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  #1  
Alt 18.08.2010, 18:56
moonchild moonchild ist offline
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Registriert seit: 24.06.2010
Ort: Berlin
Beiträge: 7
Standard in der Nacht

...nun bin auch ich im Forum für Hinterbliebene angekommen.

In der Nacht vom letzten Freitag, dem 13. zu Samstag dem 14. August 2010 ist mein Vater gestorben.

Seit 10 Tagen war er aus dem Krankenhaus entlassen und wieder zuhause (denn das wollte er unbedingt - nach Hause zurück).

Es haben dann immer entweder seine neue Frau oder ich unten bei ihm auf dem Sofa geschlafen, denn sein Pflegebett stand in ihrem Haus im Wohnzimmer.


Am Freitag Abend war ich noch hier im Chat und saß am Wohnzimmertisch. Er hat tief geschlafen, weil er viele Medikamente bekommen hatte. Ich habe mich dann irgendwann auch hingelegt und etwa eine halbe Stunde geschlafen. Gegen 00:00 Uhr bin ich aufgewacht, weil er husten musste.

Er hat wieder mehr Blut gespuckt, wie auch in der Nacht davor schon.

Ich habe ihm dann Tavor gegeben, weil er das mit dem Blut spucken sehr beängstigend fand.

Er lag da und war völlig mit sich beschäftigt, hatte die Augen zu und ich musste ganz nah an ihn rangehen, um ihn zu fragen, ob er die Tablette nehmen möchte, was er dann gemacht hat.

Dann saß ich einfach da und habe sein Hand gehalten. Ich habe in den dunklen Garten geguckt und gedacht dass der Tod noch nie so nah war, wie jetzt. Ich darüber nachgedacht, wieso Tiere so viel einfacher sterben können als Menschen und gedacht dass es an dem Festhalten am Leben und den ganzen Vorstellungen, die man als Mensch so hat liegen muss.

Ich wollte dann etwas zu meinem Vater sagen, war mir aber nicht sicher, ob er es nicht zu früh, oder falsch oder sowas fände.

Dann habe ich es doch gesagt und mich dabei ziemlich erschreckt, vielleicht, weil ich es wirklich ernst gemeint habe.

Ich habe zu ihm gesagt: "Es ist in Ordnung, wenn Du gehst".

Als ich das gesagt habe, hat er seine Augen aufgemacht und mich direkt angeguckt, ich wusste dass er mich ganz klar verstanden hat, obwohl ich noch nichtmal laut gesprochen hatte und er eigentlich nur noch sehr schwer ansprechbar war.

Dann war er wieder weg und ich saß weiter da und habe seine Hand gehalten.

Ich dachte, dass er es jetzt noch nicht schaffen wird zu sterben. Er war körperlich zwar sehr krank, aber eigentlich noch nicht so weit, dass irgendwer seinen Tod jetzt erwartet hätte (der palliative Homecare Arzt und die Mitarbeiter vom palliativen Pflegedienst waren am nächsten Tag auch sehr überrascht).

Es war der Zeitpunkt, wo nach meinem Empfinden das Leiden angefangen hätte, von dem mein Vater davor oft gesagt hat, dass er es nicht wollte. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag war Inkontinenz das erste Mal ein Problem, er hat dort auch angefangen mehr Blut zu spucken und sein geistiger Zustand wurde auch immer schlechter.

Irgendwann habe ich mich wieder aufs Sofa gelegt.

Um 2:00 Uhr wurde ich nochmal wach, weil er leicht gehustet hat.

Dann um kurz nach 03:00 bin ich schlagartig aufgewacht. Ich habe zu seinem Bett geguckt und er lag da einfach. Ich bin aufgestanden habe mich erst nicht getraut irgendwas zu machen, weil ich es einfach nicht glauben konnte.

Ich hatte mir davor ja die ganzen Gedanken gemacht und das zu ihm gesagt, aber auch gedacht, dass er es sicher nicht schaffen wird jetzt zu sterben.

Irgendwann habe ich ihn dann doch angefasst und er war wirklich tot.

Ich habe keine Panik bekommen, oder angefangen zu weinen, sondern konnte es einfach nicht glauben. Ich stand dort, es war immer noch Nacht. Dann habe ich die Tür zum Garten weit aufgemacht und bin auch rausgegangen.

Nach einer Weile bin ich nach oben gegangen und habe seine Frau geweckt und geholt, die es auch nicht glauben konnte.

Ich habe dann fast den ganzen Tag dort in seiner Nähe verbracht, darauf geachtet wie er sich verändert und anfühlt und wie ich das empfinde. Ich bin auch immer wieder raus in den Garten gegangen.

