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  #1  
Alt 20.01.2014, 03:00
Sonnenkind1986 Sonnenkind1986 ist offline
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Beitrag Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Hallo liebe Forum-Nutzer, liebe Hinterbliebene,

ich suche speziell den Erfahrungsaustausch mit anderen jungen Erwachsenen, die einen Elternteil verloren haben. Ich meine damit insbesondere diejenigen, die noch keine eigene Familie gegründet haben, wahrscheinlich zwischen 20 und 30 Jahre alt.
Natürlich freue ich mich auch über Antworten von denjenigen, die über 30 sind und selbst Familie haben und gerne ihre Erfahrungen in diesem Beitrag teilen möchten.

Der Begriff Waise oder Halbwaise wird per gesetzlicher Definition nur noch bis zum Jugendalter verwendet, im Erwachsenenalter nicht mehr. Dennoch erhält man, sofern man Student ist, bis zum 27. Lebensjahr eine (Halb-)Waisenrente, von daher lässt sich der Begriff doch noch etwas ausgedehnter verwenden - es geht mir jedoch nicht um den Begriff.

Per Gesetzt schon erwachsen aber durch das Nicht-haben einer eigenen Familie immer noch mehr Kind als Erwachsener geblieben, ob von Zuhause ausgezogen oder nicht. Ich möchte gerne erfahren, wie andere junge Menschen den Verlust eines Elternteils erlebt haben und welche Auswirkungen das bisher auf ihr Weiterleben hatte.

- Wen habt ihr verloren (Vater oder Mutter)? Wie alt wart ihr zu dem Zeitpunkt? Wie lange dauerte die Krebserkrankung?
- Wie habt ihr die Zeit der Trauer durchlebt bzw. durchlebt sie noch?
- Welchen Einfluss hat der Verlust des Elternteils auf euren Alltag?
- Wie ging es für euch weiter im Job / Studium?
- Umfeld: Findet ihr viel Verständnis und Trost in eurem Freundeskreis? Fühlt ihr euch verstanden?
- Habt ihr eine große oder kleine Familie (Einzelkind)?
- Hat sich der Verlust bei euch körperlich geäußert (z.B. Schlafstörungen, Schmerzen, Unruhe, Krankheiten, was auch immer)
- Inwiefern habt ihr euch danach verändert?
- Inwiefern hat sich eure Lebenseinstellung / Lebensanschauung verändert?
- Was hat euch in den Zeiten der Trauer besonders gut getan und was ging überhaupt nicht?
- Was hat die schwere Zeit vor dem Tod - die Krebserkrankung - in euch verursacht, in euch verändert?
- Glaubt ihr an ein weiterleben nach dem irdischen?


Ich weiß, das sind viele Fragen und man kann sicher viel dazu schreiben, deswegen bin ich umso mehr dankbar für Antworten!
Ich mache natürlich gerne den Anfang und teile meine Geschichte.

