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Alt 12.03.2015, 19:37
Picard Picard ist offline
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Registriert seit: 12.03.2015
Beiträge: 4
Standard Mach's gut, Papa!

Hallo liebe Forengemeinde

Ich habe hier schon seit einiger Zeit mitgelesen. Und eigentlich habe ich mir geschworen, hier niemals zu schreiben, da ich schon beim mitlesen häufig Rotz & Wasser geheult habe und ich mir gar nicht vorstellen wollte, wie das dann erst ist, wenn ich meine eigenen Beiträge verfasse... doch habe ich mir nun einen Ruck gegeben, da ich irgendwie eine "Plattform" benötige, um mal meine Gedanken niederzuschreiben und vielleicht das Geschehene etwas besser zu verarbeiten können.

Die Geschichte, die ich über meinen Vater Rolf erzählen möchte, beginnt am Heiligabend im Jahr 2013 - oder für mich die bisher schlimmste Weihnacht, an die ich denken kann. An diesem Abend konnte ich nur durch Zufall meiner Mutter entlocken, dass mit meinem Vater etwas nicht stimmte. Nach energischem Bohren bei meiner Mutter verriet sie mir, dass ein paar Tage zuvor bei meinem Vater Dickdarmkrebs diagnostiziert wurde und sie eigentlich bis nach Weihnachten warten wollten, um meinem Bruder und mir von der Diagnose zu erzählen. Doch irgendwie witterte ich an diesem Abend, dass irgendwas nicht stimmte - nur zu gerne hätte ich an diesem Abend unrecht gehabt

Im Januar 2014 folgte dann die OP, bei der der Tumor entfernt wurde. Man sagte uns, dass alles absolut super verlaufen sei - auch bei den anschliessenden Untersuchungen und man eigentlich auf den ganzen Bildern nichts vom Krebs sieht, man jedoch trotzdem zur Sicherheit die Chemotherapie durchführen will. Die erste Chemo, die im Februar durchgeführt verlief gut. 3 Wochen später folgte dann die nächste. In dieser Zeit verlor mein Vater unheimlich viel Gewicht (10-15kg), was anscheinend für die behandelnden Ärzte kein Anlass war, bei der nächsten Chemo die Dosierung anzupassen, denn die 2. Chemo war viel zu heftig für meinen Vater. Die Schreie meines Vaters vor Schmerzen, seine Panik und Angst, dass ihm der Hals einfriert - das sind Dinge, die ich wohl nie wieder vergessen kann.

In den Tagen danach wurde mein Vater dann immer schwächer - also ab ins Krankenhaus mit ihm. Was uns dort mitgeteilt wurde, schockiert mich noch heute: komplettes Nierenversagen, Leber auch betroffen. Hätten wir eine Stunde länger gewartet, wäre er noch an diesem Tag gestorben.
Er lag danach einige Wochen im Krankenhaus, wurde aufgepeppelt und irgendwann nach Hause geschickt mit den Worten: Der Krebs sei besiegt, ab jetzt geht's nur noch bergauf.

Es ging auch bergauf in den folgenden Monaten. Aber leider nicht soweit, als dass man hätte sagen können, er sei beschwerdefrei. Er war vielleicht bei 20%, denn irgendwas war immer: Schmerzen im Unterleib, Wasser in den Beinen, permanente Kälte trotz 30° Aussen- & Innentemperatur... Es wollte einfach nicht mehr weiter bergauf gehen, was ihn zusehends frustrierte und die Krankheit nun auch mental sehr an ihm zehrte. Und meistens ist es doch so, wenn es im Kopf anfängt zu „kränkeln“, dann macht sich das auch physisch irgendwann bemerkbar.

Ich kann leider bis heute nicht sagen, was genau das Problem war, jedoch wurde mein Vater nun wieder schwächer, er baute immer mehr und mehr ab. So kam es, dass er im Oktober dann wieder ins Krankenhaus musste. Natürlich wurde er wieder auf Krebs untersucht, u.a. auch mit einer Darmspiegelung. Man musste dort zwar einige Polypen entfernen, jedoch fand man nirgends Hinweise auf Krebs. Er blieb rund 3 Wochen im Krankenhaus und wurde danach 4 Wochen in die Reha geschickt, um ihn weiter aufzupäppeln.

