Warum zerbricht jetzt noch die ganze Familie?

[lucie79]

Hallo ich heiße Lucie bin 33 Jahre alt, am 2 Oktober habe ich meine Mama verloren am Bronchialkarzinom. Das nur 2 1/2 Monate nur nach Diagnosenstellung! Seitdem ist nichts mehr wie es war, aber das weiß ja jeder der so etwas mal durchgemacht hat. Wäre das alles nicht genug scheint unsere Familie immer mehr daran zu zerbrechen, anstatt zusammen zuhalten. Weiß gar nicht wie ich das alles beschreiben soll aber mein Vater völlig verzweifelt wird leicht ungerecht ist total depressiv, lehnt aber jegliche Hilfe ab. Sieht einfach keinen Sinn mehr im Leben. Was Ihm ja auch zu steht aber ich wünschte er würde sich helfen lassen. Mein Bruder ( 19 Jahre) wohnt noch zu Haus, die beiden streiten sich immer mehr. Dann muss ich mich mehr um meinen Dad kümmern, hab aber auch so viel um die Ohren das ich kaum noch Zeit für mich habe. Das schlägt sich auf meine Ehe nieder und es gibt da Stress. Dann meine Oma noch die alleine in Ihrer Wohnung sitzt und mich dann auch an macht weil ich nicht so oft vorbei komme. Dabei besuche ich sie öfter wie vorher. Aber ich kann Ihre Tochter doch nicht ersetzen. Ich habe noch eine kleine Tochter 16 Monate und die braucht mich ja auch, habe das Gefühl ich bin an allem Schuld und müsste alle Aufgaben meiner Mutter übernehmen. Einen Sonntag habe ich für alle gekocht und dann gab es von meinem Vater und meiner Oma eine abfällige Bemerkung über meinen Mann da bin ich nur noch in Tränen ausgebrochen. Das ist so ungerecht, ich weiß einfach nicht mehr weiter. Kennt jemand so eine oder ähnliche Situation? Dann noch das Weihnachtsfest vor der Tür LG Lucie

[Mirilena]

Liebe Lucie,

es tut mir leid, dass auch deine Mama an Lungenkrebs verstorben ist und ich kann gut nachempfinden, wie traurig dich das macht. Nun klingt es für mich so, als hättest du überhaupt keine Zeit, um um deine Mama zu trauern, weil von allen Seiten an dir gezerrt und gezogen wird. Natürlich leidet dein Vater extrem, denn er trauert um seine Partnerin. Ich kann auch nachvollziehen, dass es ihm derzeit sehr, sehr schlecht geht und er keine Lebenslust mehr verspürt. Das ist sein Schmerz und so schwer es ist, den müsst ihr akzeptieren. Er braucht einfach Zeit, Zeit für sich und seine Trauer. Ihr könnt ihm eure Hilfe anbieten, aber seid nicht allzu enttäuscht, wenn er teilnahmslos und unwirsch reagiert.

Nun zu dir, du hast vollkommen recht, du kannst nicht deine Mutter ersetzen. Das ist unmöglich und das kann auch niemand von dir verlangen. Du bist du und somit einzigartig genauso wie deine Mama einzigartig ist. Und es ist nicht an dir, die gesamte Familie zusammen zu halten. Da muss jeder seinen Teil dazu beitragen. Vielleicht kannst du mit deiner Oma feste Termine vereinbaren, wann du sie besuchst? Vielleicht kann sie ja auch einmal dich besuchen und dir ein wenig abnehmen? Dann fühlt sie sich auch gebraucht, wenn sie dich unterstützen kann (hoffe ich!). Und niemand sollte vergessen, dass auch DU trauerst!!! Du hast deine Mama verloren und das ist ein so tiefer Einschnitt in das Leben, dass auch du nun Halt und Geborgenheit benötigst. Bei aller Liebe für und Sorge um deine Familie, bitte vergiss dich nicht selbst und räume auch dir Zeit ein, die du benötigst, um den Verlust bewältigen zu können.

