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  #76  
Alt 18.09.2014, 13:24
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo an Alle,
ich glaube nicht an Vorherbestimmung (Prädestination). Aber wir können unser Leben nur sehr begrenzt steuern und dann müssen wir auch häufig nachsteuern. Es gibt einfach zu viele Einflüsse, die wir nicht kontrollieren können. Auch ein vorsichtiger und guter Autofahrer kann bei einem Unfall sterben. Ein weiteres Beispiel sind Krebsarten mit schlechter Prognose, zum Beispiel die Peritonalkarzinose. Mein Eindruck ist, dass die Medizin hier immer noch im Experimentierstadium steckt. Eine Fraktion versucht es mit Chemo-Therapie als palliative Therapie. Aber es bleibt eine Art Lotteriespiel. Wie soll man sich entscheiden, wenn man hört, eine Chemo-Therapie habe in 20 % der Fälle Erfolge, wobei Erfolg nicht Heilung bedeutet, sondern ein paar Wochen mehr Leben. Eine andere Fraktion setzt auf radikale Operation und Chemo-Therapie während der OP. Offenbar gibt es hier auch einige Erfolge, aber auch viele Misserfolge. Unser Leben ist weiterhin voller Unsicherheiten und Ungewissheiten. Trotz aller „Ermutigungsfiktionen“. Die Erlebnisse zwingen mich zu einem Leben ohne diese Fiktionen. Das Leben kann schnell enden.
Liebe Grüße
Hermann
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  #77  
Alt 18.09.2014, 15:56
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: vom Sinn und Unsinn des Lebens

Zitat:
Zitat von djkprinz Beitrag anzeigen
Wie sonst kann man sich erklären, dass z.B. jemand der nie geraucht hat, an Lungenkrebs erkrankt.
Hallo Heike,

ganz einfach: Rauchen ist ein Risikofaktor und nicht die Ursache.


Hallo Hermann,

genau. Alles vorbestimmt? Für mich ist das ein Lebensmodell, das sehr, sehr einfach gestrickt ist. Zu einfach.


Liebe Grüße,

Helmut
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  #78  
Alt 18.09.2014, 18:42
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

"der Lebendigste ist, wer bei den Toten zu Hause ist, und arm an Leben, wer die Toten vergißt" ( Karl Jaspers)
Mit der Erfahrung von Leiden und Tod wurden wir alle konfrontiert. Das schützt zunächst vor dem Vergessen. Aber wie lange? Ich habe es mehrfach erlebt. Beim ersten Mal war ich noch Kind, als meine Tante mit Mitte Vierzig an Krebs starb. Man kehrt zurück in den Alltag, vergisst vielleicht, aber das Erlebte ist nicht für immer ausgelöscht. Ein weiteres Ereignis war die Krebskrankheit und der Tod meines Vaters. Nun folgte Tanjas Leidensgeschichte. Sie dauerte 14 Monate. Es war ein Wechsel von Situationen und Gefühlszuständen, die man kaum beschreiben kann. Wenn ich jetzt vergesse, wäre ich wirklich arm an Leben.
Weitere Sätze geben mir zu denken: " Daß der Mensch, nur der Mensch sich das Leben nehmen kann in hellem, reinen Entschlu0, ohne Trübung durch Affekt, vielmehr sich selber treu, darin liegt seine Würde" (Karl Jaspers) Eine Entscheidung ohne Affekt ist natürlich selten. Aber immer wieder erinnere ich mich an Situationen, in denen Suizid ein Thema war. Habe ich damals richtig gehandelt?

Geändert von hermannJohann (19.09.2014 um 19:45 Uhr)
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  #79  
Alt 19.09.2014, 21:50
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Yogi 12 Yogi 12 ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
..."der Lebendigste ist, wer bei den Toten zu Hause ist, und arm an Leben, wer die Toten vergißt" ( Karl Jaspers)
Mit der Erfahrung von Leiden und Tod wurden wir alle konfrontiert. Das schützt zunächst vor dem Vergessen. Aber wie lange? Ich habe es mehrfach erlebt. Beim ersten Mal war ich noch Kind, als meine Tante mit Mitte Vierzig an Krebs starb. Man kehrt zurück in den Alltag, vergisst vielleicht, aber das Erlebte ist nicht für immer ausgelöscht. Ein weiteres Ereignis war die Krebskrankheit und der Tod meines Vaters. Nun folgte Tanjas Leidensgeschichte. Sie dauerte 14 Monate. Es war ein Wechsel von Situationen und Gefühlszuständen, die man kaum beschreiben kann. Wenn ich jetzt vergesse, wäre ich wirklich arm an Leben.....
....
Hallo Hermann,

Es ist schon ein Unterschied ob Angehörige mit denen du länger nicht mehr zusammengelebt hast sterben die schon vor längerer Zeit vorausgegangen sind oder der Mensch der dir am nächsten stand und das über viele Jahre.
Früher lag dir vielleicht dein Vater sehr am Herzen , jetzt ist es deine Frau.