Ich habe am 4.03.2013 meinen Vater an Bauchspeicheldrüsenkrebs verloren. Er war 57 Jahre alt, ich 26 und sein einziges Kind, einzige Tochter.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein Studium beendet, ins Berufsleben eingestiegen und bin gerade dabei gewesen, auszuziehen. Da ich aber die 26 Jahre immer mit meinen Eltern gelebt habe (zumindest im gleichen Haus) und sonst keine Geschwister / Familie hier habe, waren meine Eltern immer für mich mein ein und alles.
Nach einundhalb Jahren seit Diagnose ist mein Papa in meiner Anwesenheit gestorben, sehr qualvoll. Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen.
Ich habe meine Kraft in den 1,5 Jahren seit Diagnose ausschließlich für kämpfen, hoffen und positiv denken aufgebraucht. Die Lage war von Anfang an aussichtslos, aber auch mein Vater wollte kämpfen, also zog ich erst recht mit. Als er starb, war es so, als sei ein sehr großer Teil von mir mit ihm mitgestorben. Der Teil, der Lebensfreude und Energie enthält.
Nach seinem Fortgang litt ich monatelang, bis heute noch zum Teil vorhanden, an extremen Erschöpfungszuständen und Überforderung durch die kleinsten alltäglichen Aufgaben. Schlafstörungen, Haarausfall, Kopfschmerzen.
Die Sehnsucht nach ihm und das Bedürfnis zu erfahren, was mit ihm passiert ist und wie es ihm geht, schienen mich regelrecht zu zerreißen. Der Schmerz übertönte alles. Ich habe monatelang einfach alles schleifen lassen und nichts machen können. Für mich hatte fast alles an Bedeutung und Wichtigkeit verloren, nichts schien mehr weder schön noch schlimm zu sein.
In Gedanken ging ich den Krankheitsverlauf immer und immer wieder durch und machte mir Vorwürfe, was man hätte noch alles probieren und tun können. Ich komme bis heute nicht mit der Tatsache klar, dieser Situation so machtlos und hilflos ausgeliefert gewesen zu sein, von vornherein ohne Chance. Ich denke, dass auch dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht mich so lange wie gelähmt hat. Die Bilder der Sterbeszenen meines Vaters verfolgen mich bis heute. Ich möchte keine Details beschreiben, aber es war ein Horror-Szenario, das mich immer wieder heimsucht.
Von meinen Freunden, alle mehr oder weniger in meinem Alter, habe ich viel Mitgefühl und Hilfe erhalten. Dennoch hatte niemand von ihnen bisher einen nahen Verwandten verloren (zum Glück!) und das merkte ich auch schnell. Ich hatte stets das Gefühl unverstanden zu sein und durfte mir nicht selten auch ziemlich blöde (gut gemeinte) Ratschläge anhören, die nie von Menschen kommen würden, die das selbst schonmal durchlebt haben. Ich habe mich zwischenzeitlich sehr isoliert und verkrochen. Und auch jetzt, 10 Monate später, habe ich immer noch Schwierigkeiten mich über irgendetwas zu freuen oder mich für etwas zu begeistern.
Ich selbst bin in der Wirtschaftsbranche tätig gewesen und habe schnell festgestellt, wie emotionslos und aufgesetzt das Arbeitsleben dort stattfindet und das vor allem nur eines zählt: Leistung. Nochmal Leistung, und noch mehr Leistung. Dann bitte schnelle Erfolge, und Überstunden sind doch selbstverständlich. Pünktlich nach Hause zu gehen ist schon schräg, und krank sein, das geht schonmal gar nicht. Persönliche Probleme bleiben Zuhause aber die soll es sowieso generell nicht geben! Unsere Gesellschaft hat sich in extremster Weise zu einer Leistungsgesellschaft entwickelt, in der das Privatleben keinen Platz mehr hat. Vor allem bei jungen Menschen wird desöfteren eine 70-h-Woche als normal betrachtet. Ich war nicht bereit, weiter daran teilzuhaben, abgesehen davon, dass ich mental und körperlich auch nicht mehr dazu in der Lage war. Ich war nicht bereit, mich zu verstellen und an diesem Wahnsinn dran teilzuhaben, gelangte ich doch zu dem schmerzlichen Wissen, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Plötzlich verstand ich die Bedeutung von dem Satz "Das Leben in kurz" wahrhaftig.

Die "ersten" Ereignisse waren wie bestimmt bei jedem Verlust besonders schmerzhaft. Erster Geburtstag, erstes Weihnachten, etc. Dies wurde sehr durch die Tatsache bestärkt, dass ich sonst außer meiner Mutter und Tante keine Familie hier habe und man zu diesen Festen einfach den Halt einer großen Familie nicht spüren konnte.
Die Zeit scheint schneller zu vergehen als sie es je getan hat. Es ist, als sei es 10 Wochen her und noch immer ist es nicht ganz begreifbar, was da überhaupt geschehen ist.
Mein Vater war eine sehr starke Person und der "Fels in der Brandung". Auf ihn konnte man sich immer verlassen und er hat alles für meine Mutter und mich getan. Mit ihm war alles einfach sicher. Durch seinen Tod ist gleichzeitig die Sicherheit des Familiendaseins weggefallen. Ich bin in den nächsten paar Jahren soweit selbst zu heiraten und Kinder zu bekommen, und das alles wird er nicht mehr miterleben, das bricht mir das Herz.
Ich selbst habe vorher an kein Weiterleben nach dem Tod geglaubt, habe mich aber für das Thema geöffnet und mich mit Nahtodberichten aus aller Welt auseinandergesetzt. Zweifel bleiben, dennoch spendet es mir Trost und Hoffnung, dass es meinem Vater jetzt gut geht und dass wir uns doch noch eines Tages wiedersehen.
Aber gegen das Vermissen? Dagegen habe ich bisher noch keinen Trost oder Milderung gefunden...


Ich freue mich über weitere Erfahrungsberichte und danke herzlich im Voraus.

Liebe Grüße
XXX
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  #2  
Alt 20.01.2014, 14:25
Kessy86 Kessy86 ist offline
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Standard AW: Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Hallo Sonnenkind,

ja das war du beschreibst kenne ich nur zu Gut.
Mein Vater ist am 05.03.2013 verstorben, also einen Tag nach deinem Papa.

Vieles was du schreibst habe ich auch so Gefühlt und in meinem Freundeskreis habe ich viele liebe Menschen die mich Unterstützen aber niemand von ihnen hat ähnliche Erfahrungen gemacht (zum Glück!) und so suche ich oft vergeblich nach einem Ansprechpartner, der mich richtig versteht.

Ich muss dazu sagen ich habe meine Mama auch schon verloren, allerdings ist das schon bald 10 Jahre (unglaublich ) her und ich habe schon einmal das alles "mit"gemacht und weiß wie schwer und hart das alles ist allerdings war ich damals viel jünger und man kann das irgendwie nicht miteinander vergleichen.

