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  #1  
Alt 09.08.2008, 20:27
Heike_K Heike_K ist offline
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Beiträge: 25
Standard Mein Bruder...

Ich muß nun leider auch in dieses Forum, es kommt mir aber noch so unwirklich vor.
Mein Bruder hatte Darmkrebs, ich hatte auch mal einen Thread eröffnet im Angehörigenforum, konnte da aber irgendwie nicht mehr schreiben, hab´s einfach nicht geschafft obwohl ich öfters mal hier war und gelesen habe.

Mein Bruder ist vergangenen Freitagabend gegangen und hat mich verändert zurückgelassen.
Am Morgen bekam ich einen Anruf, komm, schnell, es ist was passiert. Ich hab meine Arbeit abgebrochen, meinen Mann und meinen Vater ins Auto gepackt und 400 km zu meinem Bruder gefahren, meine Mutter und seine Frau waren schon dort.

Wir angekommen, gleich ins Haus, da lag er in seinem geliebten Wasserbett, schwer atmend, die Augen halb offen und rollend. Keiner konnte uns sagen, ob er noch was mitbekommt, der Arzt gab ihm ein Morphinpflaster und ging wieder. Es fing die Nacht davor an, Sprachaussetzer, Erinnerungslücken, motorische Probleme. Dann konnte er nur noch ja und nein sagen, aber ohne Zusammenhang, dann verstummte er und lag nur noch da und atmete schwer.

Ich konnte es gar nicht fassen, vor ein paar Wochen war ich noch bei seinem Geburtstag, es ging ihm verhältnismäßig ok. Klar, er war klapprig, aber so voller Hoffnung und Willen.

Und dann lag er einfach so da. Wir konnten nichts anderes tun als bei ihm zu sein, ihm die Hand zu halten, die Stirn zu streicheln, mit ihm zu reden und ihn auf keinen Fall alleine zu lassen.
Meine Eltern erzählten ihm was für ein fantastischer Sohn er sei. Seine Frau bedankte sich für eine wundervolle Zeit mit ihm, ich als Schwester versprach ihm, auf seine Frau aufzupassen. Das war immer seine größte Sorge, dass es seine Frau nicht alleine schafft. Und ich bin mir sicher, in dem Moment als ich ihm das versprach zuckten seine Mundwinkel nach oben, ich schwör´s euch, das hat er mitbekommen!!
Und wir alle sagten ihm auch, dass alles ok sei, dass wir alles regeln würden, dass er entspannen soll und dass er gehen darf.
Über Stunden erzählten wir ihm das immer und immer wieder.
Dann wurden seine Atemzüge leise und leichter, er atmete nicht mehr so schwer und verkrampft. Auch seine Augen rollten nicht mehr und kamen zur Ruhe, dann blieb die Zeit stehen...
Wir saßen alle nur noch da, fassten ihn an, streichelten ihn und lauschten auf seine immer leiseren Atemzüge und dann hörten sie einfach auf...
Dieser Moment war heilig... Unwillkürlich schauten wir alle nach oben, nicht auf seinen Leichnam, sondern nach oben. Und ich bin mir sicher, er hat noch einen Blick auf seine Familie geworfen die um sein Bett versammelt saß, und dann ist er gegangen.

Und ich bin sicher, der Tod kann nicht schlimm sein, wenn jemand nach langem Leiden so friedlich einschläft ohne zu kämpfen und sich zu wehren, dann KANN es einfach nicht schlimm sein.
Ich bin dankbar, dass ihm ein monatelanges Siechtum erspart blieb. Ich bin auch seiner Frau dankbar, dass sie seinem Willen folgte und nicht den Notarzt rief und ihn an Maschinen angeschlossen hat sondern dass er zuhause im Kreis der Familie sterben durfte.

Die darauf folgende Nacht war so unwirklich wie auch schon alles andere davor unwirklich war.
Es kam dann irgendwann morgens der Arzt, stellte den Totenschein aus, dann kam die Bestatterin mit ihren Trägern und sie haben ihn geholt, angezogen und fortgebracht. Mein Vater und ich waren auch da dabei. Ich hatte irgendwie das Gefühl als müsse ich da sein.
Obwohl ich weiß dass mein Bruder schon lange weg war, er ist in dem heiligen Moment gegangen, was übrig war ist nur eine Hülle, sah auch schon nicht mehr so aus wie er. Seelenlos halt...

Die vergangene Woche blieb ich noch bei seiner Frau in seinem Haus. Wir haben geheult, getrauert, waren wütend und haben gelacht. Ich habe noch niemals in meinem Leben eine so intensive Erfahrung gemacht, das hat mich verändert. Es ist so schwer zu verstehen, er ist weg...

