehr uns sein darfst! Aber ich habe begriffen, dass Deine Krankheit Dir jede Lebensqualität nahm, habe Dir niemals ein Siechtum gewünscht, und somit mußte ich einsehen, dass der Tod Deine Erlösung war und für uns mit dem Abschied diese endlose Sehnsucht und der Schmerz des Vermissens begann.
Diese Sehnsucht gehört fortan zu mir bis wir uns wiedersehen im Land hinter dem Wind!

Mein Kind, ich liebe Dich so sehr, vermisse Dich überall und werde Dich niemals vergessen!

Deine Mama

[Pflegefrau]

Meine Kleine!

Gestern vor 2 Jahren hast Du Deine Reise ohne Wiederkehr angetreten! Mir kommt es oft so vor als sei es erst gestern gewesen.
Zwei Jahre ohne Dich an meiner Seite, eine lange Zeit mit soviel Schmerz und Sehnsucht. Wenn es auch heißt, die Zeit heilt die Wunden, mußte ich aber feststellen, das dem nicht so ist! Die Zeit läßt wohl den Schmerz lebbarer werden, aber die Wunden, diese tun immer noch so weh. Und meine Sehnsucht wird immer stärker je mehr Zeit vergeht!
Meine Kleine, seit Wochen hatte ich solche Angst vor dem Jahrestag und habe auch Angst vor Weihnachten. Ich schlafe wieder so schlecht, genau wie zu Deiner schlimmen Krankenzeit. War es ein Zufall, dass ich am Sonntagmorgen wieder nicht einschlafen konnte und zufällig auf den Wecker schaute, als dieser Deine Todeszeit anzeigte? Oder war es ein Zeichen von Dir? Ich ließ dann Deine letzte Woche und ganz besonders die Nachtwache mit Deinem Bruder an Deinem Sterbebett Revue passieren, Kopfkino wie so oft. Ich bin so dankbar, dass ich in Deiner Sterbestunde bei Dir sein durfte, dass ich Dich halten durfte. Und dann das erste Jahr ohne Dich, einfach unbeschreiblich, ein Chaos der Gefühle, eine ständige Achterbahnfahrt!
Ich weiß nicht warum, aber irgendwann konnte ich Dein und mein Schicksal annehmen, ich hatte ja lange angesehen, dass Du einfach keine Lebensqualität mehr hattest. Ich glaube ganz fest daran, dass es Dir sehr gut da wo Du jetzt bist, ich glaube ganz fest daran, dass wir uns irgendwann wiedersehen im Land hinterm Wind. Aber bis dahin werde ich Dich immer lieben, stets vermissen und niemals vergessen! Ich weiß auch, dass Du mich wieder glücklich sehen willst, aber was bedeutet heute Glück für mich? Glück kann ich nicht mehr empfinden, aber ich bin zufrieden und dankbar. Zufrieden, weil ich mein neues Leben angepackt habe und denke, ich bin auf dem richtigen Weg, dankbar für meine Gesundheit, die doch sehr angegriffen war durch den ganzen Schmerz und die Trauer, die jahrelange psychische Belastung, die ich für mich alleine aushalten mußte. Du hast mir versprochen, immer gut auf mich, auf uns aufzupassen. Du wirst Dein Wort halten, Du hast es immer getan. Du bist immer bei uns in unseren Gedanken, immer in unserer Mitte. Ich danke Dir, dass Du Deinem Bruder so beigestanden hast bei seiner Examensarbeit und bei der Jobsuche, das hast Du so toll gemacht. Auf Dich ist eben Verlass! Ich könnte wieder nach dem WARUM fragen, aber ich tue es nicht, weil ich niemals eine Antwort bekommen werde.
Am Mittwoch, Deinem Sterbedatum, werde ich Dein Grab schmücken mit einem Zweig unseres Weihnachtsbaumes und einer kleinen Krippe. Und Deine Lieblingsrosen bekommst Du auch. Weißt Du, ich wäre froh, wenn das Weihnachten schon vorrüber wäre, es ist so traurig ohne Dich.
Ich werde Dich immer lieben, stets vermissen, aber niemals vergessen.

Machs gut, mein Engel, ich liebe Dich!
Deine traurige Mama