Es ist so schmerzhaft das wir es niemals vergessen werden.....

Auch wenn es später verdrängt wird, taucht die Erinnerung spätestens dann wieder auf, wenn du selbst krank bist und deine eigene Verletzbarkeit und Brüchigkeit deutlich spüren kannst.

Auch mir ist der Gedanke an einen Suizid nicht fremd, er drängt sich geradezu auf "in besonders schwierigen Lebenslagen."
So lange ich ihn in Schach halten kann ist es gut.

Manchmal ist der Gedanke sich frei entscheiden zu können beruhigend.
Z.B. Wenn ich mir nicht mehr alleine den Hintern abwischen kann würde ich darüber nachdenken was ich tun kann.

Nur habe ich dann noch die Möglichkeit zur Entscheidung und will ich es dann
gerade in diesem Moment?

Das Leben ist und bleibt schwierig.

Liebe Grüße

Jutta
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  #80  
Alt 21.09.2014, 15:56
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo Jutta,
die freie Entscheidung über das eigene Leben ist wichtig, aber schwierig. Das habe ich mehrfach erfahren. Da war Tanjas Wunsch, zu sterben. Eine Entscheidung hätte mich traurig gemacht, aber ich hätte sie akzeptiert. Aber wenn die Onkologen sehr optimistisch sind, wurde es schwierig. Jetzt weiß ich, dass Tanja Recht hatte und die Onkologen sich irrten. Psychiater konnten mit diesen Situationen, in denen es wirklich um Leben und Tod geht, überhaupt nicht umgehen. Für mich folgt daraus, dass ich über mein Leben in Verantwortung für die Angehörigen entscheiden will. In meinem Fall, spielen die Angehörigen keine so große Rolle. Für sie wäre der Verlust nicht sehr groß. Wichtig ist mein Lebenswille und der hängt von den Lebenszielen ab. Warten bis ich pflegebedürftig bin möchte ich nicht.
Ich habe seit dem Tod meiner Frau ca. 6 kg zugenommen. Vorher war ich auch nicht schlank. Eine Ursache ist Fast-Food aus den Supermärkten, eine andere zu viel Bier. Ich überschreite damit eine Grenze, ab der sich das Risiko chronischer Erkrankungen deutlich erhöht. Das weiß ich, mein Verhalten ist also bewusst, auch wenn ich nicht esse, um früher zu sterben. Aber auch das Motiv, Prävention zu betreiben, um 80 Jahre zu werden, ist gering. So kann „Nach-Sterben“ funktionieren. Ein anderes Motiv wird stärker: aktuelles körperliches Wohlbefinden. Die Lebensqualität beginnt, schlechter zu werden. Daher werde ich wohl mein Verhalten ändern. Aber immer noch ist mein Interesse an der Zukunft gering. Das Prinzip „ Der Weg ist das Ziel“ bringt mir nichts. Am Wegrand blühen die Blumen, aber sie blühen auch ohne mich. Ich versuche es mit dem nächsten Lebensabschnitt. Zwei Jahre sind überschaubar. Einen Platz in einem Friedwald will ich für mich kaufen. Auch brauche ich einige andere Dinge. Beruflich habe ich auch noch einige Ziele, vielleicht reichen dafür zwei Jahre nicht aus, aber drei Jahre würden reichen
Liebe Grüße
Hermann
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  #81  
Alt 21.09.2014, 16:44
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
Am Wegrand blühen die Blumen, aber sie blühen auch ohne mich.
Ganz bestimmt, Hermann, doch sie blühen auch für dich.


Liebe Grüße,

Helmut
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  #82  
Alt 21.09.2014, 19:39
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Yogi 12 Yogi 12 ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo zusammen, hallo Hermann!

Deine Worte machen ein wenig sentimental, sie sprechen mich an.
Ich kann die Gedanken die in dir vorgehen gut nachvollziehen, sehe einiges sehr ähnlich und bleibe wahrscheinlich auch dabei.