Ich kenne auch diese Gedanken die du beschreibst, das dein Dad nicht mehr an deiner Hochzeit teilnehmen geschweige den eines Tages mal Opa wird, diese Gedanken tuen sehr weh und auch ich weiß wie leer und ernüchtern diese Gedanken seien können. Es ist nicht einfach und es wird immer wieder Momente und Situtationen geben, wo es wieder kommt dieses Leere und Traurige Gefühl und vorallem dieses vermissen....

Liebe Grüße
Kessy

Geändert von Kessy86 (20.01.2014 um 14:27 Uhr)
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  #3  
Alt 20.01.2014, 14:43
LilSpooky LilSpooky ist offline
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Beiträge: 18
Standard AW: Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Hallo Sonnenkind,

ich hab erst seit genau 2 Wochen meine Mutter (66 Jahre) an dieser Krankheit 'verloren'. Ich selbst bin 26 Jahre alt und werde im Sommer 27...
viele deiner Fragen kann ich so direkt noch nicht beantworten, da ich ja irgendwie noch mittendrin in der Trauerbewältigung.. daher kann ich weder sagen, wie ich alles bisher bewältigt habe, noch werde.... dazu sind 14 Tage einfach zu kurz um was in dieser Richtung zu sagen.
aber dennoch versuche ich neben meiner persönlichen Anteilnahme an deinem Verlust, doch einiges bisherige mitzuteilen, die deiner Situation ähneln...

Zunächst dadurch dass wir vor ca 3 Jahren all die schrecklichen informationen bekommen haben, dass meine Mutter gar zwei Formen von Krebs hat (Rippenfell und Hautkrebs bzw Metastasierung nach einer vor 10 Jährigen Entfernung eines maligne Melanom, damals war ich gerade mal 16 Jahre) und beides nicht wirklich heilbar war, sondern alle Chancen nur der Lebensverlängerung dienten, wurde uns schon schnell bewusst, das man irgendwie die Zeit, die man hatte nutzt, oder gerade viele Dinge meiner Mutter gegenüber schönes noch ermöglicht.
D.h. vieles der Verlustfragen und wie werden die Dinge danach, habe ich mich schon während den Jahren ab und an mal gefragt...
Ich bin sogar während der Krankheitsbewältigung meiner Mutter noch nach Wien für 2 Jahre (4 Semester) um dort zu studieren...denn meine Mutter wollte auch bewusst nicht, dass ich meine Zukunftsmöglichkeiten wegen des Krebses und ihrer Gesundheit aufs Spiel setze... und ehrlich gesagt, glaub ich tat es bei uns ganz gut...denn meine Mutter und ich hatten öfters unsre 'Mutter/Tochter-Konflikte, wenn ich zu lange zu Hause war...aber durch die Entfernung war ich ihr in Rat zumindest oft näher und naja Ferien und andre freie Tage nutzte ich natürlich um zu Hause zu sein.... zudem war es laut meiner Mutter immer wieder ein ansporn für sie lange diese Krankheit durchzuhalten... und naja ein halbes Jahr hatten wir uns ja dann noch wieder ganz..da ich wieder zurück nach Hause ging, um dort in der nähe zu studieren...
mein Studium lief ganz normal und ehrlich gesagt hat es für mich persönlich und auch innerhalb der Krankheitsbewältigung eher geholfen...aber mein Studium der Theologie befasst sich auch mit so Fragen des Leids und Todes...dadurch hatte ich gar Dozenten und auch immer noch, die mir zur seite stehen in der jetzigen Trauersituation, aber eben auch Rat gaben für die Zeit...
dennoch bin ich im Moment was Konzentration angeht eher low... brauche für vieles eher etwas länger als sonst.... aber viele haben hier eben ein sehr hohes Verständnis der Dinge, daher mache ich mir meines Studiums wegen kaum gedanken...zudem werde ich 'für meine Mutter' mich mehr um die Medizinethik und Pflegeethik nun kümmern... denn das was ich mitbekam hat mich oft stutzig gemacht und mich der frage der verbesserung beschäftigt...(für Medizin selbst bin ich zu schlecht^^)
Aber es geht mir auch besser als gedacht...bin auch oft schon wieder am lachen und am rumalbern mit Freunden...denn meine
Freunde haben auch ein riesen verständnis im moment... bin echt froh sie zu haben.... zumindest die nahestehenden und alles davon mitbekommen haben...(nicht jeder Bekannte wusste von der Situation bei mir zu Hause, da meine Mutter da auch eher unoffen war)..dadurch fühlt man sich frei die Gefühle zu zulassen (von lachen bis weinen)


Meine Familie ist schon eher eine kleinere Familie... von väterlicher Seite gibt es zwar Onkels und Tanten und dadurch einen Cousin..
und ich hab eine Halbschwester mütterlicher Seite... durch die Situation rücken wir (Meine Schwester und ich) wieder etwas enger...aber möglich das es nach 1-2 Jahren wieder etwas abflacht, da wir auch einen großen altersunterschied haben...aber dennoch bin ich froh, dass ich meine Familie so habe...


