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Alt 02.09.2008, 21:46
Pusteblumen Pusteblumen ist offline
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Registriert seit: 02.09.2008
Beiträge: 10
Standard Nun ging es doch so schnell

Liebe Leidensgenossen,

auch ich will meine Geschichte erzählen um sie immer wieder ein Stück weit zu verarbeiten.

Es ist nun Tag 2 nach dem Tod meiner kranken Mutter.

Letztes Jahr fast genau um die Zeit wurde bei meiner Mutter wegen einigen Auffälligkeiten vom Frauenarzt eine Biopsie angeordnet. Nachdem die Ergebnisse vorlagen war die Diagnose klar: Gebärmutterhalskrebs. Eine Totaloperation war der nächste Schritt. Doch der Eingriff erwies sich als unmöglich: das Plattenkarzinom war bereits zu weit vorgedrungen und da die Beinvene involviert war wurde der Tumor als inoperabel attestiert.

Es folgten lange Wochen im Krankenhaus mit verschiedenen Zwischenfällen wie Nierenstau und Darmlämungen, noch bevor die Chemo- und Strahlentherapien starteten.

Im November wurde wegen der Vorschädigung der Nieren vorsichtig mitder Chemo begonnen. Doch auch die Strahlentherapie brachte weitere starke Nebenwirkungen. Starke Blasenentzündung, Darmreizung und entzündeter Genitalbereich waren die größten Probleme.

Doch die Therapien schlugen kaum an. Lymphknoten wurden befallen, später wurden ebenfalls Lungen- und einige Wochen später auch Lebermetastasen festgestellt. Ich ahnte, dass es kaum eine Chance gibt aber meine Mutter kämpfte, schaute immer nach vorne und setzte sich als Ziel im Herbst wieder zu arbeiten.

Weitere verschiedene Chemos... im Klinikum und später zuhause sogar über fünf Tage.

Sie wurde immer schwächer. Lag viel, aß kaum mehr etwas und wurde immer schwächer. Das ständige Übergeben quälte sie genauso wie Magenschmerzen und ständige Übelkeit.

Vor zwei Monaten steckte sie sich natürlich auch noch bei meiner Erkältung an, obwohl ich sehr aufpasste. Leider kann man sich ja nich isolieren lassen oder in Quarantäne gehen. Ihre Lunge verschleimte und sie musste viel Husten. Das Atmen wurde seit dem immer schlechter. Sie stöhnte und hustete fast 24 Stunden, selbst im Schlaf.

vor einigen Wochen wurde es dann immer extremer. Erst konnte sie kaum noch selbst ins Krankenhaus laufen, brach fast auf dem Weg zur Tür zusammen. Sie bekam Aufbauinfusionen und fuhr seit dem kaum noch selbst Auto. Schließlich konnte sie kaum noch in der Wohnung laufen. Die 10 Meter zur Toilette waren eine Strapaze, selbst Essen aus dem Kühlschrank holen war undenkbar. Zusammen mit dem ständigen übergeben während der Chemo und der extremen Kurzatmigkeit baute sie stark ab. Künstliche Ernährung und ein Sauerstofftank wurden gebracht. Doch es war nur noch der letzte Zug.

Die letzte Woche konnte sie kaum Schlafen, da sie sich nicht hinlegen konnte, sie hatte Angst zu ersticken, da die Lunge so verschleimt und sie sowieso so kurzatmig war. Sie schlief wenn überhaupt im Sitzen.

Die letzten Wochen hatte ich Nachts oft Angst wenn ich nichts gehört habe, da sie eigentlich immer irgendwelche Geräusche von sich gab. Sie wollte nie darüber reden, obwohl allen klar war, dass es nichtmehr lang gehen könne. Aber sie dachte nur daran bald wieder gesund zu sein. Sie hatte Angst und wollte nur unnötig stark sein. Nie sah ich sie weinen, mich aber schon.

Sonntag Abend ging meine Mutter zeitig ins Bett. Rief mich wegen ihrer Atemnot nochmal zu sich, ich musste ihr den Sauerstoff anstellen. Noch zwei mal hörte ich das Gerät piepen. Ich war noch bis Mitternacht im Wohnzimmer, genau neben ihrem Schlafzimmer. Alles war ruhig, beunruhigend ruhig. SIe stand normal oft auf um auf die Toilette zu gehen.

Gestern, am Montag Morgen hatten wir wieder einen Termin zum CT um zu sehen ob die Chemo gewirkt hat oder ob es keinen Sinn mehr macht sie damit zu quälen.