Sicher ist es die innere Einstellung die jemand zum Leben und zu den Mitmenschen hat.

Sie entscheidet auch ob ich im Leid noch Vertrauen in das Leben habe und in mich selbst oder eher nicht.( Wobei ich dein Selbstvertrauen hier nicht in Frage stellen möchte.)

Wer wie ich - schon früher etwas melancholisch war - wird eher das halb leere als das halb volle Glas sehen. Was auch nicht immer das schlechteste sein muss.
Bei meinem Mann hätten die Ärzte bei der Behandlung der todbringenden Krankheit vielleicht weniger Optimismus an den Tag legen sollen, dann wäre
der Sterbeprozess überschaubarer gewesen.

Wir hatten während der Krankheit einen wunderbaren Psychoonkologen - wohl der beste seelische Beistand in dieser schweren Zeit.-
Er verstand es sich meinem Mann so zuzuwenden, dass der sich ihm gegenüber öffnen konnte, und die Last konnte gelegentlich besser ertragen werden.

Das du deinen Zeitrahmen der dein Leben betrifft kürzer planst als früher, ist verständlich. Schön dass es noch kurzfristige Ziele gibt.
Ich habe noch keine Lebenspläne, ist noch zu früh dafür.

Gestern war ich zu Besuch bei meiner Tante.( Jahrelang keinen Kontakt mehr gehabt )
Ich wurde gefragt wie es mir denn jetzt so geht, aber ich glaube es hat doch niemanden so richtig interessiert....

Ob die Menschen um mich herum meine Trauer erst verstehen, wenn sie gleiches Leid ertragen müssen?

Ich wünsche allen einen schönen Sonntagabend

Liebe Grüße

Jutta
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  #83  
Alt 21.09.2014, 20:35
Geske Geske ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo Hermann, hallo an Alle,
ich lese hier im Forum noch viel mit, schreibe aber selten. Die Beiträge von Hermann sind jedoch immer wieder inspirierend.

Du bist traurig, das können wir hier alle nachvollziehen, es wird auch nicht viel besser mit der Zeit: ich bin nach sechs Jahren auch noch traurig, dass mein liebster Lebensgefährte sterben musste. Dennoch es gibt noch einen anderen Teil des Lebens: wir werden nicht mit unseren Lebenspartnern zusammen geboren, wir sterben in der Regel auch zu getrennten Zeiten. Eine Partnerschaft ist nur dann wirklich geglückt, wenn sich zwei eigenständige Personen zusammengefunden haben, das bedeutet auch, dass sie ohne den anderen lebensfähig sind. Ja, die Blumen blühen auch ohne dich, ohne mich und ohne alle anderen. Die Blumen sind auch eigenständige Schöpfungen, die uns, wenn wir sie wahrnehmen erfreuen, da ist es egal, ob sie alleine oder nur im Verbund mit anderen Pflanzen existieren. So ist es doch auch bei Menschen, der Partner ist verstorben, aber andere Menschen finden es angenehm, dass wir noch da sind, z.B. die KK-Gemeinschaft, hier geben wir uns gegenseitig Rat, spenden Trost und fühlen uns nicht ganz so allein gelassen.

Es gibt ja auch Menschen, die die Einsamkeit bewusst wählen: die Einsiedler, Mönche. Man muss auch nicht gläubig sein, manchmal hilft ja schon die Beschäftigung mit den Seins Gründen des Menschen: mit Philosophie, Kunst, Natur. Der Sinn unserer Existenz kann ja nicht nur von der Anwesenheit unserer Lebenspartner abhängen, auch wenn das die von uns am liebsten gewählte Lebensform ist bzw. wäre.

Die Entscheidung für einen selbstgewählten Lebensabschluss ist für den begleitenden Angehörigen äußerst schwierig. Ich bin froh, dass ich letztendlich nicht in diese Lage gekommen bin.

Beste Grüße
Geske

Geändert von gitti2002 (21.09.2014 um 22:24 Uhr) Grund: NB
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  #84  
Alt 22.09.2014, 00:01
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo Geske,

schön, von dir zu lesen. Einige Sätze aus deinem Beitrag finde ich sehr wichtig. Hier zwei davon:
Zitat:
Zitat von Geske Beitrag anzeigen
... So ist es doch auch bei Menschen, der Partner ist verstorben, aber andere Menschen finden es angenehm, dass wir noch da sind, ...
Ein Gedanke, aus welchem (hoffentlich deine) Erfahrung spricht.
Zitat:
Zitat von Geske Beitrag anzeigen
... Die Entscheidung für einen selbstgewählten Lebensabschluss ist für den begleitenden Angehörigen äußerst schwierig. ...
Vielen, die sich mit dem Gedanken des selbstgewählten Lebensabschlusses tragen, ist dieser Gedanke jedoch im Moment der Entscheidung kaum zugängig.