Bzgl der Trauer habe ich glaub einige Schlafstörungen... denn so gut schlaf ich seit der Zeit eher nicht und da wir am Totestag um halb 3 in der Nacht vom Krankenhaus angerufen worden sind, dass wir kommen sollten und wir (Schwester+ Mann, mein Vater und ich) dort dann die halbe Nacht und den Vormittag gewartet haben, bis meine Mutter dann eingeschlafen ist bzw. den letzten Atemzug gemacht hat... ist mir das immer noch im Kopf und eben besonders am Abend bzw in der Nacht

An ein Leben nach dem Tod glaube ich schon, zumal ich meine Mutter irgendwie auch noch wahrnehme..aber wie und was das ist...dazu sagt die Theologie einiges... aber es mir noch zu früh meiner wenigen Erfahrung und Durchdenkens der Frage, sodass ich noch keine komplette Meinung dazu habe... dennoch hoffe ich eben für meine Mutter, dass sie nun an einem Ort oder in einem Zustand ist, in dem sich sich wohlfühlt und das man sich irgendwann mal wieder sieht ....


Sodele....ich hab nun viel und auch eher in Gedankenfetzen auf deine Fragen geantwortet....vielleicht hilft dir es...
ich wünsch dir noch alles gute bei deiner Trauerbewältigung und auch auseinandersetzung deiner Fragen..
wenn ich in einiger Zeit mehr in Erfahrung gebracht habe, wie ich mit meiner Trauer umgehe und was noch so passiert, melde ich mich...



LG LilSpooky
__________________
Mama - 10.9.1947 - 6.1.2014
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  #4  
Alt 20.01.2014, 19:57
a_nna a_nna ist offline
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Standard AW: Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Zitat:
- Wen habt ihr verloren (Vater oder Mutter)? Wie alt wart ihr zu dem Zeitpunkt?
Vater (60), ich 27

Zitat:
- Wie lange dauerte die Krebserkrankung?
offensichtlich schon viereinhalb Monate, bevor er etwas sagte. Ich erfuhr 12 Tage vor seinem Tod durch seinen Anruf davon. Er habe nur noch 10 Tage zu leben, habe bereits alles mögliche geregelt, sei jetzt im Krankenhaus und müsse mit mir sprechen, weil er ABC nicht erreiche.

Zitat:
- Wie habt ihr die Zeit der Trauer durchlebt
beschissen. Es hat Jahre gedauert bis mir klar war, dass uns die intensiven Gespräche in den 12 Tagen zwei Tage mehr geschenkt haben. Aber auch, dass er, nach dem er alles "geregelt" hatte, zufrieden (glücklich und frei) war, es noch geschafft zu haben und dann einfach sterben wollte.

Problematisch war / ist, dass er *nicht* wollte, dass meine Ma von der Krebserkrankung und dem bevorstehenden Ende erfuhr. Er wolle in Ruhe und in Würde sterben, könne jetzt kein Heulen und Zähneklappern gebrauchen. Er könne auch nichts erklären und Aufhalten.

Sie interpretiert es als fehlendes Vertrauen und wird Näheres auch nicht erfahren. Mein Wort gilt und es muss nicht noch mehr Verletzungen über den Schock hinaus geben.

Zitat:
- Welchen Einfluss hat der Verlust des Elternteils auf euren Alltag?
natürlich fehlt er mir und uns. Mit dem Anruf, den Gesprächen und seinem Tod bin ich schlagartig "erwachsen" geworden. Trotz Betroffenheit und Gradwanderung zwischen den Gedanken des Sterbenden und meinen zu lernen, "das Richtige zu tun" und dazu zu stehen.

Zitat:
- Wie ging es für euch weiter im Job / Studium?
anders: wie ging es trotz Job, trauernder Familie / Mutter und den eigenen Gedanken weiter ?

Vater hatte wirklich sorgsam vorgearbeitet. Seine Zeitschriftenabos abbestellt, Versicherungs- und Steuerunterlagen durchgearbeitet, Erbsachen im Vorfeld geregelt und eine Übersicht erstellt, aus der der Status der Dinge hervorging, was erst nach seinem Tod zu regeln sei, was Priorität habe usw.

Ich habe systematisch zwischen Trauer und Absicherung meiner Mutter getrennt. Ihr war die Organisation der Beerdigung wichtig - gut ! Derweil habe ich mich um den Verträge, Erbschein usw. gekümmert; seine Arbeitsutensilien zusammen getragen, Garage aufgelöst usw.

Natürlich hatte es Einfluß auf den Job. Aber die Welt dreht sich weiter und Mutter hat gut dafür gesorgt, dass es nicht zur Pause kam (mehrfach ausgeschlossen, Schlüssel in der Wohnung; Unterlagen verlegt; div. Dinge vergessen; auf der Straße zusammengebrochen - Krankenhaus usw.).

Zitat:
- Umfeld: Findet ihr viel Verständnis und Trost in eurem Freundeskreis? Fühlt ihr euch verstanden?
nein, die waren einfach nur betroffen (1991). 12 Jahre später hatte ich durch Zufall Kontakt mit einem ehem. Kollegen meines Vaters. Er suchte das Gespräch, schickte mir ein Foto aus alter Zeit im Kollegenkreis und wir sprachen intensiv über Trauer etc.