Mein Wecker klingelte um halb 8. Wir mussten um viertel 9 los, sie sollte nüchtern sein. Ich wachte auf und hatte sofort Angst: es war ruhig. Ich stand auf und hab es gewusst. SIe war nicht aufgestanden. Ich verdrängte den Gedanken und dachte aus Spaß "ess ich lieber noch was bevor ich sie finde"... ihre Zimmertür war zu. Im TV sah ich während dem Frühstück mein Horoskop: "Waage..heute ist ihr Glückstag" Ich dachte mir: "Ok, mein Glückstag, es kann nichts passiert sein." Ich traute mich die Tür zu öffnen.

...

Da sah ich sie: bleich , die Liegefläche in Sitzposition aufgestellt, die Hände schlapp neben dem Körper liegend, den Kopf zur Seite geneigt und die Unterlippe runterhängend, sodass man die Zähne und das weiße Zahnfleisch sah. Ich wusste es sofort - dennoch rief ich sie: "Mum wach auf! Du musst aufstehen!" Ich hoffte mich zu irren, es ist ja möglich dass man sich irrt. Sie könnte aufwachen und nur seltsam geschlafen haben. Ich lief zu ihr und schrie sie an. Ich wollte ihren Puls fühlen und erschrak: sie war eiskalt. Ich hatte solche Angst. Versuchte ihr Herz zu hören doch hörte nur mein eigenes.

Ich wusste es war soweit: nun bin ich allein. Es ist eingetreten wovor ich ständig Angst hatte. Ich war vorbereitet aber dennoch war es so plötzlich.

Ich rannte zum Telefon, atmete wahnsinnig schnell und heftig. Konnte nicht weinen. Ich rief die Polizei an, wurde zur Rettungsleitstelle verbunden. Ich rief die Nachbarin an, welche ständig bei uns war, meinen Freund - er hörte nicht-...ich rief bei ihm zuhause an, seine Mutter ging ran und sie kamen sofort.

Sanitäter, Notarzt und Polizei trafen ein und konnten nur das bestätigen was ich längst wusste: sie war bereits vor mehreren Stunden gestorben.
Die Ärztin teilte mir mit, dass sie bereits vor Mitternacht starb und somit wahrscheinlich einfach im Schlaf aufhörte zu atmen. Ich hätte nichts tun können, ich hab es nichtmal mitbekommen.



Es war so ein furchtbares Bild sie so weiß und verzerrt zu sehen, der kalte Körper, wie ich sie anschrie und realisierte: es ist vorbei.


Nun steh ich da: 19 Jahre, ab Oktober Studentin. Ich kenne meinen Vater nicht und habe noch kein Einkommen. Die Wohnung muss weg. Ich habe zwar einige Unterkünfte aber kein Zuhause mehr. Ich fühle mich einsam obwohl ich ständig in Begleitung bin. Mein Freund bemüht sich wahnsinnig. Obwohl ich bei ihm die Hälfte des letztes Jahres verbracht habe fühle ich mich hier fremd. Ich habe Heimweh obwohl es erst der zweite Tag ist. Stimmungsschwankungen überwältigen mich immer wieder. Ich fühle mich so rausgerissen.

Ich schwanke von meiner Überzeugung, dass es für meine Mutter wohl ein guter Tod war und sie nun enldich erlöst ist. Ihr wurde noch viel mehr Leid erspart und ich freue mich für sie, dass sie nun an einem besseren Ort ist. Ich schwanke zu meinem Verlust, der Ungerechtigkeit und EInsamkeit die ich fühle. Zeitweise geht es mir außergeöhnlich gut und im anderen Moment werde ich körperlich schwach, kann kaum essen und weine natürlich sehr viel. Ich begreife das erste mal in meinem Leben was wirkliche Trauer heißt. Ich habe es noch nie so erfahren.

Falls jemand wirklich alles bis hier her gelesen hat: Danke

Keiner muss es lesen, ich möchte mich nur mitteilen. Ich habe es schon oft erzählt aber spreche nur mit "Unbeteiligten" die sie kaum kannten. Ich kenne kaum jemanden der in einer ähnlichen Situation ist/war. Ich organisiere alles was jetzt gemacht werden muss, will nichts abgeben. Das hilft mir sehr.

Gebt mir Tipps, fragt mich wenn ihr etwas wissen wollt und redet mit mir.

eure

Pusteblumen ( diese ist morgen Teil ihrer Todesanzeige in der Zeitung)
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