Hätte meine Frau von mir dabei Hilfe verlangt, ich hätte mich sicher nicht verweigert, wenn ich keinen anderen Weg gesehen hätte. Wie und ob ich selbst damit danach hätte leben können ... keine Ahnung.

Hegt ein/e Witwe/Witwer eine ähnliche Absicht, so ist es richtig zu sagen: "Dein Entschluss ist nicht falsch, doch es gibt auch noch andere Lösungen."


Liebe Grüße,

Helmut
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  #85  
Alt 28.09.2014, 17:10
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Hallo an Alle,
ich war im letzten Jahr mehrfach in der Situation, dass ich mit dem Wunsch meiner Frau, früher zu sterben, konfrontiert war. Es waren Situationen extremer psychischer Belastung für sie und auch für mich. Dabei ging es meist nicht um eindeutige Situationen in denen man „vernünftig“ entscheiden kann, wie sie die Anhänger der Sterbehilfe immer wieder darstellen. Es war vielmehr meist nicht klar, ob es nicht doch noch eine andere Lösung gab, nämlich etwas längeres Leben mit mehr Lebensqualität. Auch war der Wunsch nicht ständig vorhanden, manchmal hatte sie wieder Hoffnungen und ich habe sie darin bestärkt. Die Entscheidung lag aber immer bei ihr. Bitter ist es dann, wenn man im nachher feststellen muss, dass es diese anderen Lösungen tatsächlich nicht gegeben hatte. Hier lese ich immer wieder, dass viele andere Angehörige diese bittere Erfahrung gemacht haben. Die Betroffene und die Angehörigen haben wieder Hoffnung, aber dann wird es eher noch schlimmer. Für mich prägt diese Erfahrung auch meine Vorstellungen vom Alter. Im Dezember 2012 lernte Tanja in einer Krebs-Nachsorge-Klinik eine andere Patientin aus dem Ruhrgebiet kennen. Sie hatte in einem Pflegeheim gearbeitet. Tanja telefonierte später noch mit ihr. Es ging ihr damals schlecht. Sie sagte, wenn sie das dort so sehe, wolle sie nicht alt werden. Vielleicht versuchte sie so, ihre Situation zu bewältigen. Aber deswegen ist es nicht völlig falsch. Für mich ist die Autonomie wichtig. Wenn ich völlig abhängig vom Pflegepersonal bin und es keine Aussicht auf Besserung gibt, möchte ich nicht mehr leben. Noch schlimmer wäre es, wenn Angehörige mich jahrelang pflegen müssten, aber diese Möglichkeit besteht bei mir sowieso nicht. Auch sehe ich die Möglichkeiten der Medizin skeptischer als vorher.
Liebe Grüße
Hermann
ps. In den letzten 10 Tagen vor ihrem Tod war keine Sterbehilfe nötig. Lebensverlängernde Maßnahmen wurden nicht mehr durchgeführt.
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  #86  
Alt 29.09.2014, 20:49
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Yogi 12 Yogi 12 ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Zitat:
Zitat von ;1287668
Hier lese ich immer wieder, dass viele andere Angehörige diese bittere Erfahrung gemacht haben. Die Betroffene und die Angehörigen haben wieder Hoffnung, aber dann wird es eher noch schlimmer.
Hallo Hermann,

auch ich sehe nach der Erkrankung meines Mannes die moderne Medizin skeptischer an als vorher.
Es wurde von mir schon berichtet, dass meinem Mann von Seiten der Ärzte eine Lebenserwartung von mehreren Jahren vorausgesagt wurde. Auch von guter Lebensqualität war dabei die Rede.
Es kam aber ziemlich schnell anders. Die letzte Woche im Krankenhaus wurde er immer schwächer und die Atemnot war groß. Trotzdem haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben.

Auch der Arzt der zur Visite kam, deutete an das es wieder besser werden kann.
Dann ging alles so schnell dass mein Mann - und ich natürlich auch - schockiert waren.
Trotz der vielen Medikamente und der Morphingaben litt er unter schwerer Atemnot und ich glaube nicht das er einen "guten" Tod hatte.