Einen Tag vor seinem 64. Geburtstag, am 26.11.2014 wurde er aus der Reha entlassen und nach Hause geschickt. Freude und Optimismus machte sich bei ihm und der ganzen Familie breit. Sein Geburtstag und auch die Weihnacht 2014 waren sehr schöne Feste, die wir alle in vollen Zügen geniessen durften – selten ging es bei uns so harmonisch wie in dieser Zeit zu und her. Alles sah danach aus, als ginge es wieder aufwärts. Doch wie das Leben so spielt, kam natürlich alles anders.

Ende Januar konnten meine Mutter und mein Vater noch einmal für 2 Wochen in die Ferien. Obwohl alles schön war und perfekt ablief, merkte ich meinem Vater an, dass etwas nicht stimmte. Er redete von Schmerzen, die er im Bauch habe, jedoch wolle er noch nicht zur Untersuchung, da er erst den 60. Geburtstag meiner Mutter am 26.02. abwarten wolle. Doch zum Glück konnten mein Bruder und ich ihn weichklopfen, so dass er noch am selben Tag ins Krankenhaus zur Untersuchung ging. Und dort gab es die niederschmetternde Diagnose: Der Krebs ist zurück. Lunge, Leber & Magen sind bereits befallen, man gebe ihm noch ein halbes Jahr.

Der ganzen Familie zog es den Boden unter den Füssen weg. Schon fast panikartig haben wir alle angefangen, diese Zeit und die Zeit danach zu planen… ein letzter Besuch auf Schalke, ein grosses Festessen mit allen Verwandten, noch einmal die Ostsee sehen – doch auch hier wurde uns ein Strich durch die Rechnung gemacht.

Am 23.02. wurde eine Familiensitzung einberufen. Mein Vater hat einen Termin mit dem Bestatter ausgemacht. Er sollte uns aufzeigen, was es alles für Bestattungsmöglichkeiten gibt, wir konnten alle zusammen diskutieren und Wünsche anbringen, dass es auch für alle Beteiligten stimmte. Um 19.00 Uhr verliess der Bestatter die Wohnung. Mein Bruder und ich blieben noch eine Stunde sitzen, bevor wir dann auch den Heimweg antraten. Um 22.00 Uhr erhielt ich von meiner Mutter den Anruf, dass unser Vater mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht wurde. Das ganze Badezimmer war voller Blut. Der Grund für den Blutverlust war, dass die Wunde im Darm, die entstand, als man den Tumor entfernte, wieder aufging.
Am Dienstagmorgen hiess es, dass unser Vater nur eine Nacht zur Überwachung im Krankenhaus bleiben müsse, da die Wunde wieder geschlossen sei. Am Mittwoch teilte man uns mit, dass die Wunde schon wieder auf sei, er weiterhin Blut verliere und man nicht genau wisse, ob sie die Wunde wieder schliessen können. Am Donnerstag rief mich mein Vater unter Tränen an und teilte mir mit, dass es nicht mehr lange gehe, dass er jetzt innerlich verblute, das Ende nun nahe sei und es sich nicht mal mehr lohne, ihn in die Paliativabteilung zu verlegen. Er bat mich und meinen Bruder, noch einige Dinge zu erledigen. Er könne nicht gehen, bevor diese Dinge nicht erledigt sind.