Im Prinzip hat mich die "Erlösung von der Trauer" gefunden, nicht umgekehrt.

Zitat:
- Habt ihr eine große oder kleine Familie (Einzelkind)?
Einzelkind, Widder, geografisch und mental weit zersplitterte Familie

Zitat:
- Hat sich der Verlust bei euch körperlich geäußert (z.B. Schlafstörungen, Schmerzen, Unruhe, Krankheiten, was auch immer)
Jein. Unruhe - logisch. Was sind schon Schlafstörungen ? Ich habe einfach nachts gearbeitet, mich tagsüber um meine Ma gekümmert. Irgendwo dazwischen gedämmert. Ungefähr ein Dreivierteljahr.

Zitat:
- Inwiefern habt ihr euch danach verändert?
konsequenteres Auftreten, präzisere Einschätzungsfähigkeit und eine unendliche Resilienz mit Überlebensprinzipien: Konzentration auf sich selbst, die innere Stimme und Intuition. Auch wenn es nahe geht, kann es mich nicht blockieren. Auch in der ausweglosesten Situation finde ich einen Weg, notfalls konstruiere ich ihn neu. Bevor die Anderen (meine Familie) auf der Strecke bleiben, kümmere ich mich und nehme sie mit.

Zitat:
- Inwiefern hat sich eure Lebenseinstellung / Lebensanschauung verändert?
Vor allen Dingen eine klare Differenzierung von Prioritäten und Abhängigkeiten.

Aus dem Ablauf bei meinem Vater und meiner späteren Lebenserfahrung habe ich gelernt, wesentlich besser meine und andere Interessen zu identifizieren und zu differenzieren. Insbesondere sind die zehn Tage für die Kürze eines Lebens, in der Jemand versucht Vollendung und Frieden (mit sich und anderen) zu erreichen, sind fester Lebensbestandteil geworden. Wenn es so kurz ist, ist es notwendig und angemessen, eigene Interessen (im Job, neben dem Job usw.) zu entwickeln und zu pflegen. Es gibt mehr als morgens aufzustehen und nachts ins Bett zu fallen. Ich möchte nicht dumm sterben, weiter und mehr entdecken und wissen. Klar, auch um es meinem Kind weitergeben zu können. Sagen wir mal: die kontinuierliche Suche nach Erfüllung und Arbeit daran. Da lass ich mich nicht aufhalten. Zeit hat keinen Ablaufwert.

Zitat:
- Was hat euch in den Zeiten der Trauer besonders gut getan und was ging überhaupt nicht?
gut getan: schrittweise Ruhe zu erreichen: Beerdigung, Materielles regeln, zu vielen kleinen Teilantworten zu kommen und "zu verstehen".
Weniger gut getan: die Beerdigung an sich, die "Statusübersicht" und das ewige Erfinden passender diplomatischer Ausreden auf Fragen meiner Mutter.

Zitat:
- Was hat die schwere Zeit vor dem Tod - die Krebserkrankung - in euch verursacht, in euch verändert?
Respekt vor dem Willen des Kranken / Sterbenden, sich komplett zurück zu stellen und ggfs. auch gegen den eigenen Willen zu handeln.

Zitat:
- Glaubt ihr an ein weiterleben nach dem irdischen?
-)
ich werde auf jeden Fall weiter leben. Habe ja noch viel vor. Aber ... da ich dem Einen & Anderen geschworen habe, auf seinem / ihrem Grab zu tanzen, wird das noch nicht so rasch sein.

Andere leben durchaus gefühlt weiter. Mein Vater gibt mir Hinweise und beeinflusst auch mein Gefühl für die Dinge. Meine vor einiger Zeit verstorbene Frau nimmt allerdings wesentlich stärker Einfluß auf meine Intuition und Entscheidungen. Falls ich tatsächlich Zeit und Lust haben sollte zu sterben, hoffe ich einfach, dass wir uns wiedersehen, um uns wieder zusammen zu tun. Egoistisch gehe ich davon aus, sie warten auf mich und erkennen mich noch.
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  #5  
Alt 24.02.2014, 18:19
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Sonnenblume 87 Sonnenblume 87 ist offline
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Standard AW: Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Hallo Sonnenkind,

ich kann dich sehr gut verstehen. Wünsche Dir viel Kraft für diese Zeit.