Ich vermisse meinen Bruder, er ist der Inbegriff eines großen Bruders, ich liebe ihn, er hat immer auf mich aufgepasst, war immer da für mich, und ist jetzt einfach weg, ich kenne ein Leben ohne großen Bruder aber gar nicht. Ich bin stinksauer, warum hat er so lange gewartet zum Arzt zu gehen?? Darmkrebs kann heilbar sein, aber nicht wenn er halt schon gestreut hat. 19 von 24 Lymphknoten waren befallen, die Leber hatte schon bei Diagnose bis zu 6 cm große Metas. Zum Schluß kam noch die Lunge, die Milz und das Bauchfell dazu.
Das alles ist so unfair, ich vermisse ihn...

Ich schwör Dir Bruderherz, wie auch an Deinem Sterbebett versprochen, ich kümmer mich um Deine Frau, ich lasse sie nicht alleine da durch gehen, ich werde bei ihr sein wann immer sie es braucht. Im Moment ist sie bei ihrer Familie gut aufgehoben, und dann werde ich immer für sie da sein.
Das verspreche ich Dir!!
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  #2  
Alt 09.08.2008, 21:14
Ronnya Ronnya ist offline
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Registriert seit: 13.04.2008
Beiträge: 988
Standard AW: Mein Bruder...

Liebe Heike ,
mein aufrichtiges Beileid zu deinem schweren Verlust..
Es gibt keine tröstenden Worte....

Deine Worte haben mich tief berührt,ihr habt deinem Bruder einen wirklich würdevollen Abschied ermögtlich....
Er ist im Beisein seiner Famielie leise und still von euch gegangen...
Kann es einen schöneren Tod geben???

Ich möchte das erst mal so stehen lassen...
und wünsche dir und deiner Familie viel Kraft für die nächste Zeit...
Alles Gute
Regina
__________________
______________________
Erinnerungen ,die nicht verblassen,
bilden ein festes Fundament in unserem Inneren
Mein geliebter Vater - 16.6.2008
Und immer sind da Spuren deines Lebens
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  #3  
Alt 09.08.2008, 22:01
illy illy ist offline
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Registriert seit: 31.05.2008
Beiträge: 146
Standard AW: Mein Bruder...

Liebe Heike,
ich habe deinen Bericht gelesen und habe dabei auch geweint. Mein Mann hat ein Glioblastom und gilt seit 21.Juli als austherapiert. Seitdem geht es ihm auch täglich schlechter. Heute war wieder so ein schlimmer Tag. Ich habe ihm damals versprochen, dass er so lange wie möglich zuhause bleiben kann und ich möchte auch, dass er zuhause sterben kann. Ich wünsche mir, dass er, wenn es dann soweit ist, auch friedlich gehen kann und gebe dir völlig recht, dass der Tod dann nichts Schlimmes mehr sein kann, wenn man friedlich gehen kann, nicht allein ist und schon vorher dermaßen krank war.
Ich glaube dir, dass es unheimlich weh tut und kann dir nur viel Kraft wünschen die nächste Zeit zu überstehen.
Alles Gute
Illy
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  #4  
Alt 10.08.2008, 13:01
Heike_K Heike_K ist offline
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Registriert seit: 19.06.2007
Beiträge: 25
Standard AW: Mein Bruder...

Danke Ronnya für Deine mitfühlenden Worte. So traurig wie ich auch bin, ich bin auch gleichzeitig sehr dankbar, dass ich ihn begleiten durfte und er friedlich gegangen ist und nicht sehr lange leiden musste. Bis zu zwei Wochen vor seinem Tod ist er sogar noch 2 Stunden am Tag arbeiten gegangen, das war ihm so wichtig. Ich bin so stolz auf ihn wie tapfer er war.

Liebe Illy, danke Dir! Ich weiß gar nicht was ich schreiben soll, es tut mir so leid mit Deinem Mann. Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und auch Mut ihn auf diesem schweren Weg zu begleiten.
Wie sagte neulich eine Freundin zu der Frau meines Bruders; Liebe ist, einen Menschen zu begleiten, immer für ihn da zu sein aber ihn auch gehen zu lassen wenn die Zeit kommt...
Viel Kraft wünsch ich Dir!!
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  #5  
Alt 10.08.2008, 15:22
Benutzerbild von oma2
oma2 oma2 ist offline
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Beiträge: 258
Standard AW: Mein Bruder...

Hallo Heike,

auch ich möchte dir meine stille Anteilnahme übermitteln.

So traurig es ist wenn jemand so früh aus dem Leben scheiden muss... dennoch finde ich deine Worte auch "schön" - schön, dass jemand friedlich einschlafen durfte.

Alles, alles Gute !

Oma2
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  #6  
Alt 11.08.2008, 17:11
Benutzerbild von Ramonali
Ramonali Ramonali ist offline
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Ort: Berlin
Beiträge: 257
Standard AW: Mein Bruder...

