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Alt 25.01.2008, 00:48
Sabrina1981 Sabrina1981 ist offline
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Registriert seit: 25.01.2008
Ort: Aerzen
Beiträge: 1
Standard Es ist so schwer...

Hallo,

lange Zeit habe ich mich nicht getraut, meine "Geschichte" mit anderen zu teilen. Vermutlich liegt das daran, dass ich schon immer sehr schlecht meine Gefühle ausdrücken konnte, wenn mir etwas wirklich nahe geht.

Es ist nun fast 3 Jahre her. Im Mai 2005 ist meine Mutter an mehreren Hirnmetastasen verstorben.

Angefangen hat alles eigentlich recht harmlos. Ich kann mich noch dran erinnern, dass sie öfter mal erkältet war in der Zeit, kurz bevor die Diagnose gestellt wurde.

Ich war gerade 24 geworden und schon einige Zeit ausgezogen. Dennoch hatten wir immer regelmäßig Kontakt. Etwas, dass wir nicht hatten, als ich noch zu Hause gewohnt habe. Wir haben uns plötzlich wieder besser verstanden. Es gab keine Reibereien und keinen Streit mehr.

Nun, es war Ende November 2004 - meine Mum hatte gerade Urlaub - als Sie sich auch schon per Telefon meldete um ein Treffen abzusagen. Sie sei furchtbar erkältet, hätte schreckliche Kopfschmerzen und möchte deshalb lieber zu Hause bleiben. Ich weiß noch, das folgende Wochenende wollte ich sie besuchen um nach ihr zu sehen. Als ich sie dann besuchte, muss ich sagen, sah sie wirklich sehr sehr schlecht aus. Aber dennoch ist mir nicht wirklich etwas ungewöhnliches aufgefallen. Ich mache mir heute noch schreckliche Vorwürfe, denn ich bin sicher, nicht nur ich sondern auch andere, hätten früher erkennen können, was eigentlich vor sich geht.

Meine Mutter hat plötzlich angefangen Dinge fallen zu lassen. Sie konnte das Besteck nicht mehr richtig halten. Und eines Tages wurde sie von ihrem Chef nach Hause geschickt... mit der Begründung, sie wäre auf der Arbeit betrunken gewesen, da sie ständig Sachen fallen ließ und unkonzentriert war.

Hier verschwimmt meine Erinnerung nun ein wenig. Ich bekam jedenfalls eines Abends einen Anruf von meiner Tante - meine Mutter sei im Krankenhaus, ich solle mir jedoch keine Sorgen machen, wir würden sie morgen gleich besuchen fahren. Was sie hätte könnte man noch nicht sagen, wir müssten die Untersuchungen abwarten. Am nächsten Tag erfuhr ich dann, dass meine Mutter ganz aufgelöst bei meiner Oma angerufen hatte um einen gemeinsamen Termin abzusagen. Meine Oma sagte damals "Deine Mutter kam mir am Telefon so furchtbar komisch vor. Ich habe richtig Angst bekommen. Darum habe ich gleich bei deiner Tante angerufen, damit jemand nachsehen kann."

Das hat sie dann auch getan. Meine Mum ist dann wohl, kurz nachdem meine Tante bei ihr angekommen war, unter Krämpfen zusammen gebrochen. Meine Mum kam dann ins Krankenhaus, in die Psychologische Abteilung... mit Verdacht auf einen Nervenzusammenbruch. Warum das passierte, kann ich nicht sagen. Im Nachhinein kann ich es jedoch nicht nachvollziehen. Nach unzähligen Untersuchungen und keinen Ergebnissen wurde sie auf die Neurologische Station verlegt. Dort hat man dann zuerst CT-Aufnahmen gemacht.

Als ich die Bilder gesehen habe... es hört sich merkwürdig an. Aber da ist mir schon klar gewesen, das meine Mum diese Krankheit nicht überleben wird. Es waren 4 große weiße Flecken darauf zu erkennen. Der Arzt hat mir damals auch die Bezeichnung genannt, aber ich habe alles nur wie in Zeitlupe vor mir ablaufen sehen und nicht sehr viel mitbekommen. Er sagte mir, dass es keinesfalls Krebs sein muss und sie eine Probe nehmen würden, dann würde man weiter sehen.

Nun ja, es war eine sehr agressive Krebsart. Denn von der Diagnose bis zum Tod waren es nicht einmal mehr 6 Monate, was ich jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Die Ärzte im allgemeinen haben mir damals alle nicht viel gesagt, trotz ständiger Fragen. Meine Mum bekam dann Chemo und Bestrahlungen. Aber sie litt immer häufiger unter Krampfanfällen und hörte und sah Dinge, die nicht wirklich da waren. Ich zog zurück zu ihr, da sie sonst ganz alleine zu Hause gewesen wäre. An einem Abend sahen wir fern. Mitten im Film setzte sie sich plötzlich auf und sagte:"Nun guck dir dass an, unterbrechen die einfach mitten im Film. Was soll das denn?" Obwohl der Film nach wie vor unverändert weiter lief. In diesem Moment überkam mich ein schreckliches Angstgefühl und ich meinte, keine Luft mehr zu bekommen.

Es ist absolut schrecklich, wenn man mitansieht wie der Mensch, den man einmal gekannt hat Stück für Stück verschwindet.

Einige Minuten später erlitt sie den ersten Krampfanfall ausserhalb des Krankenhauses. Ich könnte heute noch vor Angst und Wut einfach nur dasitzen und weinen. Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Man fühlt sich einfach nur hilflos. Auch der Rettungswagen und der Notarzt haben nichts an diesem Gefühl geändert. Es lief irgendwie alles wie in einem Film vor meinen Augen ab. Nach diesem ersten Anfall wurden die Krämpfe immer häufiger.