Also jetzt kurz zu mir ich bin 26 Jahre alt und habe noch eine jüngere Schwester 20 Jahre alt.
Da unsere Eltern geschieden sind sind wir bei unserer Mama aufgewachsen und haben beide noch bis zum Zeitpunkt ihres Todes mit ihr in einer Wohnung gelebt. Mein Vater lebt in Ausland und ich habe wenig Kontakt mit ihm. Meine Mama war immer Kerngesund bis auf ihre ständigen Rückenschmerzen die nun wohl auf den Krebs zurück zuführen sind. Wir haben Anfang Feb. 13 die Diagnose Lungenkrebs erhalten da war meine Mama 48 Jahre alt. Naja 3 Monate später ist sie leider gestorben (alle zu lesen in; meine Mama ist nicht mehr da).
Hmm wie hat sich unserer Leben verändert? Alles ist verdammt schwer hatten ein kleines Erbe was uns für die ersten 3 Monate geholfen hat die Miete zu bezahlen und die Beerdigung. Nunja ich bin Studentin meine Schwester in einer schulischen Ausbildung. Ich war eigentlich am Ende meines Studium als meine Mama erkrankte. Hat sich alles verschoben, da ich mich zuerst um sie kümmern wollte und als sie stab hatte ich keine Kraft für die Uni. Schreibe jetzt meine Bachelorarbeit, da ich jetzt erst die Kraft dazu gefunden habe. Habe jetzt 2 Jobs neben den Studium damit meine Schwester und ich durch kommen. Sie arbeitet auch nebenbei soviel es die Schule zulässt. Bin viel weitsichtiger geworden seit dem Tod meiner Mama. Bin nicht mehr so schnell wegen belanglosen sauer oder beleidigt. Freue mich an kleinen Dingen die das Leben so bietet. Habe des Bedürfnis für andere Menschen etwas zu tun bzw. gutes zu tun war nun zum ersten mal in meinen Leben Blutspenden.

Vermisse aber meine Mama so unglaublich. Bei den kleinen Dingen merkt man es breits, weine auch schon recht oft aber nur wenn ich alleine bin. Das tut unglaublich gut.
Glaube man lernt damit umzugehen aber der Schmerz ist nicht weg.
Dafür sind meine Schwester und ich jetzt noch viel mehr zusammen gewachsen.

LG Sonnenblume
__________________
Mami jeden Tag vermissen wir dich.
In meinen Erinnerungen lebst du weiter ich liebe dich!
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  #6  
Alt 25.02.2014, 21:08
Caput Caput ist offline
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Standard AW: Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Hallo,

ich möchte hier in diesem Thread ganz gerne mitschreiben und erzähle euch deswegen zunächst meine Geschichte, bevor ich dann meine persönlichen Antworten auf Sonnenkinds Leitfragen geben möchte.

Ich habe meine Mutter im Juni 2012 mit 61 Jahren an Eierstockkrebs verloren. Zu diesem Zeitpunkt war ich kurz vor meinem 31. Geburtstag. Eigentlich sollte es der schönste Sommer meines Lebens werden… wir planten nämlich im Juni diesen Jahres zu heiraten (von daher zähle ich mich noch zu den „jungen Erwachsenen“, die dieses Schicksal leider teilen mussten). Aber leider kam es anders. Von der Diagnose bis zum Tod meiner Mutter vergingen noch nicht ganz 9 Wochen. Meine Mutter wurde nur wenige Tage nach der Diagnose operiert, es war eine sehr lange, sehr schwere OP (fast 10 Stunden). Da ich im Jahr zuvor 300 km von „zu Hause“ weggezogen bin, nahm ich mir gleich mal Urlaub um vor Ort zu sein. Ich bin Einzelkind, so gab es nur meinen Vater und mich, wir wurden begleitet von meinem damals noch Verlobten - mittlerweile meinem Mann. Nach der OP fuhren wir zur Klinik, wo uns gleich der Stationsarzt und der Operateur in Empfang nahmen (kein gutes Zeichen). Sie konnte nicht tumorfrei operiert werden und der Bauchraum war schon voller Metastasen. Zu allem Übel hatte meine Mutter während der OP auch noch einen Schlaganfall und war rechtsseitig gelähmt. Chemo unter diesen Umständen nicht möglich. Mit diesem Wissen gingen wir also zu ihr. Meine Mutter wollte das Ergebnis der Operation nicht hören, das würde sie zu sehr belasten, sie wolle sich einfach nur auf ihre Genesung konzentrieren, schließlich wolle sie auf meiner Hochzeit tanzen. Selbst über den Schlaganfall und die Lähmung wurde zunächst geschwiegen. Meine Mutter wollte im KH auch keinen Besuch haben, da sie nicht wollte, dass andere (noch nicht mal ihre Geschwister) sie „so“ sehen und sie nach eigener Aussage auch die Trauer der anderen nicht sehen mochte. Wenn wir vor ihr mit den Tränen kämpften, sagte sie: „Heulen könnt ihr noch genug wenn ich tot bin – jetzt nicht, ich komme hier wieder raus und freue mich auf die Hochzeit“. Sie kam nicht mehr aus dem Krankenhaus zurück. Die Hochzeit sagten wir 4 Wochen vor dem geplanten Termin ab (gegen den Wunsch meiner Mutter, die die ganze Zeit nur noch auf diesen Punkt hinarbeitete, wir mussten es ihr aber auch nicht mehr sagen, da sie zunächst ins Koma fiel und danach auch nicht mehr ihr volles Bewusstsein (Verwirrtheit) erlangte) und zwei Wochen später ist meine Mutter verstorben, sie hätte den geplanten Hochzeitstermin nicht mehr erlebt.