Einerseits hatte er und meine Mutter Angst, dass meine Mutter alleine finanziell die Eigentumswohnung nicht tragen könne. Zudem wollte er noch einen Notar engagieren, um sein Testament, solange er noch volles Bewusstsein habe, zu verfassen. Ich konnte am Freitagnachmittag um 15.00 Uhr einen Termin bei der Bank erhalten, der Notar wurde per 16.00 Uhr direkt ins Krankenhaus bestellt.
Als ich gegen 17.00 wieder ins Krankenhaus ging und meinem Vater mitteilte, dass die finanzielle Zukunft meiner Mutter gesichert sei, lächelte er und teilte mir mit, dass ich gar nicht wisse, wie gross der Stein sei, der ihm jetzt vom Herzen fiel. Auch das Testament konnte so geregelt werden, dass er und meine Mutter zufrieden waren.

An diesem Abend erhielten wir von den Schwestern den Bescheid, dass für uns die Besuchszeit nicht wie für alle andere um 20.00 Uhr endet und wir gerne länger bleiben dürfen. Meine Mutter, mein Bruder, meine Freundin und ich blieben bis tief in die Nacht im Krankenhaus. Es wurden alte Geschichten erzählt, es wurde herzlich gelacht (Danke Papa, dass du mich nochmal auf meine immer grösser werdende Glatze aufmerksam gemacht hast :P), es wurde bitterlich geweint. Es wurden Kochrezepte niedergeschrieben, letzte Familienfotos wurden gemacht. Es wurden Dinge ausgesprochen, die schon ein ganzes Leben lang raus mussten, aber zuvor nicht konnten. Es wurde Abschied genommen.

Meine Mutter blieb die ganze Nacht im Krankenhaus, ich hielt es irgendwann nicht mehr aus und musste nach Hause, um ein letztes Mal nochmals tief Luft zu holen. Gegen 9.00 bin ich wieder hin und bin bereits das erste Mal erschrocken. Wenige Stunden zuvor haben wir alle noch zusammen gelacht – und wenige Stunden später war mein Vater bereits nicht mehr ansprechbar. Die einzigen Laute, die er noch von sich geben konnte, waren Schmerzschreie, die mir noch heute durch Mark und Bein gehen. Um 13.00 schickten mein Bruder und ich unsere Mutter nach Hause, sie solle sich 2-3 Stunden ausruhen. Kein Auge konnte sie bis dahin zu tun.

Um 14.38 nahm mein Vater seinen letzten Atemzug. 2 Wochen nach der Diagnose, dass der Krebs wieder zurück sei. Ich hielt in der letzten Stunde seines Lebens seine Hand, so fest es ging, ohne ihm weh zu tun. Er drückte kurz vor seinem Abschied nochmals zu und es schmerzt sehr, dass ich dieses Gefühl nie wieder erfahren werde.

Meine Mutter hadert sehr damit, dass sie nicht da war auf seiner letzten Reise. Ich behaupte, dass er das genau so gewollt hat. 37 Jahre waren die beiden verheiratet. In dieser so langen Zeit, mit all ihren Höhen und Tiefen, wusste er ganz genau, dass sie diesen Anblick nicht hätte ertragen können.

Ich ziehe meinen Hut vor meinem Vater, der dem Tod so gefasst ins Auge sah und genau wusste, wann und wie er zu gehen hatte. Erst das Loslassen von den finanziellen Sorgen rund um meine Mutter, dann das Regeln des Notariellen, das Abschied nehmen von seinen Engsten, die Weitergabe seines legendären Kartoffelsalat-Rezepts… vorher konnte er einfach nicht loslassen. Und erst in dem Moment, als meine Mutter ihn noch ein letztes Mal auf die Stirn küsste und er sah wie seine Ehefrau das Zimmer verliess, erst dann konnte er zufrieden gehen.

Leider ist das der einzige Trost, den ich bisher finde. Zu wissen, dass alles so ablief, wie er es sich wünschte und dabei nicht nur an sich, sondern vor allem an meine Mutter dachte. Und dass er in all dieser Zeit nicht alleine war, dieser Gedanke wird mir irgendwann wieder mehr Kraft geben.