Probleme und Stress sind mir persönlich allerdings auch bekannt. Zwischen mir und meiner Ma hat es nach dem Tod meines Papas auch mal ordentlich gekracht. Ich hatte das Gefühl, die Partnerrolle übernehmen zu müssen und meine Mutter war ziemlich fordernd. Als sie mir dann so ein paar Dinge an den Kopf warf, ist mir der Kragen geplatzt. Da haben wir beide uns angeschrien. War nicht schön und ich fühlte mich ziemlich schlecht. Wahrscheinlich ist das alles "normal", denn das Gleichgewicht in einer Familie ist ja vollkommen aus dem Ruder, wenn ein Mitglied verstirbt. Da stimmt dann gar nichts mehr und es dort dauert es seine Zeit, bis gewissen Rollen und Aufgaben neu verteilt sind und eine neue Ordnung hergestellt ist. So zumindest habe ich das erfahren. Ich denke daher nicht, dass eure Familie nun zerbricht. Ihr benötigt einfach mehr Zeit, um mit dem Verlust umzugehen. Und es hilft, wenn man offen reden kann ohne dem anderen Schuld zuzuweisen. Dafür wünsche ich dir und deiner Familie viel Kraft! Und Lucie, gehe einfach mal davon aus, dass Weihnachten dieses Jahr entweder ausfällt oder einfach nicht so sein und sich so anfühlen wird wie sonst... Damit nimmst du dir den Druck!

Alles Liebe
Miriam

[MamaVonZweien]

Guten Morgen Lucie,

etwa 3 Monate nach dem Tod meines Papas war es bei uns ähnlich. Jeder trug eine enorme Wut in sich. Während ich mich um meine Mutter kümmerte (Einkaufen fahren etc. - sie hat keinen Führerschein...), wir alle "Formaliäten" noch erledigten.. naja mein Bruder hielt sich raus. Komplett, kam nicht zu Besuch... er machte sich quasi aus dem Staub. Muttern war enttäuscht, ich war enttäuscht und auch ich hatte das Gefühl das alles an mir klebte.

Auch mein LG bekam sein fett ab und alle angestaute Wut über den Tod meines Vaters entlud ich allmählich. Es wurde dann von seitens meiner Mum über so ziemlich jeden schlecht geredet...


Ich denke Deine Familie braucht eins: klare Worte. Setzt Euch zusammen. Dann stell Dich hin und sage was Du uns hier geschrieben hast.

Du musst vertehen dass Jeder ganz anders Trauert. Einer geht in die Offensive und kümmert sich, der andere zieht sich zurück - und wieder einer wird Depressiv. Doch bevor auch Du Depressionen bekommst solltest Du klare Worte sprechen.

Bevor die aber ankommen musst Du, wie gesagt, wie verschiedenen Trauerarten verstehen. Das die Wut rausmuss ist klar - nur muss jeder einen angemessenen Weg finden ohne Andere zu verletzen. Man darf das nicht - es ist respektlos!

Mein Bruder warf mir vor, ich hätte IMMER ALLES von Papa bekommen - brauchte nur mit den Wimpern klimpern. Er hatte Recht. Er hat es richtig empfunden. Allerdings bekam er alles von meiner Mutter! Ich sprate mir den Vorwurf, sehe über die Dinge hinweg. Denn ich weiß: er redet unüberlegt, sieht mich als sein Ventil. Aber er liebt mich - sonst würde er gar nicht mit mir reden ;-)

Alles liebe für Dich und Deine Familie!
LG
Michaela

[lucie79]

Liebe Miriam und Michaela, vielen Dank für Eure Antworten.
Ja,zu hören das es auch in anderen Familien nach dem Tod eines Familienmitglieds zu Streit kommt hilft doch etwas. Ich hoffe auch es renkt sich alles wieder ein. Bin ein sehr sensiblere Mensch und habe am liebsten immer alles Friede Freude Sonnenschein ohne Streit und das ist halt jetzt die absolute Ausnahmesituation. Meine Oma macht gern mal eine kleine fiese Bemerkung und merkt gar nicht das ich mir das so zu Herzen nehme und manchmal tagelang traurig deswegen bin. Als sie den einen Tag was gemeines über meinen Mann gesagt hat und ich in Tränen ausgebrochen bin hat sie sich auch nie dafür entschuldigt und sieht das glaube ich gar nicht so. Denke auch es ist Ihr Ventil Ihre Trauer zu verarbeiten aber es ist schwer für mich da ich gar nicht gern zu Ihr fahre deswegen. Damals als Ihr Mann krank war, benahm sie sich auch so. Mein Vater und mein Bruder hatten noch nie so eine super enge Beziehung da er mehr Mama Kind war und alles mit meiner Mama gemacht hat und ich eher das Papa Kind war. Und jetzt fehlt der Puffer und es gibt Streit aber ich hoffe nicht so doll das er auszieht. Er zieht sich auch mehr zurück und das macht meinen Vater sauer,weil er das nicht versteht. Ich bin immer die, die für alle Verständnis hat und würde mir wünschen das jeder mehr Rücksicht auf den anderen nimmt. So hätte sich das meine Mutter auch gewünscht. Sorry wenn das alles etwas wirr geschrieben ist aber es ist alles so viel zur Zeit. LG Lucie