Die größte Angstphase hatte ich eigentlich in der Zeit vom ersten Verdacht über die Diagnose bis kurz nach dem Gespräch mit dem Chirurg. Ab dem Zeitpunkt dieses Gespräches (was eigentlich das sichere und schnelle Todesurteil bedeutete) durchlief ich alles wie in einen Film. Irgendwie unreal, irgendwie unscharf, mein Leben lief einfach weiter aber wie in völliger Leere. Im Unterbewusstsein war mir stets klar wie die Prognose lautete, selbst wenn das lange kein Arzt offen ausgesprochen hatte. Den Leuten gegenüber, meinem Vater und meiner Mutter gegenüber gab ich mich doch immer kämpferisch und hoffnungsvoll, so wie sich auch meine Mama gab und so wie sie es auch haben wollte.

Trauer habe ich eigentlich seit dem ersten Wiedersehen mit meiner Mutter nach der OP empfunden. Vielleicht ist es fies, denn sie war ja (noch) nicht tot, aber meine Mutter wie ich sie fast 31 Jahre lang kannte existierte nicht mehr. Meine geliebte Mama, die mich ein Leben lang begleitet und gut für mich gesorgt hatte – eine starke und lustige Frau – gab es nicht mehr. Meine nun gebrechliche und hilfebedürftige Mutter liebte ich genauso sehr und ich hätte alles getan um sie noch länger zu haben, ihr Fürsorge zurückzugeben und ihr trotz aller Widrigkeiten ein schönes Restleben zu ermöglichen –versteht mich hier nicht falsch – aber es fing nun einfach ein neuer Lebensabschnitt an und ich trauerte insgeheim schon ab diesem Zeitpunkt dem vorherigen Abschnitt nach.

Als meine Mutter im Beisein meines Vaters und mir verstarb, brach ich zunächst in Tränen aus, dann aber empfand ich sowas wie Erleichterung. Es ging mit sehr vielen Komplikationen rapide abwärts, ständig kamen neue schlechte Nachrichten und dann war das Leiden für sie vorbei. Die erste Zeit nach dem Tod meiner Mutter habe ich sehr rational und pragmatisch denkend verbracht. Zunächst war ich durch die anstrengende Zeit körperlich und seelisch extrem erschöpft, nachts schlief ich wie ein Stein. Über den Tag organisierte ich die Beerdigung, suchte den Grabstein aus, meldete Versicherungen, Konten, Abos etc. um bzw. ab. Ich habe mich auch recht schnell an ihren Kleiderschrank und andere Dinge „herangetraut“ und diese Sachen größtenteils verschenkt. Natürlich habe ich mir Andenken mitgenommen. Aber meine Mutter ist in meinem Herzen tief verankert – nicht in Klamotten, wie gesagt, hier hatte ich eine recht pragmatische Einstellung. Dieser Zustand hielt ca. 2 ½ Monate an.

Das Vermissen begann bei mir erst richtig als ich so langsam wieder im Alltag angekommen war. Ich erwischte mich häufig dabei zu denken, „ach das musst du Mama erzählen sobald du heimkommst“. Die Erkenntnis, dass dies nicht mehr möglich ist traf mich jedesmal wie ein Schlag. Auch die Gedanken, „dieses Lied würde Mama gefallen“, „der Pulli würde ihr stehen, „darüber würde sie sich freuen“ oder auch „das würde sie genauso schlimm finden“ endeten immer in der Erkenntnis, dass sie das alles nicht mehr erleben durfte und das macht mich auch heute noch unendlich traurig.

Meinen damaligen Job hatte ich erst wenige Monate vor der Diagnose meiner Mutter begonnen. Ich war noch in der Probezeit. Mein Arbeitgeber hat sich vorbildlich verhalten. Als es so rapide abwärts ging und ich mal wieder anrief um zu sagen, dass ich immer noch zu Hause bleiben werde (ich lebe und arbeite ja weiter weg von meinem Heimatort), sagte die Chefin zu mir „bleiben Sie solange es notwendig ist, das ist jetzt wichtiger als die Firma“. Auch nach meiner Rückkehr gab es kein böses Blut – weder von der Chefetage noch von den Kollegen. Ich arbeite übrigens immer noch gerne dort.

Ohne meinen Mann hätte ich diese Zeit nicht überstanden. Mein Vater war keine große Hilfe, wir sind zwar, während meine Mama krank war, eng zusammengerückt aber das war nach dem Tod meiner Mutter auch schnell wieder vorüber. Mein Mann hat mich immer begleitet und wenn er auch stundenlang vor der Intensivstation warten musste, er blieb und er hat sich nie beklagt. Durch den Umzug hatte ich kaum noch Freundschaften in der alten Heimat außer meiner besten Freundin. Sie hat zwar sehr viel mit mir telefoniert und sich auch gekümmert, aber ich hatte immer das Gefühl, dass sie mich nicht versteht und manchmal hätte ich mir einfach ein anderes Verhalten von ihr gewünscht. Ich kann das heute im Nachhinein nur noch schwer an einzelnen Dingen festmachen und ich glaube sie war völlig überfordert zumal sie noch nie einen engen Verwandten verloren hat. Der Tod meiner Mutter hat mich aber ein Stück von ihr entfernt. Einsam habe ich mich erst in der Trauerphase nach mehreren Monaten gefühlt. Die Phase wenn alle Menschen um einen herum denken, dass es jetzt „mal gut ist“ und man „über das Schlimmste hinweg ist“ und jeder erwartet, dass man wieder funktioniert.