Ich kann nicht sagen, dass ich vor allem traurig war - ich war eher erstaunt über das Wunder dieser Nacht - dass er es geschafft hat, sich das was er für sich nicht wollte zu ersparen und über meine Gedanken und dass sie dann tatsächlich wahr geworden sind.

Irgendwann kamen die Bestatter und haben ihn abgeholt und auch das habe ich mir angeguckt.

Jetzt bin ich wieder in Berlin bei mir zuhause hatte schon etwas Zeit nachzudenken.

Ich bin natürlich traurig und sehr müde. Im Grunde genommen überwiegt aber weiterhin die Freude darüber, dass er es auf diese Weise geschafft hat.

Ich habe auch viel darüber nachgedacht, wieso ich nicht aufgewacht bin. In den anderen Nächten war ich jedesmal sofort wach, wenn etwas war - er musste mich kein einziges Mal wecken.

Wenn ich daran denke, wie mein Vater war (und ich bin ihm sehr ähnlich), dann denke ich dass er so einen Moment sicher alleine durchmachen wollte.

Nicht als schrecklichen Moment des Leidens, sondern einfach als etwas ganz Intensives, das man für sich erlebt. Ganz sicher ist da jeder Mensch anders, aber ich denke dass er es so empfunden haben wird.

Außerdem weiß ich nicht, ob ich dieses Loslassen von mir (denn was ich davor zu ihm gesagt habe, habe ich aus tiefstem Herzen so gemeint), auch im konkreten Moment so völlig hätte meinen können und ob dann nicht doch das Kind in mir in den Vordergrund gekommen wäre, das einfach will, dass er da bleibt.

Vorhin habe ich mich sehr schlecht gefühlt und wieder geschlafen, momentan könnte ich dauernd schlafen, aber es gibt so viel zu regeln.

Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht und werde wohl erstmal einen Spaziergang machen.
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  #2  
Alt 18.08.2010, 19:17
gela 77 gela 77 ist offline
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Registriert seit: 18.11.2009
Ort: Hamburg
Beiträge: 1.626
Standard AW: in der Nacht

Liebe moonchild,

ersteinmal mein aufrichtiges Beileid.
Danke,das du geschrieben hast.Es hat mir gezeigt,das die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt so verdammt wichtig sind.
Danke,das du mich an deinem Erlebnis hast teil haben lassen.
Danke,denn ich bin auch Tochter.
Ich wünsche dir alles erdenklich Gute,gela
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  #3  
Alt 18.08.2010, 20:46
huntress huntress ist offline
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Registriert seit: 16.08.2010
Ort: Braunschweig
Beiträge: 4
Standard AW: in der Nacht

Auch von mir mein aufrichtiges Beileid... Meine Mama ist am 12 August eingeschlafen, und ich denke auch inzwischen das die Sterbenden es uns einfacher und leichter machen möchten indem sie alleine gehen.. Meine Mutter hat mit Sicherheit auch gedacht das wir es nicht so einfach schaffen würden Sie loszulassen.... Obwohl ich sagen muss wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich Ihr auch eine gute Reise gewünscht und das Sie ruhig gehen kann wenn Sie möchte...... Wir haben es einfach nicht gemerkt das die letzte Phase schon gekommen war, zumal Sie sich auch 2 Tage vorher wieder aufgerappelt hatte, also normal mit am Frühstückstisch Kaffee getrunken und was gegessen...
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  #4  
Alt 18.08.2010, 22:19
Siebenschlaefer Siebenschlaefer ist offline
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Registriert seit: 11.08.2010
Ort: Berlin
Beiträge: 47
Beitrag AW: in der Nacht

Auch von mir mein herzliches Beileid!

Ich bewundere Dich, für Deine Kraft und den Mut, deinen Vater gehen zu lassen und ihm das auch zu sagen! Ich war leider nicht so stark, wollte meine Mami nicht gehen lassen und habe gefleht, dass sie bei mir bleibt! Jetzt besuche ich sie zweimal am Tag am Grab und kann sie immer noch nicht loslassen!

Sei stark und ich wünsche Dir viel Kraft!

Alles Liebe
__________________
Katrin
_______________________________
Mami, in meinem Herzen wirst du immer weiter leben
*19.07.1943 +24.07.2010
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  #5  
Alt 19.08.2010, 13:42
monika100 monika100 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 14.10.2009
Beiträge: 1.792
Standard AW: in der Nacht

Hallo moonchild,

dein Beitrag ist soo traurig - und doch auch soo stark!!
Das hast du gut gemacht!

Mein herzliches Beileid - und nimm dir nun die Ruhe, die du brauchst, um wieder auf die Beine zu kommen.


Herzlichst,
Monika
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