[Tiina]

Liebe Lucie,
ich kenne die Situation in der Familie so nicht, weil nach dem Tod meiner Mutter niemand von meiner Familie mehr übrig ist - ich kann mir aber vorstellen, wie schwer die Situation für Dich ist! Ich kann gut nachvollziehen, dass Du gerne Frieden haben möchtest, Du scheinst auch sehr bereit zu sein, die Verantwortung zu übernehmen und viel für andere zu tun - das ist mir auch sehr vertraut... Gerade jetzt in Deiner Trauer, wo Du doch eigentlich selbst Trost brauchst und Ruhe, ist das aber schwer zu ertragen und bewältigen.

Siehst Du eine Chance, Dir ein wenig Entlastung zu verschaffen? Z.B. könnte Dein Bruder doch auch mal Deine Oma besuchen?

Und - ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das alles nicht so einfach ist, aber: Du bist nicht verantwortlich dafür, die Familie zusammen zu halten. Wenn Dein Bruder beschließt auszuziehen, ist das erstmal seine Sache - vielleicht ist es ja nicht mal die schlechteste Lösung... Auf jeden Fall ist es nicht Deine Aufgabe, das zu verhindern - und letztendlich wirst Du das auch nicht können...

Ich wünsche Dir sehr, dass Du Dir ein bißchen Entlastung verschaffen kannst und auch Zeit für Dich bekommst, um Dich mit Deiner Trauer auseinander zu setzen.

Liebe Grüße,
Anja

[MamaVonZweien]

Guten Morgen Lucie,

mir fällt gerade etwas zu den gemeinen Komentaren Deiner Oma ein... auch als ihr Mann krank war.

Mein Papa und ich hatten Beide einen richtig fiesen schwarzen Humor, haben über seinen Krebs dumme Witze gemacht, über sein Sterben - selbst am Sterbebett haben wir dumme gemeine Sprüche gelassen. Weil wir so SIND. Es ist unsere Art gewesen damit umzugehen. Ein dummer Spruch kommt mal eben ganz einfach über die Lippen. Ein "Ich leide so und es tut schon körperlich weh" ist eine offenlegung aller Gefühle.

Ich denke Deiner Oma gehts mies. Sie will Euch ihre Schwäche nicht zeigen - denn dann kennt man den gewissen Punkt. Man hat eine Waffe gegen sie - und das versucht sie zu verhindern.

Ich bin genauso. Gefühle darzulegen macht verletzlich. Reiner Selbstschutz. Meine Mama kennt mich, sie hat mich weinen sehen. Mein Bruder hat mich nieee weinen gesehen nachdem Papa starb. Und daher ist es nur verständlich dass ich den Anschein "der Starken" mache und alle sich bei mir entladen. Und ja, auch ich stichel dann gern gegen andere - um von mir abzulenken! Ich kann Deine Oma also gut verstehen - dich aber auch. Bitte versuche Ihre Art einfach zu akzeptieren. Ich glaube ganz tief im inneren ist sie wahnsinnig verletzt, weint oft für sich alleine.

Liebe Grüße
Michaela

[HelmutL]

Hallo Lucie,

ich habe das Gefühl, daß deine Mutter in eurer Familie diejenige war, die alles zusammengehalten und gepuffert hat? Das könnte bedeuten, mehr oder weniger jeder hätte "sein Ding" gemacht und sie hätte vermittelt bzw. den ein oder anderen auch mal ausgebremst. Der oder die ein oder andere hat vielleicht mehr oder weniger unbewusst die Verantwortung für das eigene Tun im Bezug auf die Familie auf sie abgeschoben. Wenn ich davon ausgehe (ich weiß ja nicht wirklich, ob meine Annahme stimmt) und in dieser Hinsicht jeder so weiter macht, wie bisher, sind deine Sorgen durchaus real. Deine Mutter ist nicht mehr da, um zu schlichten oder ihre Familie zusammen zu halten. Jetzt muss jeder die Verantwortung für das eigene Tun selber tragen.