Ich spürte ganz deutlich die Macht des Todes aus der es kein entrinnen gab.

Er hat es bewusst mit erlebt obwohl er Panik vor dem Ersticken hatte und es so keinesfalls erleben wollte. Das hat mich so nachhaltig geprägt, das ich bis heute täglich daran denke, und hat mich in meinem Willen bestärkt frei entscheiden zu können wenn mir in meinen letzten Stunden oder gar Tagen von der modernen Medizin nicht geholfen wird - das Leiden zu beenden.

Hermann: Bei deiner Frau war es auch diese Grenzsituation, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens ertragen muss, wenn er sich nicht vorher für einen Suizid entscheidet.
Gerade Ältere Menschen beschäftigen sich häufig mit diesem Thema - und tun es dann auch - weil sie niemanden zur Last fallen wollen.

Liebe Grüße

Jutta

Geändert von Yogi 12 (29.09.2014 um 21:43 Uhr)
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  #87  
Alt 05.10.2014, 09:25
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Der langsame Abschied
Es begann etwa an meinem Geburtstag, ich wurde 61 Jahre. Meine Frau war im Ausland, ich war in Süddeutschland beruflich unterwegs. Dort wurde einen Tag vor meinem Geburtstag die Diagnose gestellt. Die Tochter erzählte mir viel später, die Ärzte hätten gesagt, sie werde nur noch wenige Monate leben. Das wusste ich damals nicht, aber uns beiden war klar, dass ihr Leben bedroht war. Tanja kam mit der Tochter und der Enkelin zurück nach Deutschland. Eine Woche später fuhren Tochter und Enkelin zurück. Zunächst diagnostizierte man ein Mesothelliom, später einen anderen Krebs des Bauchfells Danach gab es Zeiten der Hoffnung. Vielleicht bringt die Chemo-Therapie mehr Lebenszeit mit relativ guter Lebensqualität. Vor der OP Ende Oktober bestand sogar die Hoffnung auf Heilung. Daraus wurde nichts. Aber wir hofften, dass die Chemo-Therapie weiter wirken würde. Mitte Januar 2012 war auch diese Hoffnung vorbei. Ende Mai kam sie auf die Palliativstation, nachdem die zweite Chemo-Therapie fehlgeschlagen war. Die Ober-Ärztin sagte mir: es geht nicht um Jahre sondern um dieses Jahr. Ende Juli hatten wir die Gewissheit: Es geht um wenige Wochen. Am 12. August 2012 ist sie dann im Hospiz gestorben. Es begann eine neue Phase des Abschieds. Es ist auch eine Abschied von mir selbst. Tanja gehörte zu meinem Leben, meine Zukunft konnte man von unserer Zukunft nicht trennen. Ich bin nicht mehr der, der ich mit 60 Jahren war. Die gemeinsame Zukunft ist weg. Die Erlebnisse zeigte, wie unsicher das Leben ist. Der Abschied vom Erwerbsleben kommt spätestens Ende 2016 hin zu. Wie ist nun der, der ich jetzt bin? Ich bin in bestimmten Angelegenheiten empfindlicher geworden. Donnerstag wurde im Fernsehen über Sterbehilfe diskutiert. Ich achtete weniger auf die Inhalte, sondern mehr auf die Stimmung. Einige Beiträge waren emotional kalt, zum Beispiel Montgomerie zur ärztlichen Gebührenordnung. Natürlich muss ein Ärztevertreter in einer Diskussion keine Gefühle zeigen, aber es sollte deutlich werden, dass er sich in die Situation eines Sterbenden hineinversetzen kann. Auch Zukunft hat für mich eine andere Bedeutung, sie ist nicht mehr so wichtig. Ich bin nicht mehr so wichtig. Gleichzeitig bedeutet das auch Freiheit. Wenn man nicht viel zu verlieren hat, ist man frei von vielen äußeren Zwängen. Anderseits ist dies auch eine einsame Freiheit. Es gibt niemanden für den ich da sein und sorgen müsste. Die Nachricht von meinem Tode würden vielleicht einige mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, aber wirklich trauern würde wohl niemand. Damit wird auch Leiden vermieden. Emotional muss ich mich noch an die neue Freiheit gewöhnen. Der Wunsch weiter leben zu wollen, hat das Leid meiner Frau vergrößert. Nachdem sie diesen Wunsch aufgegeben hatte, ging es ihr psychisch besser.
Liebe Grüße
Hermann
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  #88  
Alt 05.10.2014, 18:01
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Yogi 12 Yogi 12 ist offline
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Zitat:
Zitat von hermannJohann Beitrag anzeigen
...
Auch Zukunft hat für mich eine andere Bedeutung, sie ist nicht mehr so wichtig. Ich bin nicht mehr so wichtig. Gleichzeitig bedeutet das auch Freiheit. Wenn man nicht viel zu verlieren hat, ist man frei von vielen äußeren Zwängen. Anderseits ist dies auch eine einsame Freiheit. Es gibt niemanden für den ich da sein und sorgen müsste. Die Nachricht von meinem Tode würden vielleicht einige mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, aber wirklich trauern würde wohl niemand....Hermann
Hallo Hermann,