Liebe Heike,
mein aufrichtiges Beileid zu deinem schweren Verlust. Schön dass du dein Versprechen einhalten willst sowie es abgemacht war, habe auch ein solches Versprechen abegeben!
Ich wünsche dir und deiner Familie für die nächste schwere kommende Zeit alle Kraft die ihr braucht und dass ihr gemeinsam die erste schwere Zeit überstehen werdet!
Ganz liebe Grüße, Ramona
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  #7  
Alt 12.08.2008, 07:23
Benutzerbild von Rachel
Rachel Rachel ist offline
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Ort: Österreich
Beiträge: 1.504
Standard AW: Mein Bruder...

mir laufen die tränen runter wenn ich deine zeilen lese. sie sprechen soviel liebe und dein bruder kann stolz sein, so eine tolle viele gehabt zu haben. jetzt hat er keine schmerzen mehr und eines tages werdet ihr sicher wieder alle beisammen sein.
ich wünsche dir und deiner familie alles gute und viel kraft für die kommende zeit
__________________
mein Mann: Adenokarzinom

man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt trotzdem wenn es dunkel ist - Kafka
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  #8  
Alt 12.08.2008, 14:12
stella29 stella29 ist offline
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Beiträge: 816
Standard AW: Mein Bruder...

Auch von mir mein herzlichstes Beileid zu diesen schweren Verlust.

Mein Papa starb auch im Februar an Darmkrebs. Ich weiss wie schwer es ist.

Wünsche Dir viel viel Kraft für die kommende Zeit.

Bin in Gedanken bei Dir !!
__________________
Der Himmel hat einen weiteren Engel bekommen - mein geliebter Papi
geb. 28.12.1941 gest. 28.02.2008
Du bleibst unvergessen!


WER IM GEDÄCHTNIS SEINER LIEBEN LEBT,DER IST NICHT TOT, DER IST NUR FERN. TOT IST NUR WER VERGESSEN WIRD
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  #9  
Alt 16.08.2008, 14:06
Heike_K Heike_K ist offline
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Beiträge: 25
Standard AW: Mein Bruder...

Vielen Dank euch allen für eure Anteilnahme!

Vorgestern war die Beerdigung, das war nochmal ein sehr schwerer Schritt, aber ich habe versucht mich gedanklich an seinen letzten Momenten festzuhalten, die waren so friedlich.

Es war eine schöne Trauerfeier, mit schöner Musik und der Verlesung von an meinen Bruder gerichteten Briefen von uns, sehr emotional, aber auch sehr schön.
Wir schaffen das schon, er wird für immer in meinem Herzen sein...
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  #10  
Alt 16.08.2008, 16:58
Norma Norma ist offline
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Registriert seit: 06.11.2005
Beiträge: 1.157
Standard AW: Mein Bruder...

Liebe Heike,

mein aufrichtiges Beileid!

Ich möchte dir auch nur schreiben, dass ich diese friedliche Ruhe auch kenne... und ich möchte diese Momente auch nie mehr missen.

Meine Mama ist auch so friedlich gestorben; der Atem wurde einfach immer leiser und flacher... und es war einfach ein sehr bewegender Moment der Ruhe.

Wir haben ihr auch noch ihren Wunsch erfüllen können; die letzte Krankensalbung durch einen Pfarrer.
Ich habe so etwas ja auch noch nicht miterlebt, aber diese halbe Stunde der Segnung waren einfach nur überwältigend schön.
Diese überirdische Ruhe... die leisen Gebete des Pfarrers, die nur an die Sterbende gerichtet waren... es trat ein Frieden in den Raum, der nicht mit Worten zu beschreiben ist.

In dem Moment erst war mir klar, dass ich auch die Kraft haben würde, sie nach dem Tod zu waschen und neu einzukleiden. Sogar ihre Ohrclipse habe ich noch angelegt;
ihr die Haare gekämmt und die Strümpfe angezogen.

Die frühere Scheu vor Toten war weg; einfach wie weggezaubert.

Meine Einstellung zum Tod hat sich seitdem sehr verändert.

Wenn mein Sterben auch so friedlich ist... dann will ich keine Angst davor haben.

Liebe Grüße
Norma
Diagnose Brustkrebs Nov. 2001
Diagnose Darmkrebs Juni 2007 bei meinem Mann
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  #11  
Alt 16.08.2008, 17:14
Heike_K Heike_K ist offline
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Registriert seit: 19.06.2007
Beiträge: 25
Standard AW: Mein Bruder...

Liebe Norma,

was Du schreibst könnte nicht treffender sein, mir ging es auch so.

Ich hätte niemals gedacht dass ich in der Lage sein würde einen Sterbenden so zu begleiten, schon gar nicht den eigenen Bruder.
Ich dachte auch nicht, dass ich es schaffen würde meinem Bruder zum Beispiel das Kinn hochzubinden nach seinem Tod und ihn zu begleiten bis er im Sarg sein Haus verlässt.

Aber dieser friedliche Moment lässt einen über sich selbst hinaus wachsen und einen Sachen machen von denen man vorher nie dachte dass man es schaffen könnte, diese Erfahrung hat mich wirklich verändert.

Und Dein letzter Satz berührt mich auch
Zitat:
Wenn mein Sterben auch so friedlich ist... dann will ich keine Angst davor haben
Dem ist nichts hinzuzufügen, meinem Bruder wurde wirklich ein großes Geschenk gemacht.

Ganz liebe Grüße
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