Am Tag, an dem er starb, ging sein Club mit einem mutlosen Auftritt beim Rivalen sang- und klanglos unter. Am Tag seiner Beerdigung, an dem Tag, als ich versuchte, damit zu beginnen den Schmerz bei Seite zu schieben und den Blick wieder nach vorne zu richten, feierte sein Verein, seine Herzensangelegenheit einen historischen und einmaligen Sieg bei den „Königlichen“ in Madrid durch eine aufopferungsvolle Leistung. Er wollte es wohl einfach so.

Ich vermisse ihn sehr und es bricht mir das Herz, dass er nicht mehr da ist.
__________________
I never wanted to say goodbye.
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  #2  
Alt 12.03.2015, 20:05
Benutzerbild von Monika Rasch
Monika Rasch Monika Rasch ist offline
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Registriert seit: 23.02.2005
Ort: Gelsenkirchen-Buer
Beiträge: 2.004
Standard AW: Mach's gut, Papa!

Zitat:
Am Tag, an dem er starb, ging sein Club mit einem mutlosen Auftritt beim Rivalen sang- und klanglos unter. Am Tag seiner Beerdigung, an dem Tag, als ich versuchte, damit zu beginnen den Schmerz bei Seite zu schieben und den Blick wieder nach vorne zu richten, feierte sein Verein, seine Herzensangelegenheit einen historischen und einmaligen Sieg bei den „Königlichen“ in Madrid durch eine aufopferungsvolle Leistung. Er wollte es wohl einfach so.

Ich vermisse ihn sehr und es bricht mir das Herz, dass er nicht mehr da ist.
Sein Club, das war dann wohl Schalke.
Auch meine Schwester Heike war ein glühender Fan- in Freud und Leid.

Ich bin mit Dir um deinen Papa traurig.

Aber es ist doch einfach gut, dass er noch alles regeln konnte,
und er ist gestorben mit dem Wissen dass Alles gut ist.

_________________
__________________
Mein Ehemann Georg+36jährig+1988(NHL)
Mein Liebster Joachim+42jährig+1997 (kleinzell. Bronchial Ca.)
Ich : 2002 DCIS re.Mamma, operiert, bestrahlt, AHT
Meine Schwester Heike +2011(Bronchialca)
Unsere Mama +2013(operiertes Glioblastom, Nierenversagen bei Temodal Therapie)
Meine Schwester Sandra(45),TN mamma Ca.metastasiert, +21.11.2015
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  #3  
Alt 13.03.2015, 08:31
shahan shahan ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 16.12.2013
Beiträge: 154
Standard AW: Mach's gut, Papa!

Lieber Picard

Auch von mir mein aller herzlichstes Beileid, die traurige Leidensgeschichte deines Vaters hättest du nicht liebevoller nieder schreiben können.

l.g.Shahan
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  #4  
Alt 13.03.2015, 16:13
Mel1507 Mel1507 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 23.01.2015
Beiträge: 14
Standard AW: Mach's gut, Papa!

Hallo Picard,

ich spreche dir meinen höchsten Respekt aus. Den Mut zu finden, und vor allem die Kraft hier so ausführlich und detailliert eure Geschichte nieder zu schreiben.

Ich habe auch erst vor kurzem meinen Papa an dieser Krankheut verloren, und du sprichst mir aus der Seele wenn du sagst du hast den höchsten Respekt vor deinem Vater, weil er voller Stolz gegangen ist. Genau so sehe ich das auch.

Ich wünsche dir und deiner Familie viel Kraft, einen starken Zusammenhalt und Geduld. Er wird immer fehlen und es wird auch immer weh tun, das kann man niemandem nehmem. Aber ihr könnt so wahnsinnig stolz auf ihn sein, er war sicherlich ein toller Mensch. Wie mein Papa.

Alles Liebe
Mel
__________________
Mein Papa 1957 - 2015
ein tapferer Kämpfer und mein ganzer Stolz
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  #5  
Alt 13.03.2015, 16:51
ina50 ina50 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 08.03.2015
Beiträge: 41
Standard AW: Mach's gut, Papa!

Mein Beileid,
__________________
Mein Schatz
kleinzelliges bronchalkarzinom
pt4 pn2 cm2

11.10.1958 - 28.02.2015
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