Während der Erkrankung meiner Mutter konnte ich mir keine körperlichen Gebrechen erlauben. Ich musste funktionieren und mein Körper hat das auch mitgemacht, nachts schlief ich vor Erschöpfung wie ein Stein. Meine Mutter ist jetzt seit mehr als 1½ Jahren verstorben – jetzt fangen die körperlichen Auswirkungen an. Ich war schon als Kind herzkrank und habe eine sehr schwere OP hinter mir, ich hatte seit meiner Kindheit keine Beschwerden mehr. Doch seit letztem Jahr leide ich unter Herzrasen und diversen nervösen Störungen, ich muss leider auch wieder am Herzen operiert werden. Gut, dass meine Mutter diese Ängste nicht mehr miterleben muss. Außerdem habe ich sehr viele „graue Haare“ bekommen (und leider auch Falten), mein komplettes Deckhaar ist von schlohweißen Haaren durchzogen. Mein Vater wechselte durch den Kummer eigentlich auch von einem Tag auf den anderen von graumeliert auf weiß, selbst mein Mann hat über diese Zeit graue Haare bekommen.

Hm… inwiefern habe ich mich bzw. hat sich meine Lebenseinstellung verändert? Das ist schwer zu sagen, ich war schon immer ein eher ernster und nachdenklicher Mensch, das hat sich noch ein Stück weit verstärkt. Ich habe gelernt, dass ich unheimlich viel leisten kann, wenn ich denn muss. Ich habe gelernt, dass ich sehr stark sein kann, wenn ich es sein muss. Und ich weiß, dass ich einen tollen Mann geheiratet habe, den ich stets schätzen sollte. Vielleicht ist das sogar die Erkenntnis, die mich am meisten festigt. Ich habe gelernt, dass das Leben kurz sein kann und dass ich mehr auf mich achten muss – seelisch als auch körperlich. Ich wünschte diese Krise hätte mich „weise“ werden lassen (also nicht nur die Haare), so dass ich die Dinge in meinem Leben gelassener angehen und sehen kann oder dass ich mein Leben jetzt besser schätzen und genießen kann. Hat sie aber nicht, ich bin eher unausgeglichen, ungeduldig und leicht reizbar – ich arbeite aber daran.

Während der Erkrankung und nach dem Tod meiner Mutter, haben mir am besten Menschen getan, die mit mir Schweigen konnten. Eine ältere Arbeitskollegin schaute mich nur an und strich mir kurz über den Arm, das hat mir persönlich mehr gegeben als tausend Worte und Aufmunterungen von anderen. Besonders gut in Erinnerung sind mir auch die Menschen geblieben, die einfach ehrlich zu mir waren. Die Leute, die zugaben keine Worte für mich zu haben. Die Leute, die zugaben damit nicht klar zu kommen. Und die Leute, die zugaben, dass das Thema ihnen unangenehm sei. Mein Mann konnte die letzten zwei Tage auch nicht mehr mit rein zu meiner Mutter, unter Tränen gestand er mir damals, dass er diesen Anblick nicht mehr ertrage – und das war OK, denn er war dennoch für mich da. Manche kopierten mir auch Gedichte und poetische Texte, aber das gab mir einfach nichts. Und trotzdem weiß ich, dass das alles nur gut gemeint war und rechne das auch denjenigen hoch an. Da ich gar nicht religiös bin, haben mich Sprüche wie „sie ist jetzt an einem besseren Ort“, „jetzt ist sie bei Gott“, „wir sehen uns alle später wieder“ oder dass für sie gebetet wird, eher abgestoßen (bitte fühlt sich hier keiner angegriffen, ich schreibe alles aus meiner Perspektive und bin völlig tolerant gegenüber anderen Sichtweisen). Ich glaube selbst nicht an ein „Leben“ nach dem Tod. Jedenfalls nicht so ein Leben wie man es vor seinem Tod führt. Leider glaube ich auch nicht daran, dass wir uns alle am Ende wiedersehen, auch wenn es ein schöner Gedanke ist. In meiner Herzoperation habe ich selber eine Nahtoderfahrung gemacht und habe mir daraus meine ganz eigene Meinung gebildet.

Eine bittere Erkenntnis, die ich über die Erkrankung und den Tod meiner Mutter leider gewonnen habe, ist dass mein Familienbild, welches ich bis dato hatte völlig falsch und rosarot verfärbt war. Meine Familie ist hieran zerbrochen. Jetzt ist es an mir und meinem Mann unsere eigene Familie zu gründen und zu führen.

Liebe Grüße K.
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