Schön, wieder von dir zu hören.
Du drückst das aus, was ich momentan auch durchlebe und fühle.

Durch die Kinderlosigkeit war das Leben zwischen meinem Mann und mir so eng verbunden, das es manchmal einer Symbiose gleichkam.
Das Verlustempfinden ist um so größer, weil sonst niemand da ist ,dem ich meine Liebe und Fürsorge geben kann.

Ich versuche auch nicht zu leugnen das ich jeden Tag älter werde. Dadurch ändert sich meine Rolle in der Gesellschaft und auch die Befindlichkeiten ändern sich.
In dieser Lebensphase wird von der Zukunft jetzt nichts besseres mehr zu erwarten sein.
Der " Abstieg " vom Zenit des Lebens ist nicht angenehm. Sich mit der Realität der Veränderungen auseinanderzusetzen macht Angst, - ist aber möglich. - Ich sollte es mal ausprobieren.....

Bisher fühle ich mich schwach und bin froh den normalen Tagesablauf hinzukriegen. Gibt es Irritationen bin ich schnell nervös.
Die Entscheidung für einen Neubeginn ist noch nicht gefallen.
Es geht erst mal nur darum das ich "weitergehe."

Das tust du ja bereits Hermann, und ich wünsche dir das es keinen Stillstand dabei gibt - und das die Trauer um die geliebten Verstorbenen mit der Zeit erträglicher wird.

Liebe Grüße

Jutta
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  #89  
Alt 06.08.2015, 10:23
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Standard AW: Vom Sinn und Unsinn des Lebens

Nun sind fast zwei Jahre vergangen. Sie ist am 12. August im Hospiz gestorben. Ihre Krankheit und ihre Tod haben mein Leben grundlegend verändert. Die Endlichkeit des Lebens wurde mir bewusster. Vieles ist nicht mehr, wie es war. „Alle streben nach dem Glück, das Glück rennt hinterher“ (Brecht). Danach strebe ich nicht mehr, aber doch noch nach dem beruflichen und privaten Sinn. Vielleicht habe ich noch 6 Jahre, vielleicht auch 16 Jahre. Niemand weiß das. Wichtig ist mir die geistige Gesundheit und die Fähigkeit, mich selbst zu versorgen. Solange man geistig gesund und unabhängig ist, kann man mit dem Leben noch was machen.
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  #90  
Alt 15.08.2015, 11:40
hermannJohann hermannJohann ist offline
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Der zweite Todestag. Er war anders als der erste. Wir waren ein kleiner Kreis: Ihre Tochter, Schwiegersohn, Enkelinnen und ich. Tanjas Bruder hat angerufen. Morgens ging es in die Kirche, danach zum Friedhof. Mittags waren wir zurück. Abends fand dann das Essen zum Gedenken an Tanja statt. Sicher gab es einige freundliche Worte für Tanja. Aber irgendwie hat man sich angefunden mit einem Leben ohne sie und konzentriert sich darauf. Abgefunden habe ich mich damit auch, aber die Traurigkeit kommt immer mal wieder zurück. Vor ihrem Tod sagte Tanja einmal, ich würde es schwerer haben, weil ich allein sein werde. Sie hatte Recht. Kinder und Enkelkinder haben noch viel Leben vor sich. Die Enkelinnen sollen eine gute Ausbildung absolvieren und später eine Familie gründen. Die Eltern müssen das unterstützen und haben damit viel zu tun. Das soll ja auch so sein. Die Ehepartner der Toten verlieren mehr. Ein Teil des eigenen Lebens ist vorbei.
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