Zwei Tage bevor sie ihren letzten Krampfanfall erlitt, saßen wir beieinander und unterhielten uns... Ich wusste das meine Mum sterben würde und ich hatte lange mit mir gekämpft. Letztendlich hatte ich mich dazu durchgerungen, sie darauf anzusprechen (sie war ausser kurz vor und nach den Anfällen völlig normal).

Ich setzte mich neben sie auf das Sofa und nahm ihre Hand in meine. "Mum, ich weiß dass du an deiner Krankheit sterben wirst. Und ich habe so schreckliche Angst."

Sie sah mich lange an und sagte: "Ja ich werde an dieser Krankheit sterben mein Schatz. Aber mach dir keine Sorgen. Auch ich habe Angst. Wenn es so ist, wie ich es mir immer vorgestellt habe, werde ich bald wieder mit deinem Vater und deinem Opa zusammen sein. Dann können wir Skat spielen - wie früher." Und dann nahm sie mich ganz fest in die Arme und weinte schrecklich.

Wenn ich so zurück blicke, kam es mir so vor, als hätte sie nur auf dieses Gespräch gewartet. Denn schon am nächsten Morgen bekam sie ihren letzten Anfall. Sie wurde zwar ins Krankenhaus gebracht, jedoch nicht an Lebenserhaltende Maßnahmen angeschlossen. Dies hatte sie vorher verfügt. Als ich sie besuchte, lag sie in einer Art Koma und war nicht mehr ansprechbar. Ich habe noch stundenlang an ihrem Bett gesessen und gehofft, dass sie die Augen nochmal aufmachen würde, bis ich den Anblick einfach nicht mehr ertragen konnte. Kurz wollte ich nach Hause... ich stand auf, küsste sie und flüsterte ihr ins Ohr:"Mum, quäl dich nicht länger, du darfst jetzt loslassen. Ich liebe dich so furchtbar."

Ich weiß nicht warum ich das getan habe. Ich hätte dableiben sollen. Den schon als ich zu Hause angekommen war, klingelte das Telefon. Das Krankenhaus. Wenn ich meine Mutter nochmal sehen wollte, sollte ich jetzt vorbeikommen. Das Krankenhaus liegt 10 Minuten von meiner damaligen Wohung entfernt. Aber als ich vor der Zimmertür stand, war sie bereits eingeschlafen. Der Pfleger, der gerade aus der Tür kam versicherte mir, sie habe keinerlei Schmerzen gehabt. Aber ich bin mir sicher, das sie welche hatte, auch wenn wir es nicht sehen konnten. Meine Mum ist nicht in meinen Armen eingeschlafen, sondern in den 10 Minuten, in denen ich nicht bei ihr war.

Ich weiß nicht ob es für mich etwas geändert hätte, wenn ich dagewesen wäre. Aber so frage ich mich immer wieder, warum ich gegangen bin.

Später sagte mir jemand, das jeder Mensch dann einschläft, wenn er es will - wenn jemand alleine einschlafen möchte, dann schläft er auch alleine ein, egal, wielange auch immer ich am Bett gesessen hätte. Aber ich weiß nicht, ob ich das glauben kann.

Mum ich vermisse dich so furchtbar. Auch wenn es nun schon fast 3 Jahre sind, die du nicht mehr bei mir bist. Ich falle immer wieder in ein tiefes Loch und finde einfach keine Antworten.

Geändert von Sabrina1981 (25.01.2008 um 01:01 Uhr)
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  #2  
Alt 25.01.2008, 01:17
xkoi007x xkoi007x ist offline
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Registriert seit: 01.08.2007
Beiträge: 53
Standard AW: Es ist so schwer...

Hallo Sabrina.Ich bin selber Krebskrankenpfleger und kann dir sagen das es wirklich so ist.Es gibt viele Menschen,die lieber alleine sterben möchten.Ich habe den Angehörigen auch immer geraten nicht ununterbrochen am Bett zu sitzen.Es war oft so,das der geliebte Mensch in den 5 oder 10 Minuten gegangen ist,wo er alleine war.Mach dir also keine Vorwürfe.Deine Mutti wollte dich nicht belasten und ist in der Zeit gegangen als du nicht da warst.Ich wünsche dir viel Kraft
Liebe Grüsse von Peterle
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  #3  
Alt 25.01.2008, 06:58
wölkchen
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard AW: Es ist so schwer...

Liebe Sabrina,

ich habe am ganzen Körper eine Gänsehaut, wenn ich deine Geschichte lese...Es ist ein Geschenk für deine Mama und Dich, dass ihr dieses Gespräch noch vor ihrem Tode haben durftet.
Sie ist ihrer Tochter sicherlich dankbar-du bist ein schweres Stück Weg mit ihr gegangen. So traurig es ist, liebe Sabrina, es ist so schön, dass ihr in Frieden auseinander gehen konntet.

Dass Menschen gehen, wenn sie alleine sind, kenne ich. Bei meinem Opa war es so. Er ist zu Hause eingeschlafen-im ganzem Haus war unsre Familie verteilt-trotzdem hat er wenige Minuten gefunden, in denen er alleine war.
Er wollte alleine gehen, ob für sich oder für uns. Es war seine letzte Entscheidung.

Ich habe anfangs gedacht wie du...warum bin ich nicht geblieben? Ich glaub, ich hab was getrunken...Wochen später war ich noch sauer auf mich.
Ich kann dich verstehn Sabrina. Du wirst dir wahrscheinlich trotzdem Vorwürfe machen, auch wenn wir dir alle sagen, brauchst du nicht...

Aber deine Mama hat dich geliebt und ist sicher stolz auf dich!

Alles Liebe für dich,
wölkchen
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