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Alt 29.06.2014, 20:13
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LSN LSN ist offline
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Standard Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

"Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus"

Vor nun schon fast zwei Monaten musste mein Papi mich zurücklassen. Es ist noch immer so unbegreiflich.

Er hatte Lungenkrebs. Eine ganz unfaire Sache - nie geraucht, jeden zweiten Tag mit mir joggen gegangen, gesund ernährt. Aber man ist wohl nie gefeit. Er wäre 55 geworden, ich bin frisch 22 Jahre alt. Ich war immer seine kleine Prinzessin, ich durfte in einer Märchenfamilie leben - gefüllt mit Liebe, ohne jegliche Sorgen, Streit oder Probleme. Und nun steht man da, halb mitgestorben, völlig leer.

Ich lebe eineinhalb Stunden von meiner Familie entfernt. In Berlin, studiere Medizin, wohne mit meinem Freund zusammen. Wir hatten bis dato 3 Jahre erfolgreich gegen den Krebs gekämpft. Es war die intensivste Zeit mit meiner Familie - sowohl voller Lachen, als auch voller Tränen. Immer die besten Ärzte um uns gehabt und die neuesten Medikamente. Wir waren so zuversichtlich. Im Januar dann die Hirnmetastasen. Bestrahlung - wenige Wochen später schon nichts mehr nachzuweisen. Wieder voller Stolz. CT. Neue Lebermetastasen. Neue Chemo angesetzt, zu der es leider nie mehr kommen sollte. Blutwerte wurden zusehens schlechter. Irgendwann wurde aus meinem starken Held ein bettlägeriger Mann, der so am Leben hing und unbändige Angst hat Mama und mich zurückzulassen. 3 Tage musste er so im Pflegebett verbringen, dann kamen die Erstickungsanfälle und die Palliativärztin hat es bei uns Zuhause nicht mehr geschafft. Ich kam abends aus der Uni. Unzählige unbeantwortete Anrufe von Mami auf dem Handy. "Motte, komm nach Hause, Papa schafft die Nacht nicht." Mein Freund und ich waren ganz ruhig, haben alle Sachen gepackt, sind direkt ins Krankenhaus. Papa wollte reden, konnte nicht mehr. Morphium stellte ihn nach und nach ruhiger. Ich verbrachte die Nacht bis kurz nach 4 neben ihm in seinem Krankenbett. Dann sind wir nach Hause. Duschen. Eine Stunde Schlaf. Wieder den ganzen Tag ins Krankenhaus. Papa drückte meine Hand. Das aller letzte Mal. Als wir abends wieder gingen, riss er seine glasigen Augen auf. Das aller letzte Mal. "Solange Sie und ihre Mama bei ihm sind, geht er nicht. Er kann Sie nicht allein lassen." sagte die Ärztin leise.

Mama und ich saßen Zuhause. Schweigend und starrend auf das Telefon. Am 2. Mai um 22.38Uhr klingelte es. "Ihr Mann ist eingeschlafen."

Stille.

Schreien vor Weinen.

Fassungslosigkeit.

Wir fuhren zu um 00 Uhr ins Krankenhaus.

Zimmer 9. Er lag da. Ganz friedlich. Die Hände gefaltet. Mit der Rose, die wir ihm mitbrachten. Dafür war sie doch gar nicht gedacht.

Mama konnte den Anblick nur eine Stunde ertragen. Ich saß bei ihm die ganze Nacht. Habe gespürt wie er nach und nach immer kälter wurde. Habe gespürt wie das Leben seinen Körper verlässt.

Morgens kam der Arzt rein, nahm mich sanft aber bestimmend an die Hand und entriss mich meinem Papa. Ich würde noch heute dort sitzen und ihn anstarren. Hauptsache ihn nicht verlassen.

Die Tür ist einfach zugefallen. Für immer. Und es ist nicht nur mein Papa, der gegangen ist. Sondern auch mein Glaube, dass man das bekommt, was man verdient. Meine Unbeschwertheit. Mein Kindsein.

Ich stecke mitten im Physikum. Weiß nicht woher ich die Kraft noch nehmen soll. Zudem hat meine beste Freundin vor wenigen Tagen die Diagnose MS bekommen - sie bekam als Prognose 15-20 Jahre. Hört es denn nie mehr auf? Das hat doch mit Schicksal nichts mehr zu tun.

Hätte ich die Kraft, würde ich den ganzen Tag schreien wollen. Aber es reicht nur für allabendliches Weinen. Meine Sehnsucht nach ihm ist unsagbar. Aber vor allem meine Liebe zu ihm.

Ich glaube an sowas nicht, aber ich hoffe er hilft mir irgendwie. Um wieder stark zu sein, um weiterzumachen.

Warum?

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