Das Einzige, was prinzipiell immer hilft, ist: miteinander reden. Egal, ob ich nun mit meiner Annahme recht habe oder nicht. Du hast selber genug mit deiner Trauer zu tun und auch mit den Alltagsdingen um dich herum. Ich glaube kaum, daß du den Part deiner Mutter einfach so übernehmen kannst. Das kann über deine Kräfte gehen und alles wäre noch schlimmer. Du trauerst, bist dadurch verletzlich und angreifbar. Du weißt selber nicht so ganz, wo du stehst, musst dich erst mal selber neu erfinden.

Eine Familie ist eine Familie. Man liebt sich untereinander. OK, so weit, so gut, das ist die Idealvorstellung. Prinzipiell stimmt das auch. Doch sie besteht aus mehr oder weniger Menschen und die sind verschieden. Es gibt manchmal auch Menschen in einer Familie, die zwar auf Familie pochen, doch eigentlich nur sich selber lieben und sehen. Vielleicht aus Angst vor dem Alleinsein oder weil sie Macht ausüben wollen? Und es gibt oft auch Menschen, die tragen immer ein Päckchen mit Pflaster bei sich, um zu kleben und zu kitten und sich selbst dabei (fast) vergessen. Das sind zwei Extreme. Sich in Mamas/Tochters selbst gestricktem Pullover zu wärmen, ist ganz leicht. Friede um jeden Preis? Nein. Es darf nicht zur Selbstaufgabe kommen.

Jeder hat das Recht, mal schlecht gelaunt zu sein.
Jeder hat das Recht, auf eigene Weise zu trauern.
Niemand ist dagegen gefeit, auch mal was Dummes zu sagen.
Niemand hat das Recht, andere zu verletzen. Aus welchem Grund auch immer.

... und jeder hat die Pflicht, die Verantwortung für sich selbst zu tragen.

Wenn jemand also partout gehen will, so soll er es tun und wenn jemand meint, andere verletzen zu dürfen, so muss er mit Gegenwehr rechnen. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, wie alt er/sie ist oder welche Position er/sie innerhalb der Familie einnimmt. Klingt hart, ist aber so. Leben heißt eben auch in der Familie nicht immer "Friede, Freude, Eierkuchen". Doch es ist dein Leben, das solltest du versuchen nach deinen Vorstellungen in Liebe zu deiner Familie zu verwirklichen. Manchmal ein gewaltiger Spagat.

Reden, reden und nochmals reden ist wichtig. Zuhören nicht minder. Versuchen zu verstehen, auch wenn es nicht immer so ganz gelingt. Liebe und Verständnis zeigen, wo immer möglich, und "Stopp!" sagen, wo nötig und irgendwann eventuell auch mal "Schluss!" sagen, wo es nicht mehr anders geht um sich nicht selbst zu verraten.

Sollte ich mit meinen Gedanken total daneben liegen ... um so besser. Bitte vergesse sie dann. Vielleicht ist der ein oder andere Gedanke doch zu gebrauchen?

Ich weiß, wie schwer es ist, in einem Kreis wieder den Schulterschluss zu finden, wenn sich plötzlich eine für alle schmerzhafte Lücke auftut. Ich hoffe für dich und deine Familie, daß ihr das schafft. Vielleicht nicht heute, dann vielleicht Morgen oder Übermorgen.


Ich drück dir die Daumen,

Helmut

[lucie79]

Hallo Anja, ja Du hast Recht ich kann nicht verhindern das mein Bruder auszieht, ich hoffe nur ein bisschen später, sonst ist mein Vater ganz allein Zuhause. Früher oder später zieht er aus aber ich hoffe das mein Vater sich dann schon ein bisschen gefangen hat. Oder vielleicht ist es ja doch besser wenn er auszieht?? Viel Familie ist auch nicht mehr übrig,deshalb finde ich es grade schlimm wenn es Streit gibt. Das tut mir leid für Dich das gar keiner mehr übrig ist, da wäre man froh über ein bisschen Streit, was ; )
Die Idee das mein Bruder mal zur Oma fährt ist gut, werde ich Ihm mal vorschlagen. Dank Dir,LG Lucie

[lucie79]

Hallo Michaela, ja ich denke auch das es Ihr sehr schlecht geht, ich werde versuchen das mal nicht so übel zu nehmen wenn sie sowas los lässt. Schwarzer Humor ist ja auch gut, nur bitte nicht mit Vorwürfen versteckt ; )
Das wird noch ein hartes Stück Arbeit alles.... Vielen Dank und LG Lucie